Dortmund/Gelsenkirchen. Helfer in der Fanzone, Fahnenträger im Stadion: Warum Freiwillige bei der Hymne Gänsehaut hatten und auf ein „Drecksloch“ stolz sind.

Sie sind die versteckten Stars dieser Europameisterschaft und zugleich ihr freundliches Gesicht: 16.000 freiwillige Helfer in ihren grün-grauen Uniformen haben die Fußballfans vier Wochen lang durch das Turnier begleitet. Je 1600 der sogenannten „Volunteers“ waren auf den Straßen und im Stadion von Gelsenkirchen und Dortmund unterwegs. Hier blicken fünf zurück auf die EM im eigenen Land.

Als Dortmunder Mädchen auf dem heiligen Rasen des Dortmunder Stadions: Sabrina Möller.
Als Dortmunder Mädchen auf dem heiligen Rasen des Dortmunder Stadions: Sabrina Möller. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Sabrina Möller, 32, Industriekauffrau aus Dortmund: Choreografie im Stadion
„Da stehst du als Dortmunder Mädchen auf dem Rasen im Dortmunder Stadion! Sonst kommt man da ja gar nicht hin, aber dann darfst du Schritte auf dem Rasen machen, der sonst so behütet ist. Was für ein Gefühl, so cool, so beeindruckend! Um dich herum feiern alle, mehr als 60.000, und die Millionen vor dem Fernseher nimmst du gar nicht auch noch wahr. Du singst die Nationalhymne mit, hast Gänsehaut und freust dich einfach, da zu sein. Als wärest du der Mittelpunkt und würdest gleich mitspielen.

Selbst wäre ich gar nicht drauf gekommen, mich zu bewerben, aber dann wurde der Turnerbund angefragt. Ich bin seit vielen Jahren Turnerin, inzwischen auch Trainerin. Bei „Ceremonies“ und „Choreografie“ dachte ich, es ginge um Tanzen und Turnen, aber letztlich bedeutet es, dass wir mit den Fahnen die Formation vor dem Spiel bilden. Die stammt von einem berühmten Choreografen, der schon mit Madonna gearbeitet hat, wir hatten drei Proben mit richtig professionellen Leuten. Du vergisst ganz, mit wem du da gerade arbeitest, machst das selbst ja just for fun.

Ich war einer von den blauen Streifen im UEFA-Logo, man muss genau mitzählen und seine Schrittfolge kennen. Am Ende ergibt sich bei mir das U von UEFA. Zweimal bin ich auch am „Central Icon“, dem Pokal selbst, eingesprungen, da wackelt man ein bisschen an dem Tuch und kann viel besser gucken, was um einen herum passiert. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass Albanien in Dortmund so ein großes Ding ist, so laut und so präsent. Wie stolz die sind, das ist einfach schön. Ein Mitgefühl, im positiven Sinne. Und ein einmaliges Erlebnis, ein Teil davon zu sein.“

LESEN SIE AUCH:
EM 2024: Wie Amine zum Feierbiest von Dortmund wurde

„Kein Mensch, kein Tier, das Volunteer“: Rebecca Singer wird künftig ihre Herkunft als „Shithole Gelsenkörchen“ angeben.
„Kein Mensch, kein Tier, das Volunteer“: Rebecca Singer wird künftig ihre Herkunft als „Shithole Gelsenkörchen“ angeben. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Rebecca Singer, 37, dreifache Mutter aus Gelsenkirchen: Fanzone und Stadion Gelsenkirchen
„Ein großes Glück, gleich zwei Bereiche betreuen zu dürfen. Im Stadion war ich so etwas wie ein Platzanweiser, da kenne ich mich aus: Ich bin seit Jahren als Volunteer bei Schalke. Noch glücklicher war ich in der Fanzone. So familiär, kein Tag wie der andere, so viele ausländische Fans, das hätte ich vorher nie gedacht. Sogar an Tagen, wenn nicht in Gelsenkirchen gespielt wurde, waren die internationalen Fans da. Wir hatten eine Familie aus England, Opa, Papa, Söhne, also drei Generationen, die waren immer wieder vor Ort, da kommt man ins Gespräch, ich habe ihnen Tipps gegeben. Wir haben viel gelacht in der Fanzone, vor allem, wenn wir unseren Spruch gesagt haben: ,Ich bin kein Mensch, ich bin kein Tier, ich bin das Volunteer.‘

Ich war das schon zur WM 2006, bei der Frauen-WM, auch bei der EURO in der Schweiz. Ich liebe das: den Leuten meine Stadt zu zeigen. Jedes Mal gewinne ich so etwas wie eine neue Familie. Es ist zeitintensiv, macht aber viel Spaß, zumal für einen Fußballfan wie mich...

