Düsseldorf. Dietmar Hamann spricht vor dem Topspiel über Bayerns Trainerwechsel und die Stärken des BVB. Der Sky-Experte geht von einem Schalke-Abstieg aus.

In einem großen Hotel am Düsseldorfer Flughafen geht es mit dem Aufzug hoch in die zweite Etage. In einem der kleineren Konferenzräume wartet Dietmar Hamann (49), der sich nach der Begrüßung auf seinem Stuhl zurücklehnt. Der frühere Fußball-Nationalspieler wird das Topspiel zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund am Samstag (18.30 Uhr) wieder als Sky-Experte begleiten. Vorher spricht der 49-Jährige im Interview über eine Spielzeit, die Hochspannung bietet. Schalke-Fans macht er keine große Hoffnung.

Wie gefällt Ihnen als ehemaliger Bayern-Profi diese Bundesliga-Saison, Herr Hamann?
Dietmar Hamann: Ich bin da frei von Allianzen, sehe das alles objektiv. Wenn man diesen Job macht, kann man zwar seine Vergangenheit nicht vergessen, aber ich kann ja die Bayern nicht anders bewerten, nur weil ich dort ein paar Jahre Fußball gespielt habe. Ich freue mich über diese Saison. Und ich glaube, ganz Fußball-Deutschland freut sich darüber. Es ist einfach gut für die Liga, weil sie im Ausland anders wahrgenommen wird, wenn es wieder mal eng ist. Wir haben einen richtigen Meisterschaftskampf, einen wahnsinnig interessanten Abstiegskampf. Es tut sich was, und das ist gut.

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Wo sehen Sie die Gründe dafür, dass diese Spielzeit oben und unten in der Tabelle so spannend ist?
Weil Julian Nagelsmann es in München nicht geschafft hat, die Mannschaft über 18 Monate hinter sich zu bringen. Wenn du als Trainer nicht den Kader hundertprozentig hinter dir hast, siehst du inkonstante Leistungen. Da war im vergangenen wie auch in diesem Jahr der Fall, extrem allerdings nach der Weltmeisterschaft. Deswegen gab es auch den Trainerwechsel. Mit dem Blick nach unten hätte ich gedacht, dass Hertha BSC etwas stabiler ist. Auch der 1. FC Köln schwächelt mittlerweile. Die Stuttgarter spielen seit gefühlt 18 Monaten zwar guten Fußball, gewinnen aber selten. Ich glaube, dass es den VfB in diesem Jahr erwischen wird − und Schalke ebenfalls.

Unter Thomas Reis ist Schalke seit acht Spielen ungeschlagen.
Unter Thomas Reis ist Schalke seit acht Spielen ungeschlagen. © firo

Warum glauben Sie, dass die Schalker wieder absteigen?
Weil die Schalker gegen die großen Mannschaften noch am Ende der Saison spielen. Thomas Reis hat dort zwar tolle Arbeit geleistet. Der Trainer hat die Mannschaft, den ganzen Verein stabilisiert. Schalke ist in diesem Jahr noch ungeschlagen, aber die ganzen Unentschieden bringen dich einfach nicht weiter.

Inwiefern können die Schalker Fans noch ein Faktor im Abstiegskampf sein?
Sie können in die eine oder andere Richtung ein Faktor sein. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen. 60.000 Zuschauer im Stadion können dich enorm anfeuern, aber wenn sie pfeifen, hat das natürlich den gegenteiligen Effekt. Ich glaube allerdings nicht, dass es noch einmal passieren wird nach dem, was die Spieler in diesem Jahr gezeigt haben. Einer meiner Ex-Trainer hat immer gesagt, dass Fans keine Tore schießen können. Ich würde den Schalkern den Klassenerhalt wünschen, aber ich glaube nicht, dass sie es packen.

