Essen. Darf die „Welt“ den Aufruf eines Tech-Milliardärs veröffentlichen? Ja. Ist es angemessen? Nein. Immerhin erfahren wir Interessantes.
Ein Aufruf, die AfD zu wählen, ist nicht ein Beitrag zur Stärkung der Meinungsfreiheit, sondern zu ihrer Schwächung. Bekanntlich ist die AfD eine in weiten Teilen antidemokratische, rechtsextremistische und damit verfassungsfeindliche Partei. Es wäre auch kein Akt der Zensur gewesen, darauf zu verzichten, die Ausführungen von Multimilliardär Elon Musk ungefiltert in der „Welt am Sonntag“ abzudrucken. Pressefreiheit bedeutet im Gegenteil die Freiheit einer politisch unabhängigen Redaktion zu entscheiden, was sie veröffentlicht und was nicht. Das Zensur-Argument ist zudem absurd, da Musk Inhaber eines der größten sozialen Netzwerke der Welt ist und somit seine Meinung nicht nur jederzeit irgendwie global veröffentlichen, sondern mit Hilfe von Algorithmen auch beliebig verstärken und Gegenmeinungen sogar aktiv verdrängen kann. Mit gelebter Meinungsfreiheit hat es also rein gar nichts zu tun, wenn eine Zeitung solche Gastbeiträge veröffentlicht. Darauf ist ein Elon Musk nicht angewiesen.
Eher stellt sich umgekehrt die Frage, inwiefern die „Welt“ auf Musk angewiesen war und ist. Dazu lassen sich zwei Dinge sagen: Erstens muss man einmal neidlos anerkennen, dass der „Welt“ mit dem Abdruck des Musk-Gastbeitrags ein echter PR-Coup gelungen ist, den sie bitter nötig hatte. Es war ja abzusehen, dass die Sache wie eine Bombe einschlagen und für maximale Empörung im politischen Betrieb und weit darüber hinaus sorgen würde. Das war kalkuliert. Auch ich beschäftige mich in dieser Kolumne mit dem Vorgang und mache ihn so, gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen anderer politischer Redaktionen, nicht kleiner. Ich nehme das in Kauf, weil die Macht, die Musk hat, ebenso wenig zu ignorieren ist wie die wachsende Stärke jener, die in Deutschland (und nicht nur hier) einen Systemwechsel anstreben, an dessen Ende Inhumanität und Unterdrückung stehen könnten. Es steht zu viel auf dem Spiel; Totschweigen funktioniert nicht (und wäre auch zutiefst unjournalistisch).
Springer-Konzern investiert in den USA
Es gibt womöglich aber noch einen anderen Grund für die „Welt“ und den dahinter stehenden Springer-Konzern, Musk zu hofieren. Springer engagiert sich zunehmend mit bedeutenden Investitionen in den USA. Es ist daher naheliegend, dass Vorstandschef Mathias Döpfner an einer guten Beziehung zur neuen US-Administration unter Donald Trump gelegen ist. Zu Elon Musk sucht Döpfner schon länger eine persönliche Nähe. Vor einigen Jahren bereits hatte er ihm den „Axel Springer Award“ verliehen. Mit diesem Preis will Springer eigenen Angaben zufolge Persönlichkeiten ehren, die in besonderer Weise innovativ sind, Märkte schaffen und verändern, und die durch ihr Handeln die Welt zum Besseren gestalten. Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, wie frei die Redaktion der „Welt“ tatsächlich war bei der Entscheidung, ob sie den ungewöhnlichen, maximal polarisierenden Schritt geht, kurz vor einer Bundestagswahl die Wahlempfehlung eines ausländischen Unternehmers abzudrucken.
Dass die Leiterin des „Welt“-Meinungsressorts, Eva Marie Kogel, sich zu dem ebenso drastischen wie bewundernswerten Schritt entschlossen hat, nach Abdruck des Musk-Textes zu kündigen, spricht eine klare Sprache. Klartext kam auch von ihrer Kollegin Franziska Zimmerer. Sie bleibt zwar offenkundig Ressortleiterin „Community und Social“, veröffentlichte als solche allerdings einen Meinungsbeitrag in der „Welt“, der es in sich hat. Musk, schreibt sie, sei „ein sehr reicher Mann mit der Impulskontrolle eines vierjährigen Kindes, das an der Kasse von Papa kein Ü-Ei bekommt“. Zimmerer findet, der Abdruck des Musk-Textes sei ein Fehler gewesen, da man „nach drei Sätzen“ erkenne: „Es handelt sich um einen unterkomplexen Wahlaufruf für die AfD, der ohne jedes Argument auskommt.“ Wahlaufrufe, egal für welche Partei, hätten „in unabhängigen Medien nichts zu suchen“. Es sei die „Aufgabe von Journalisten, Mächtigen auf die Finger zu schauen – nicht ungefiltert deren impulsgetriebene Zwischenrufe zu teilen“.
