Essen. Wie sage ich es meinem Kind, dass wir uns trennen? Soll meine Tochter entscheiden, wo sie künftig wohnt? Das raten Familienberater aus Essen.

Und dann ist Schluss. Doch mit der Trennung stehen viele Eltern vor neuen Herausforderungen: Wer sieht wann das Kind? Und wie können wir es gut begleiten, wenn wir getrennte Wege gehen? Die Fachkräfte in den Essener Familienberatungsstellen erleben, dass immer mehr getrennte Eltern Hilfe suchen. „Das ist keine kleine Nische mehr“, sagt Julia Seiffert von cse (Caritas-SkF-Essen). „Die Hälfte der Anfragen, die wir in unseren Beratungsstellen bekommen, befassen sich mit Trennung und Scheidung.“

109.561 minderjährige Kinder waren dem Statistischem Bundesamt zufolge im Jahr 2023 in Deutschland von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Hinzukommen die Kinder, deren Eltern unverheiratet sind und sich ebenfalls trennen. Viele dieser Abschiede liefen nicht harmonisch ab, da belasteten einige Konflikte die Menschen, so die systemische Familientherapeutin Julia Seiffert. Daher kooperieren die Essener Beratungsstellen und bieten einen speziellen Kurs für Eltern an, die bereits getrennte Wege gehen: „Kinder im Blick“. Das Angebot gibt es nun auch online.

Hier beantworten die Familienberaterin Julia Seiffert (45) und ihr Kollege Martin Verfürth (59) von „Familienraum“ in Essen-Borbeck Fragen, die getrennte Eltern sehr beschäftigen.

Wie sagen wir es den Kindern, dass wir uns trennen?

Wenn sich Eltern trennen, meinen sie, alles erklären zu müssen. Aber Julia Seiffert empfiehlt, möglichst klar und einfach zu formulieren. Zum Beispiel, dass Streit zwar normal ist, aber: „Dieser Streit ist jetzt so groß, den kriegen wir nicht mehr hin, und deswegen trennen wir uns.“ Kinder interessierten sich in dem Moment nicht für Schuldfragen. Sie möchten wissen: Wie geht es mit mir weiter? Werde ich Mama und Papa behalten? Wo werde ich künftig sein? „Kinder brauchen Sicherheit“, betont Julia Seiffert. Und dann sollten Eltern abwarten, welche Fragen das Kind hat.

Essen: Martin Verfürth und Julia Seiffert in der CSE-Beratungsstelle
Julia Seiffert (cse) und Martin Verfürth (Familienraum) arbeiten mit den anderen Essener Familienberatungsstellen zusammen und bieten gemeinsam den Kurs für getrennte Eltern an: „Kinder im Blick“. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Martin Verfürth rät Eltern, den Kindern zu vermitteln, dass sie sich zusammen entschieden haben, sich zu trennen. Selbst dann, wenn der Impuls nur von einem Elternteil ausgegangen ist. „Es ist immer hilfreich zu sagen, der Weg ist ein gemeinsamer.“ Und nicht gegen den anderen Elternteil zu „schießen“. „Damit treffe ich auch einen Teil des Kindes“, sagt der Familienberater. Das geht dann eventuell nach hinten los: „Kinder solidarisieren sich tendenziell eher mit dem angegriffenen Elternteil.“

Sollten Kinder entscheiden, bei welchem Elternteil sie künftig leben möchten?

Mütter und Väter sollten ihren Kindern nicht zu viel Verantwortung übertragen, betonen die Berater. Es gebe Eltern, die schon ihr Grundschulkind mitentscheiden lassen, wo es später an wie vielen Tagen die Woche wohnen möchte. Aber damit kommt das Kind womöglich in einen Loyalitätskonflikt. Das Kind könnte das Gefühl bekommen, sich mit seiner Entscheidung gegen einen Elternteil zu richten, erklärt Seiffert. „Das ist eine absolute Überforderung, das gehört gar nicht auf die Kinderebene“, sagt die Expertin. Stattdessen sollte man als Eltern schauen, wie es dem Kind bei Mama und Papa geht, wo es sich sicher fühlt. Da kann das Kind auch mitsprechen: Wie geht es dir eigentlich bei Mama? Wie geht es dir bei Papa? „Ansonsten wäre es manchmal hilfreicher, zu sagen: Wir haben das beispielsweise in der Beratung besprochen. Wir machen das jetzt so.“

Welches Wohnmodell ist ideal für getrennt lebende Familien?

Es gibt nicht das eine Wohnmodell, das ideal für alle getrennten Familien ist, so Julia Seiffert. Sie habe schon viele verschiedene Umgangsmodelle mit ausgearbeitet. Es kommt darauf an, wie die Eltern zueinander stehen. Auch ob der Weg zur Schule praktikabel bleibt, der Freundeskreis zu erreichen ist, Hobbys weiter durchgeführt werden können. Und wie die finanzielle Situation ist. „Ein Nestmodell mit drei Wohnorten kann sich nicht jeder leisten.“ Also ein Modell, bei dem die Kinder ihren Lebensmittelpunkt behalten, während die Eltern ausziehen und abwechselnd bei den Kindern leben.