Mai 1996: Dietmar Hamann (Mitte) als Bayern-Profi beim Spiel auf Schalke.
Mai 1996: Dietmar Hamann (Mitte) als Bayern-Profi beim Spiel auf Schalke. © firo | firo

Um wieder nach oben zu blicken: Sie haben Borussia Dortmund in der Hinrunde und speziell die Vereinsführung heftig kritisiert. Würden Sie sich dafür jetzt entschuldigen?
Meine Kritik fiel tatsächlich im vergangenen Jahr größer aus. Aber ich habe auch gleich zu Saisonbeginn gesagt, was ich jetzt auch noch meine: Edin Terzic hätte nicht im Verein bleiben dürfen. Man hat Marco Rose nie wirklich die Chance gegeben, dort erfolgreich zu sein. Terzic war beliebt, er saß da zwischen Hans-Joachim Watzke und Matthias Sammer, das konnte einfach nicht funktionieren. Natürlich gab es in der Hinrunde immer wieder Kritik meinerseits, aber eher punktuell auf das eine oder andere Spiel bezogen.

Warum läuft es beim BVB in der Liga mittlerweile so gut?
Ich glaube, dass die Rückkehr von Sebastien Haller einen Riesenschub gegeben hat − nicht nur sportlich, sondern auch emotional. Er hat weit über den Fußball hinaus gezeigt, was er für eine Kämpfernatur ist. Er hat diese Krankheit besiegt, sich schnell wieder zurückgemeldet, das kann beflügeln. Ich denke auch, dass der Aufschwung von Karim Adeyemi maßgeblich mit Haller zusammenhängt, weil Haller eben ein Spieler ist, der ein wahnsinniges Tempo hat, der auch Bälle halten kann und Räume für andere schafft. Wenn du so einen Gamechanger vorne hast, macht das jeden Spieler besser, das gibt dir einfach Selbstvertrauen. Und dann haben die Dortmunder noch Emre Can, den ich oft kritisiert habe. Ich bin kein Freund von ihm, aber in den letzten Wochen hat er sich auf das konzentriert, für was er da ist: Er gewinnt Bälle und gibt sie anderen Spielern. Wenn er jetzt noch seine Übersteiger weglässt, kann er ein Spieler werden, der für Dortmund in den nächsten Jahren großen Wert hat.

Welche Rolle spielt Terzic beim Erfolg?
Der Trainer ist verantwortlich für die Mannschaft, sie ist sein Spiegelbild. Die Dortmunder spielen mit Herz. Sie spielen klar, glaubwürdig und verlässlich. Zudem machen sie wenig Fehler. Für das alles steht Edin Terzic. Ich glaube aber auch, dass Sebastian Kehl als Sportdirektor eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Beide haben immer wieder mit Karim Adeyemi und Emre Can gesprochen in den vergangenen Monaten. Die Dortmunder machen einen sehr geschlossenen Eindruck. Das war im letzten Jahr nicht der Fall. Man hatte auch nie das Gefühl, dass Rose dort Teil dieser BVB-Familie ist.

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Die Bayern haben sich nun von Nagelsmann getrennt. Wie denken Sie über seine Entlassung?
Es hatte sich ja abgezeichnet über die letzten Monate. Die Glaubwürdigkeit und der Respekt der Spieler und Verantwortlichen gegenüber dem Trainer sind das höchste Gut. Er hat sich einfach zu viele Sachen erlaubt, die das beschädigt haben. Die Trennung war absehbar und nur konsequent. Nach der Niederlage in Leverkusen dachte man in München einfach: So schlagen wir die Dortmunder nicht. Und wenn wir gegen den BVB nicht gewinnen, werden wir auch gegen Manchester City in der Champions League nicht weiterkommen. Deswegen ging es jetzt so schnell.

Joshua Kimmich hat die Art und Weise der Trennung kritisiert. Er sprach von „wenig Liebe, wenig Herz“ im Profifußball.