Dampf aus dem Kessel gelassen
Recht hat sie. Vollumfänglich. Mit dem grünen Häkchen hinter den Ausführungen Zimmerers ist es allerdings nicht getan, denn sie zeigen noch etwas Anderes: Ganz so schlimm scheint es um die innere Verfasstheit der „Welt“-Redaktion nicht zu stehen, wenn es immerhin möglich ist, dass sich ein Mitglied der mittleren Führungsebene in der Sache öffentlich gegen Verlag und Chefredaktion stellen kann. So konnte eine Menge Dampf aus dem Kessel gelassen werden. Und noch etwas spricht für die „Welt“: Sie hat Musks Elaborat ja keineswegs unkommentiert stehenlassen. Der designierte Chefredakteur, Jan-Philipp Burgard, antwortete Musk in derselben Ausgabe und bescheinigte ihm eine zwar richtige Diagnose des Zustandes Deutschlands, bewertete dessen „Therapieansatz“ jedoch als „fatal falsch“. Immerhin befeuere die AfD Deutschlands Austritt aus der EU und biedere sich Russland an. Das alles sei gefährlich beziehungsweise katastrophal, so Burgard, der einst zu den Musterschülern der Journalisten-Akademie in der Konrad-Adenauer-Stiftung gehörte.
Aber: Das Pro- und Contra-Format ist eigentlich ein rein redaktionelles. Dass ein Redakteur auf einen Gastautor antwortet, ist ziemlich ungewöhnlich. Man könnte Burgard, der in jungen Jahren sehr schnell sehr weit aufgestiegen ist, auch vorhalten, dass seine Gegenmeinung Musks Radikalpositionen in Wahrheit nicht relativiert, sondern, so analysierte es eine Kollegin im „Handelsblatt“, sogar legitimiert. Schließlich werde suggeriert, dass es in Sachen AfD ein „Einerseits“ und ein „Andererseits“ gebe. Das lasse außer Acht, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge – und genau das ist auch der Unterschied zu anderen Wahlaufrufen, die demokratischen Parteien zum Erfolg verhelfen sollen. Abgesehen von der Frage, ob Wahlaufrufe überhaupt in die Medien gehören, sehe ich hier durchaus einen qualitativen Unterschied. Übrigens müsste Burgard auch einmal sagen, warum die Redaktion mit Musk nicht ein kritisches Interview geführt hat, statt ihn ungestört ein weißes Blatt Papier füllen zu lassen, um es mal ganz analog auszudrücken.
Unterkomplexe „Gedanken“ Musks
Immerhin kennen wir jetzt die ungefilterten „Gedankengänge“ Musk, falls man diesen ChatGPT-ähnlichen Sprech so bezeichnen möchte. „Unterkomplex“ ist noch eine freundliche Beschreibung, wenn dieser angeblich so geniale Mann beispielsweise ernsthaft ausführt, die AfD könne gar nicht rechtsextrem sein, da deren Vorsitzende Alice Weidel mit einer gleichgeschlechtlichen Partnerin aus Sri Lanka zusammenlebe. Das würde ja nun wirklich nicht nach Hitler klingen. Was für ein Schwachsinn! Menschen sind widersprüchlich, lieber Herr Musk, und das, was prominente AfD-Funktionäre wie Björn Höcke von sich geben, klingt eins zu eins nach Hitler. Alice Weidel thematisiert ihr Privatleben ja aus gutem Grund nicht öffentlich, und wie sie ihrer Partnerin morgens beim Frühstück erklärt, dass sie Kanzlerkandidatin einer in weiten Teilen homophoben und fremdenfeindlichen Partei ist, weiß keiner. Es ist auch völlig schnuppe und geht uns nichts an.