Nach der Kritik an Gelsenkirchen – ich nenne das immer ,Shithole-Gate‘ – haben wir noch mehr getan, um zu beweisen, dass unsere Stadt nicht so ist. Kein Ort schafft es doch in so kurzer Zeit zu zeigen, wie schön er ist. Auch München nicht, für die Engländer auch nicht: Da gibt es ja kein richtiges Bier. Es war alles nicht so schlimm, wie es gekocht wurde. Wenn ich zu Auswärtsspielen reise, gucke ich mir auch nicht das Kulturelle an – und ich weiß, wie englische Städte sind. Über jeden Ort wird gemeckert, Düsseldorf ist auch nicht schöner. Wenn mich künftig jemand fragt, wo ich herkomme, dann sage ich: ,Aus Shithole Gelsenkörchen.‘ Und schon lacht man zusammen.“

„One World ist keine Utopie!“ Volunteer Michael Dösselmann kontrollierte am Dortmunder Stadion die Eintrittskarten.
„One World ist keine Utopie!“ Volunteer Michael Dösselmann kontrollierte am Dortmunder Stadion die Eintrittskarten. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Michael Dösselmann, 36, Lokführer aus Moers: Ticketing am Dortmunder Stadion
„Eine EURO im eigenen Land, das erlebt man maximal einmal. Dabei sein zu dürfen, noch dazu in diesem riesigen Stadion, dem geilsten von allen... Ich war schon immer begeistert vom Sport und auch vom Ehrenamt. Ich bin Fußballer, seit vielen Jahren Jugendtrainer in Köln und Bielefeld, ich habe auch Spieler trainiert, die bei dieser EM dabei sind. Als Volunteer ist man ganz nah dran am Turnier, zwar nur ein kleiner Teil davon. Aber jeder trägt dazu bei, dass es gelingt.

Zum ersten Mal habe ich das 2008 bei der EM in Österreich gemacht. Es entstehen Freundschaften, von einem meiner Volunteer-Freunde aus Österreich war ich später Trauzeuge; die Kontakte halten. Eigentlich wollte ich diesmal nach Düsseldorf, Dortmund hat sich dann aus beruflichen Gründen ergeben. Hier hatte ich bei der Ticket-Kontrolle so viele interessante Begegnungen mit Menschen aus aller Herren Länder. Aus Sambia, Ghana, aus Indonesien war einer wirklich nur wegen der EURO hier! Wir hatten tolle Gespräche, das erweitert ungemein den eigenen Horizont. Man merkt, dass viele Probleme, die wir auf der Welt haben, gar nicht nötig sind, dass man sich mit den Menschen super versteht. One World ist keine Utopie!“

Bewirbt sich wieder, wenn erst Olympia kommt: Saskia Hettkamp aus Oberhausen ist Volunteer in Gelsenkirchen.
Bewirbt sich wieder, wenn erst Olympia kommt: Saskia Hettkamp aus Oberhausen ist Volunteer in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Saskia Hettkamp, 26, Finanzwirtin aus Oberhausen: Fanzone Gelsenkirchen
„Ich habe mich zusammen mit meiner Mutter beworben, nachdem wir bei der Leichtathletik-WM in Berlin waren. So oft sind große Sportereignisse ja nicht im eigenen Land, wir wollten ein guter Gastgeber sein. Ich war ja nur ein kleiner Teil des großen Ganzen, aber wir Volunteers sind oft der erste Eindruck, den die Gäste von Deutschland haben; wir wollten das Land gut repräsentieren. Ich war in der Fanzone im Nordsternpark eingesetzt. Wir betreuen den Kicker, das Torwandschießen, die Fotoboxen – und passen zum Beispiel auf, dass keine Bälle eingesteckt werden. Und wir erklären, wann die Fans wie zum Stadion kommen. Da gab es sehr viele Fragen, wir fanden die Wegweiser zu den Shuttles selbst eher spärlich. Die Engländer, denen unsere Stadt so gar nicht gefiel, waren eigentlich gut drauf. Ich weiß nur nicht, ob die vom Spiel noch alles mitgekriegt haben...

Es war toll, so viele Leute aus ganz Europa zu erleben, die friedlich und super-freundlich zusammen Fußball geguckt haben. Die beste Stimmung war bei Spanien gegen Italien, da wurde schon im Zug gesungen, einige Spanier kamen als Flamenco-Tänzer verkleidet. Bei den Türkei-Spielen war die Fanzone sehr voll. Cool zu sehen, eine Super-Stimmung.

Ich werde mich wieder bewerben, wenn Olympia mal nach Deutschland kommt.“

So viele Menschen haben sich bei ihr bedankt: Paulina Swinke half behinderten Menschen ins Stadion.
So viele Menschen haben sich bei ihr bedankt: Paulina Swinke half behinderten Menschen ins Stadion. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Paulina Swinke, 21, Studentin: Betreuung beeinträchtigter Menschen im Dortmunder Stadion
„Ich bin fußballbegeistert und studiere Sonderpädagogik auf Lehramt, da passt der Bereich „Social Responsibility“ (Soziale Verantwortung) sehr gut. Natürlich unterstütze ich den BVB, aber eigentlich komme ich aus Hannover. Ich bin zum Studium in Dortmund, aber jetzt war ich jedes Mal hier im Stadion oder davor. Ich trage ein blaues Leibchen, auf dem Rücken ist ein Rollstuhl abgebildet. So habe ich sehr, sehr viele Wege gezeigt, vor allem Menschen mit Beeinträchtigung zu ihren Plätzen gebracht; der Eingang ist etwas versteckt. Es gibt auch ,Easy Access-Plätze‘, von denen aus man besonders gut sieht oder wo es einen Spielkommentar über Kopfhörer gibt.

Die Meisten sind sehr gut drauf, die Stimmung ist toll, alle freuen sich, dass es losgeht und ihre Mannschaft endlich spielt. Im Stadion habe ich kaum Konflikte erlebt, die Albanien-Fans haben sogar die Ronaldo-Gesänge der Portugiesen mitgesungen. Mega. Besonders hat mir das Miteinander im Team gefallen. Wir sind so viele, die bei dieser riesigen Veranstaltung mitmachen dürfen. Und die Menschen haben sich so oft dafür bedankt, dass wir sie unterstützt haben