Verbier. Von wegen, die Engländer haben kein vernünftiges Skigebiet. Sie haben sogar ein grandioses! Es liegt nur nicht in Großbritannien, sondern in der Schweiz. Der Wintersportort Verbier im Kanton Wallis ist voll und ganz auf den englischen Geschmack ausgerichtet. Und das gefällt nicht nur den Briten.
London hat ein eigenes Skigebiet. Es liegt allerdings nicht auf der Insel, sondern in der Schweiz, und es hat einen französischen Namen: Verbier. Der Wintersportort im Kanton Wallis ist very british. Vielen kommt das Chaletdorf auf einem 1500 Meter hohen Sonnenplateau rund 70 Kilometer östlich des Genfer Sees vor wie "Klein-London".
Fast jeder spricht perfekt Englisch. Ältere Gentlemen treffen sich auf einen Whisky im Club, ihre Frauen zum High Tea im Café. Das junge Publikum bevölkert derweil bis spät in die Nacht stylische Lounge-Bars, die es ähnlich eingerichtet auch an der Themse gibt. Trotz knackigen Frosts stöckeln junge Londonerinnen auf Pumps und in knappem Designerfummel in die Lokale. Ihre Begleiter sind in feinstem Zwirn herausgeputzt.
Unendlich viele Pisten
Der Skiort inmitten des Skiverbunds 4 Vallées mit 410 Kilometern Pisten und 89 Liften wirkt zwar nicht so elitär wie Gstaad und nicht so mondän wie St. Moritz. Aber der Ort am Fuße des 3300 Meter hohen Mont Fort in Sichtweite des Großen St. Bernhard ist dennoch chic. Seine Mischung aus alpenländischer Architektur, französischer Lebensfreude und britischem Stil ist einzigartig. Das gefällt nicht nur, aber vor allem den Briten. Rund 20 Prozent der ständigen Einwohner Verbiers sind Engländer. Und fast jeder dritte Gast kommt aus Großbritannien.
"Die Engländer sind weit gereist und wissen, wo es schön ist", meint Ski- und Bergführer Christophe Gay-Crosier. Wie fast alle hier spricht er neben seiner Muttersprache Französisch auch perfekt Englisch und Deutsch. Mit seinen Gästen verlässt Christophe die Pisten, wann immer es die Schneelage zulässt. "Nicht etwa, weil die Pisten nicht gut wären", betont Christophe. Ganz im Gegenteil. Verbier bietet durch seine Einbindung in den Viertälerverbund unendlich viele Pisten und dank seiner Höhenlage optimale Schneeverhältnisse bis ins späte Frühjahr.
Übernachtung im Kloster
Berühmt aber ist Verbier in Skifahrerkreisen als Eldorado der Freerider. Aus der ganzen Welt kommen Sportler in die Westschweizer Alpen, um unberührte Tiefschneehänge zu durchpflügen und auf Skitouren die Erhabenheit der Alpen abseits des Pistenrummels zu erleben.
"Eine besonders schöne und für viele Gäste leicht zu bewältigende Tour ist die hinauf auf den St. Bernhard-Pass", erzählt Christophe beim Mittagessen auf der urigen "La Marlénaz"-Hütte oberhalb von Verbier. Mit Tourenski steigt man zunächst bis zum Hospiz auf. Dort isst man abends zusammen mit den Mönchen und übernachtet im Kloster. "Das ist auch für Nicht-Gläubige ein sehr eindrucksvolles Erlebnis", sagt Christophe.
Das Finale der Freeride World Tour und olypmische Fackeln
Nach dem Frühstück fahren die Ski-Tourengeher durch die unberührte Berglandschaft wieder hinunter ins Tal nach Verbier. Einst marschierten hier Julius Caesar und Napoleon mit ihren Armeen durch.
Wem der Aufstieg zu anstrengend ist, steigt in den Helikopter. Verbier ist einer der wenigen Orte in den Alpen, die die exklusivste Art des Skivergnügens anbieten. Die Landeplätze auf dem Rosablanche oder dem Petit Combin erreicht Christophe auch mit Muskelkraft - so wie viele junge Freerider aus der ganzen Welt, die kein Geld für Heliskiing haben.
Original Olympia-Fackeln
Die besten Profi-Freerider treffen sich dort jährlich zum Finale der Freeride World Tour. Vom 3223 Meter hohen Bec des Rosses stürzen sie sich dann extrem steile und schmale Rinnen hinunter, während das Publikum staunend vom Col des Gentianes aus zuschaut. Von dort startet die Mont-Fort-Gondel hinauf auf den höchsten Gipfel der 4 Vallées. Der Weg hinunter ist steil, oft von hohen Buckeln übersät und nur etwas für Könner.
Zwischen den Gipfeln Attelas und La Chaux finden Genussskifahrer die richtigen Pisten für entspannte Schwünge bis hinunter nach Verbier. Sonnenhungrige und Olympiafans trifft man im "L'Olympique". Das Restaurant mit Panoramabar von Verbiers Tourismusverbandspräsident Christian Sarbach befindet sich direkt in der Bergstation der Funispace-Gondel auf 2727 Metern. Hier oben hortet Sarbach einige ganz besondere Schätze: In Vitrinen sind unter anderem die Original-Fackeln von verschiedenen Olympischen Spielen zu sehen.
Strenge Bauvorschriften
Bei der Abfahrt ins Tal fällt der Blick auf das "Chalet d'Adrien". Das einzige Fünfsternehotel des Ortes ist in der ganzen Schweiz bekannt, weil Besitzerin Brigitte de Turckheim ihre Liebe zu Stoff-Teddybären hemmungslos auslebt. Neben den Hunderten Bären bleibt den Gästen meist auch die hervorragende Küche des Gourmet-Restaurants "La Table d'Adrien" in Erinnerung. Das Lokal mit einem Michelin-Stern gilt als bestes in Verbier.
Selbstverständlich befindet sich auch dieses in einem Chalet. Strenge Bauvorschriften lassen gar keinen anderen Baustil zu. Auch nicht bei neuen Großprojekten wie dem Hotel- und Appartementkomplex "Le Trois Rocs" direkt an der Talstation der Médran-Gondelbahn. Die klotzige Gondelstation aus Beton, Glas und Stahl ist eine der sehr wenigen Bausünden in Verbier. Zum Glück ist sie oft genug von Schnee verdeckt. (dpa)