Die AfD setze sich für eine „kontrollierte Einwanderungspolitik“ ein, fabuliert Musk. In Wahrheit geht es um hemmungslose Massenabschiebungen. Der frisch gewählte Spitzenkandidat der NRW-AfD, Kay Gottschalk, hat es gerade wieder auf die einfache Formel gebracht: „Abschieben, abschieben, abschieben.“ Wäre ja spannend zu sehen, wie Musk sein Tesla-Werk in Brandenburg betreiben will, wenn die AfD mit den Migranten in Deutschland kurzen Prozess macht – ein Werk, nebenbei bemerkt, gegen dessen Erweiterung wer gestimmt hat? Richtig, die Brandenburger AfD. Genial, genialer, Musk.
Wie genial ist Musk wirklich?
Vom „größten unternehmerischen Genie unserer Zeit“ spricht „Welt“-Chefredakteur Burgard in seiner Gegenrede. Vielleicht sollte er sich das noch einmal überlegen. Elon Musk hat dem Autokraten Trump massiv ins Amt des US-Präsidenten geholfen; er zerstört unsere Debattenkultur, wenn er den Bundeskanzler hemmungslos als „Idioten“ bezeichnet und den Bundespräsidenten, unser Staatsoberhaupt, als „antidemokratischen Tyrann“, über den „Schande“ kommen möge; jetzt greift er unser ohnehin schwächelndes demokratisches System frontal an. Das alles bleibt auch nicht ohne Wirkung auf die Musk-Marken. Nicht wenige früher stolze Tesla-Fahrer schämen sich inzwischen wegen ihrer Autos. Schon werden die anvisierten Verkaufsziele nicht mehr erreicht. Und das ist erst der Anfang vom Niedergang.
Immer mehr Kulturschaffende kündigen ihre „X“-Accounts, früher als „Twitter“ bekannt, weil sie das von Musk betriebene Netzwerk nicht unterstützen wollen. Auch viele prominente Politikerinnen und Politiker denken darüber nach, wie etwa die Düsseldorfer FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die kriegstüchtige Chefin des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament. Noch scheut sie den Schritt im Hinblick auf ihre fast 200.000 Follower, sagt aber im WAZ-Interview: „Am besten wäre es natürlich, wenn alle X-User gleichzeitig den Stecker ziehen würden.“
Donald Trump stoppt Musk
Elon Musk reißt womöglich mit dem Hintern ein, was er sich aufgebaut hat. Seine größte Stärke, diese unkonventionelle Radikalität, ist zugleich auch seine größte Schwäche. Seine Handlungen haben weniger etwas mit Genialität zu tun denn mit Langeweile. Ja, der Mann langweilt sich. Das ist wie bei Kindern, die alles haben, die alles bekommen, was sie wollen. Das produziert Langeweile. Da kann man mal etwas zündeln und, wie bei einem schlechten James-Bond-Film, einen auf Bösewicht machen, der die Weltherrschaft anstrebt. Und die Döpfners und Burgards dieser Welt stellen sich willfährig in den Dienst dieser dunklen Macht.
Wer stoppt Musk? Die Antwort überrascht vielleicht, aber ich sage voraus: Es ist Donald Trump. Trump wird es sich nicht lange ansehen, dass sich Musk zum heimlichen Weltherrscher aufschwingt, der Trump doch selbst sein will. Einer wie Trump beansprucht die gesamte Sonne für sich. Er wird Musk sehr schnell spüren lassen, dass der Unternehmer trotz seiner zig Milliarden Dollar nur ein kleines Licht ist.
Wähler entscheiden
Und im Hinblick auf die Bundestagswahl zitiere ich mal ganz staatsmännisch den Kanzler aus seiner Neujahrsansprache: „Wie es in Deutschland weitergeht, das bestimmen Sie – die Bürgerinnen und Bürger.“ Kunstpause. Und weiter: „Darüber entscheiden nicht die Inhaber sozialer Medien.“ So ist es. Die Menschen in Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Hattingen, Herne, Mülheim, Oberhausen, Recklinghausen, Velbert oder Witten brauchen keinen amerikanischen Tech-Milliardär, der sich für schlauer hält.
Sie haben es in der Hand, liebe Leserinnen und Leser. Ich wünsche Ihnen ein frohes neues Jahr. Auf bald.
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