Erst gruselnde Gestalten rund um Tod und Verderben, dann die urchristliche Botschaft von Mitgefühl und Frieden. Was passt besser in unsere Zeit?
Es klingelt an der Haustür, meine Frau ruft noch etwas Unverständliches wie „Nicht!“ oder „Nein!“, dann nimmt das Grauen seinen Lauf: Ich öffne, die Kaffeetasse noch in der Hand, und vor mir steht eine Horde von kleinen Zombies. In ihren kreidebleichen Gesichtern klaffen tiefrote Wunden. „Süßes oder Saures!“ raunt einer von ihnen und lässt mich dabei einen kurzen Blick auf sein Waffenarsenal werfen, zu dem unter anderem eine Zehner-Packung Eier der Güteklasse A gehört. Meine Laune sinkt sofort in Richtung Gefrierpunkt, und ich überlege, wie angemessen es wäre, wenn ich diesen Gören meinen nun nur noch lauwarmen Kaffee über die Verkleidung schütten würde.
Doch bevor ich etwas sage oder mache, schiebt mich meine Frau mit dieser für sie typischen „Ganz ruhig, Brauner!“-Geste zur Seite. Sie ist nämlich, wie immer, bestens vorbereitet. Die fiesen Figuren vor uns bekommen von ihr ein paar ordentliche Portionen Halloween-Süßigkeiten in Spinnen- und Totenkopf-Form zugesteckt, was der Ober-Zombie schließlich mit einem anerkennend-zischelnden „Glück gehabt!“ quittiert, und die Horde zieht weiter. Ich sehe den Horror-Kindern noch eine Weile nach, den Vorgarten und das Auto vor der Garage ängstlich im Blick. Dann inspiziere ich, als sie endlich unsere Nachbarn überfallen, die Süßigkeiten-Jumbo-Verpackung.
Man ist, was man isst
Das schrill rot-gelbe Zeugs sieht verboten aus. Ein Blick auf die Zutatenliste klärt auf: Zucker in allen Formen, die die Industrie zu bieten hat, dazu Aromen und alle E-Farbstoffe, die je von skrupellosen Chemie-Ingenieuren erfunden wurden. Wer das isst, davon bin ich überzeugt, wird selbst mit der Zeit zu einem Zombie. „Schön ist das nicht“, sage ich halb zu mir selbst, halb zu meiner Frau, füge aber, um uns kein allzu schlechtes Gewissen zu machen, hinzu: „Immerhin müssen sich die Kinder im nächsten Jahr nicht mehr verkleiden, um uns zu erschrecken.“ Doof für die Verkleidungsindustrie, gut für den Geldbeutel der Eltern.
Sie ahnen, liebe Leserinnen und Leser, ich bin kein Freund von Halloween. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Halloween ist ein importierter, hohler Brauch ohne Sinn und Verstand. Zwar gibt es am Vorabend zu Allerheiligen einen Bezug zu Toten und Geistern, was seinen Ursprung vermutlich im seinerzeit katholisch geprägten Irland hat. Doch dürfte das den meisten Grusel-Fans herzlich egal sein. Sie sind schlicht der Reklame der Süßwarenhersteller und der Verkleidungsindustrie allzu gern gefolgt und geben sich dem schnöden Kommerz hin. Der berühmte Kölner Kostümverkauf Karnevalswierts etwa macht nach Karneval den meisten Umsatz mit Halloween.
Eier auf die Windschutzscheibe
Nun könnte man dies noch achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Leider aber geht der Spaß allzu oft auf Kosten Dritter – und da hört er nunmal auf, der Spaß. Eier im Briefkasten oder an der Hauswand sind nicht lustig, sondern stellen eine Sachbeschädigung dar. Ein Kollege unserer Wirtschaftsredaktion hat erzählt, dass ihm Jugendliche Eier auf die Frontscheibe seines Wagens geworfen haben. Wie leicht kann ein solcher Eingriff in den Straßenverkehr zu Unfällen und damit zu Verletzten führen? Manche Supermärkte haben kurz vor Halloween keine Eier mehr an Jugendliche verkauft. Sie wussten wohl, warum.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Damit nicht genug. Mancherorts ist die Halloween-Nacht so eskaliert, dass die Polizei alle Hände voll zu tun hatte, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Einige Szenen erinnerten an die Silvester-Krawalle. In Hamburg mussten Wasserwerfer eingesetzt werden. Auch im Ruhrgebiet gab es Randale. Allein in Gladbeck zählte die Polizei rund ein Dutzend Einsätze aufgrund gezündeter Böller. Satte 150 Platzverweise musste die Polizei im Duisburger Stadtteil Hochfeld aussprechen. Hier hatten Jugendliche Böller und Eier auf Straßenbahnen und Sicherheitskräfte geworfen. Die Polizei sprach auf WAZ-Nachfrage von einer „beschämenden Zerstörungswut“.
Da hatten und haben viele nicht mehr alle Eier im Kühlschrank.
Sankt Martin als Gegenentwurf
Umso mehr freue ich mich nun auf die Tage rund um den 11. November, den Martinstag. Friedliche Lieder, bunte Laternen, nette Kinder, die mehr als die Süßes-oder-Saures-Alliteration für Arme hervorbringen. Und wenn es nur das Ich-bin-ein-kleiner-König-gib-mir-nicht-zu-Wenig ist. Man ist ja inzwischen dankbar für die geringsten Mühen, die sich die Kinder geben, bevor sie die Hand oder die Tüte aufhalten.
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Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Passt Sankt Martin nicht mehr in unsere Zeit, in der Nehmen seliger ist denn Geben? Passt Sankt Martin nicht mehr in unsere Ellenbogengesellschaft voller Egoisten, voller Hass und Gewalt?
Brenne auf, mein Licht!
Zur Erinnerung: Da war dieser römische Soldat, der sein Schwert – eigentlich gemacht, um damit Menschen zu töten – dazu benutzte, seinen warmen Mantel zu teilen und eine Hälfte einem frierenden Bettler zu schenken. Die Geschichte ist zu schön, um sie jenen Duisburger Rabauken zu erzählen, die unserem Fotografen in der Krawall-Nacht den Stinkefinger in die Kamera hielten. Sie würden nur lachen, blöd lachen. Aber vielleicht ist das auch zu kulturpessimistisch und man sollte es dennoch versuchen. Immer wieder.
Ich werde es in diesem Jahr etwas lauter singen als sonst: Du Sankt Martin, heil’ger Mann, zünde unsre Lichter an, tief im Herzen, nicht nur Kerzen, sollen bringen helles Licht.
Auf bald.
Ein Überblick: Martinsumzüge in der Region: