Essen. . Der Deutsche Beamtenbund klagt: Bürger haben weniger Respekt vor der Verwaltung als früher. Gewalt und Aggressivität nehmen zu, sagt der Forscher. Beschimpfungen wie „totale Versager“ oder Schlimmeres sind an der Tagesordnung. Deshalb gibt es in den Amtsstuben auch Notfall-Codes oder Alarmknöpfe.

Als die Stadt Essen beschloss, für Roma-Flüchtlinge Notunterkünfte einzurichten, schimpften die Bürger: „Dann fliegen bald die Bomben.“ Auch Mülheimer sind bei Bürgerversammlungen nicht zimperlich. Im Planungsamt seien „totale Versager“; auch „Arschlöcher“ notierte der Protokollant zur Diskussion über ein Straßenbauprojekt. Zudem sieht der damalige „Tumult“ auf dem Papier viel hübscher aus, als er wohl tatsächlich war.

Dass der Respekt vor Beschäftigten im öffentlichen Dienst zunehmend sinke, beklagt der Deutsche Beamtenbund (DBB). „Saloppe Beleidigungen, Nötigung, Bedrohungen oder Tätlichkeiten, es kracht regelmäßig“, sagt Sprecherin Britta Ibald. Die Situation sei inzwischen so prekär, dass der DBB nun eine Mitgliederbefragung begonnen hat. Er will erfahren, wie schlimm die Lage wirklich ist.

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„Rathaus zum Hochsicherheitstrakt zu machen, wäre der falsche Weg“

Über Fragebögen ist dagegen die Stadt Mülheim bereits hinaus. Längst hat sie auf diesen Respektverlust reagiert. Derzeit schult sie ihre Beamten, macht sie stark für Konflikte mit dem Bürger. „Wir beschützen unsere Mitarbeiter und wappnen sie gegen Aggressivität“, sagt Personaldezernent Frank Steinfort. 150 Frauen und Männer mit starkem Publikumskontakt haben die Maßnahme bereits durchlaufen, weitere 850 sollen in den nächsten drei Jahren folgen.

Selbstverteidigungskurse durch die Polizei wie etwa beim Jobcenter in Oberhausen soll es allerdings nicht geben. Das Rathaus ist als Festung mit muskelbepackten Sicherheitsleuten und Metallschleusen an den Eingängen für Steinfort undenkbar. Viele Hilfen sind vielmehr subtil. Alarmknöpfe im Büro und Durchgangstüren, die stets die Flucht zu Kollegen erlauben.

In vielen deutschen Ämtern seien diese Maßnahmen oder auch Notfallcodes am Telefon inzwischen Standard, sagt DBB-Sprecherin Ibald und verbale sowie körperliche Attacken quer durch die Republik ein Problem. Gerade bei Arbeitsagenturen, Sozialämtern und Jobcentern, in der sogenannten Leistungsverwaltung, gebe es viele Konflikte. Doch tätliche Angriffe seien nicht die Regel. „Öffentliche Verwaltung zu einem Hochsicherheitstrakt zu machen, wäre der falsche Weg.“

Dennoch müssten Beamte nicht alles erdulden, findet Steinfort.

Besonders betroffen: Polizei, Feuerwehr und Sanitäter

Besonders schlimm sind laut Britta Ibald vom Deutschen Beamtenbund (DBB) nicht die Übergriffe in den Ämtern, sondern auf die Polizei, Feuerwehr und Rettungssanitäter.

Der Beamtenbund unterstützt daher auch die aktuelle Forderung der Innenministerkonferenz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte künftig härter zu bestrafen.

Rund 60 Personen im Jahr zeigt Mülheim nach üblen Beleidigungen und Bedrohungen an. Täglich müssten Verwaltungsangehörige unangemessenes Duzen, Beschimpfungen wie „Schlampe“ oder Drohungen wie „Ich weiß, wo Du wohnst“ ertragen. Dass mal ein Telefonhörer an den Kopf geworfen wird, berichtet eine Verwaltungsmitarbeiterin, sei jedoch eine Ausnahme. Dass man sogar nach Feierabend verfolgt wird, sei ein Extremfall.

Nicht immer richtet sich der Zorn der Bürger aber gegen Beamte. So wurde bereits in der Mülheimer Ausländerbehörde mal feiertags eine doppelverglaste Scheibe eingeschlagen, und in einem Oberhausener Jobcenter riss ein Kunde vor Wut ein Telefon aus der Wand.

Doch nicht nur in Rathäusern, auch in Schwimmbädern, Krankenhäusern oder im Außendienst gibt es Konflikte mit Bürgern. „Gewalt und Aggressivität nehmen zu – das liegt oft aber an beiden Seiten“, sagt Matthias Neu, der an der Hochschule Darmstadt über das Thema Gewaltprävention forscht. Souveränes Auftreten, wie es entsprechende Schulungen vermitteln, könnte brenzlige Situationen deeskalieren – bei allen Dienstleistern.

„Auch Akademiker greifen zu giftigen Kraftausdrücken“

Auslöser für Entgleisungen sind laut Neu meistens negative Nachrichten, daher sei die Situation in Behörden am schlimmsten, doch auch Schaffner oder Stewardessen erleiden tägliche Übergriffe. Unzufriedenheit mit der eigenen Situation und Stress seien zwei wichtige Faktoren dafür, nicht jedoch der Bildungsgrad: „Das geht quer durch alle Schichten. Auch Akademiker greifen zu giftigen Kraftausdrücken.“

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Das bestätigt auch Personaldezernent Steinfort. „Vom arroganten Professor bis zum Migranten, der nicht damit umgehen kann, dass eine Frau seinen Antrag ablehnt, sind alle dabei.“

Dementsprechend sind auch die neuen Tafeln vom Künstler Peter-Torsten Schulz im Rathaus – und demnächst auch in anderen Ämtern – für alle Mülheimer gedacht. „Glück kommt durch einander“ und andere Gedichte vom Ollen Hansen sollen eine positive Grundstimmung verbreiten. Damit es nicht mehr so häufig zu Beleidigungen kommt.