Das ist doch Unsinn. Wie sollen sie den Trainer denn entlassen? Sollen sie ihm einen Blumenstrauß geben bei der Verabschiedung? Den kriegt er bestimmt irgendwann, weil er Trainer in München war. Er wurde gut bezahlt, man hat ihm die Chance gegeben, einen der größten Vereine der Welt zu trainieren in jungen Jahren, was wahrscheinlich auch nicht alle gemacht hätten. Er hat seine große Chance aber nicht genutzt. Die Leute sagen, er habe die Kabine verloren. Ich würde sagen, dass er es über 18 Monate nicht geschafft hat, die Mannschaft hinter sich zu bringen.

Thomas Tuchel trifft am Samstag mit dem FC Bayern auf seinen Ex-Klub BVB.
Thomas Tuchel trifft am Samstag mit dem FC Bayern auf seinen Ex-Klub BVB. © dpa

Hat Nagelsmann überhaupt zu Bayern gepasst?
Ich glaube, der Verein hatte erwartet, dass er sich schneller anpasst. Es gibt gewisse Sachen, die du einfach nicht machen kannst. Du kannst zum Beispiel nicht mit dem Skateboard übers Trainingsgelände fahren. Du musst eine Respektsperson sein. Wenn ich mir vorstelle, dass Otto Rehhagel mit dem Skateboard übers Trainingsgelände gefahren wäre, hätte ich ihn am nächsten Tag anders angeschaut. Man kann das für oberflächlich halten, aber es ist so. Die Jungs haben stramm zu stehen, wenn du in die Kabine gehst. Wenn das nicht der Fall ist, kannst du 25 verschiedene Taktiken spielen lassen und denen an die Wand pinseln, es ist dann allerdings völlig uninteressant. Wenn du zudem als Trainer denkst, dass du der entscheidende Faktor dafür bist, dass Spiele gewonnen werden, wirst du in München keine Zukunft haben. Die Spieler gewinnen die Spiele. Nagelsmanns Matchpläne mögen wunderbar sein, aber wenn du die Spieler in ein Konstrukt zwängst, nimmst du ihnen einen großen Teil ihrer Stärke. Sie brauchen Freiheit, sie sind die besten Spieler Europas oder der Welt, deshalb sind sie bei Bayern. Das hat man ihm mehrmals gesagt, aber das wollte er aber nicht wahrhaben. Auch deshalb ist er gescheitert.

Was bringt nun Thomas Tuchel mit, was Nagelsmann nicht hat?
Er hat schon gezeigt, dass er mit großen Charakteren umgehen kann. Um in Paris Trainer zu sein, musst du ja schon fast zaubern können. Das bisher beste PSG gab es unter Tuchel. Mit dem FC Chelsea hat er die Champions League gewonnen, gegen eine scheinbar übermächtige Mannschaft wie Manchester City im Finale. Die Erfahrung hilft natürlich, aber auch die Weitsicht. Es kann ja nicht sein, dass ein Spieler wie Leroy Sané dreimal zu spät kommt. Oder Serge Gnabry nach Paris fliegt, wenn mal zwei Tage frei sind. Tuchel wird die Disziplin wieder reinbringen. Er hat aber auch die Ruhe, die Spieler in einigen Phasen einfach mal machen zu lassen. Er hat ein gutes Gespür für die Spieler, ist ein gestandener Mann und rhetorisch gut.

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Nun trifft Tuchel gleich auf seinen Ex-Klub, den Tabellenführer aus Dortmund. Würden Sie dem BVB die Meisterschaft gönnen?
Ich würde dem BVB den Titel gönnen. Falls die Dortmunder die Meisterschaft holen, würde ich mich darüber freuen. Wir wollen einen engen Kampf, den es in den letzten Jahren selten gegeben hat. Für das Ansehen der Liga ist das gut. Aber ich glaube, dass der Trainerwechsel in München zu einer für die Dortmunder nicht guten Zeit vollzogen worden ist. Das war natürlich auch der Grund, warum Bayern es gemacht hat.

Was für ein Spiel erwarten Sie am Samstagabend?
Ich bin überzeugt davon, dass wir ein gutes und enges Spiel sehen. Es wird für die Dortmunder schwierig. Ich würde mich freuen, wenn sie nicht verlieren, aber ich glaube nicht wirklich daran.