Julia Seiffert am Dienstag, den 15. Oktober 2024, in der CSE-Beratungsstelle an der Dammannstraße in Essen. Wenn Eltern sich trennen: Wie begleiten Mütter und Väter am besten ihre Kinder? Erfolgreicher Workshop der Essener Beratungsstellen nun auch online. Foto: Uwe Ernst / FUNKE Foto Service

„Ein Nestmodell mit drei Wohnorten kann sich nicht jeder leisten.“

Julia Seiffert von der Essener cse-Familienberatungsstelle

Oft würde es auf ein Residenz, Wechsel- oder eben Nestmodell hinauslaufen. Beim Residenzmodell lebt das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil und ist zum Beispiel jedes zweite Wochenende beim anderen. Beim Wechselmodell wohnt das Kind zu etwa gleichen Teilen bei Mutter und Vater. Das kann als gerecht empfunden werden, doch Martin Verfürth gibt zu bedenken: Wenn ein Elternteil beruflich viel unterwegs ist und das Kind in der Zeit ständig bei den Großeltern oder einem Babysitter untergebracht wird, „ist das auch nicht optimal“.

Wie flexibel sollten solche Umgangsregeln sein?

„Es ist immer die Frage, wie können die Eltern miteinander reden?“, sagt Martin Verfürth. Wenn die Trennung vom anderen Elternteil ausging und man selbst gekränkt ist, greift man womöglich nach jeder weiteren Stunde mit dem Kind, auch um dem Ex-Partner eins auszuwischen. „Aber das ist nicht hilfreich.“ Der Berater empfiehlt, eine Umgangsregelung erst einmal ein halbes Jahr lang auszuprobieren und dann erst wieder zu diskutieren: „Ist das praktikabel oder nicht?“ Und nicht alle paar Wochen neu zu verhandeln. „Das ist das, was die Kinder am wenigsten haben können, wenn da ständig Regelungen geändert werden.“

Was können Mutter und Vater machen, wenn das Kind nicht zum anderen Elternteil gehen möchte?

„Was wollen Sie mit einem 15-Jährigen machen, der sagt: ,Egal, was Ihr vereinbart habt, ich gehe da jetzt nicht hin?‘“, sagt Martin Verfürth. Kinder, auch sehr kleine, könne man schlecht zwingen. Dann sei es wichtig, zu schauen, was hinter dieser Weigerung steckt. Für Kinder ist es zum Beispiel eine hohe Anforderung, wenn sie jede Woche ein anderes Zuhause haben, betont Julia Seiffert. Sie müssten das auch erstmal lernen. „Die Gefahr ist groß, dass man diese Weigerung ein bisschen unterstützt und sich darin bestätigt fühlt, dass der andere Elternteil vielleicht doch nicht so gut für das Kind ist.“ Aber der Kontakt zum anderen Elternteil sei wahrscheinlich doch wichtig für das Kind.

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„Ich muss versuchen, das Kind zu ermutigen“, empfiehlt Seiffert. Und vielleicht mit dem anderen Elternteil sprechen, warum sich das Kind weigert. „Ich erzwinge das nicht, aber ich gebe auch nicht einfach nach und sage: ,Dann lassen wir das jetzt.‘“ Manchmal sei auch die Übergabesituation für die Kinder problematisch, weil es dann wieder zu Streit zwischen den Eltern kommt, so Verfürth. Dann könne zum Beispiel eine Lösung sein, dass die Mutter das Kind zur Schule bringt und der Vater es von dort abholt.

Woran merkt man, dass Trennungskinder leiden?

Eltern müssten lernen, die eigenen Gefühle von denen der Kinder zu trennen. Man selbst kann verletzt sein. Doch das Kind ist womöglich nicht gleichermaßen enttäuscht von dem anderen Elternteil. Es sei notwendig, den Kindern eigene Gefühle zuzugestehen, die alle sein dürfen, so Seiffert. Vielleicht zieht es sich sehr zurück? Die Leistungen in der Schule werden schlechter? Oder es macht nachts wieder ins Bett? Eltern sollten dies beobachten, sich womöglich beraten lassen. Aber: „All diese Dinge können passieren, sie können auch erstmal normal sein.“ Denn wenn sich Mutter und Vater trennen, trauern Kinder um den Verlust des alten Familienlebens.

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Martin Verfürth empfiehlt, das Kind zu stärken, selber Lösungsansätze zu finden, bei Konflikten mit Freunden, in der Schule. Das sei eigentlich für alle Kinder wichtig. Aber besonders für Kinder in einer Trennungssituation, die eine stärkere emotionale Belastung darstellt. „Wenn ich lerne, Konflikte mit Gleichaltrigen zu lösen, dann traue ich mich auch, Mama und Papa zu sagen, was ich an der Trennungssituation gerade total Mist finde.“ Laut Verfürth gebe es durchaus auch Kinder, die sagen, dass sie die Trennung der Eltern zwar blöd finden, „dass aber der ständige Streit zwischen ihnen noch bescheuerter war.“

Wie man Kinder in einer Trennungssituation gut begleitet, lernen Mütter und Väter auch im Kurs „Kinder im Blick“. Mehr Informationen gibt es hier.

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