Essen. 10.831 Polizisten sind laut der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im vergangenen Jahr Opfer von Beleidigungen und tätlichen Angriffen geworden, fast 950 mehr als ein Jahr zuvor. Die GdP fordert daher strengere Gesetze. Von der Politik fühlt sie sich mit dem Problem bisher weitgehend allein gelassen.

In Gelsenkirchen ging eine 28-Jährige mit erhobenen Fäusten auf Polizisten los, kratzte, spuckte und beleidigte sie. Am Essener Hauptbahnhof prügelten sich Fußballfans erst untereinander, dann bewarfen sie die eingesetzten Polizisten mit Flaschen. Und als Beamte in Duisburg einen betrunkenen Autofahrer abführen wollten, schlug der mit Händen und Füßen um sich und versuchte, sie zu beißen.

Fälle wie diese sind offenbar Alltag für Polizisten in NRW. Um knapp 9 Prozent sind die Übergriffe gestiegen - von 10.831 im Jahr 2012 auf 11.780 Fälle 2013. Mehr als 1800 Polizisten wurden dabei verletzt, sechs von ihnen schwer. Das berichtete die GdP am Donnerstag bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss des Landtags. Sie unterstützt damit die Gesetzesinitiative der CDU-Fraktion, Gewalt gegen Polizeibeamte härter zu bestrafen.

GdP-Chef sieht neue Qualität der Gewalt

„Wir brauchen ein klares Signal, dass diejenigen, die den Staat schützen, auch selber geschützt werden, wenn sie angegriffen werden“, sagte der GdP-Vorsitzende Arnold Plickert im Ausschuss. Die CDU-Forderung nach einer Mindeststrafe sei deshalb richtig. Es gebe immer noch viele Gerichte, die Angriffe auf Polizisten als Bagatelldelikte abtun würden, die zum Berufsrisiko gehörten.

„Der Großteil der Angriffe findet bei Routineeinsätzen wie Festnahmen, Personen- und Verkehrskontrollen, Einsätzen wegen Ruhestörung und bei Demonstrationen und Fußballspielen statt“, sagte Plickert. „Immer häufiger reicht aber auch schon das bloße Erscheinen aus, dass meine Kolleginnen und Kollegen angegriffen werden. Das ist eine neue Qualität der Gewalt. Alle 50 Minuten wird in NRW ein Polizist Opfer eines Angriffs. Deshalb muss der Gesetzgeber endlich handeln.“

Polizisten sind heute keine Autoritätspersonen mehr

Zwei Trends hätte der Staat zu spät erkannt, die die GdP als Gründe für die steigende Gewalt ausmacht. Der erste: Obwohl die Kriminalität insgesamt abnehme, gebe es eine kleine Gruppe in der Bevölkerung, die immer mehr verrohe. "Heute wird nachgetreten, möglichst ins Gesicht, eine Hemmschwelle gibt es nicht mehr", sagt GdP-Sprecher Stephan Hegger.

Der zweite Trend: Weil die Gesellschaft heute liberaler sei als früher, würden Polizisten nicht mehr als Autoritätspersonen gelten. "Für die Verlierer dieser Modernisierung hat die Gewalt eine Ersatzfunktion. Und die Polizisten sind ihr Feindbild", erklärt Hegger.

Wissenschaftler halten härtere Strafen für wenig wirksam

Von einer Strafverschärfung sollen nach Ansicht der CDU auch Feuerwehrleute, Katastrophenschützer und Rettungsdienste profitieren. „Dies kann zur Gewaltreduzierung führen“, meinte auch Erich Rettinghaus für die Polizeigewerkschaft.

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Das blieb am Donnerstag aber nicht unwidersprochen. SPD und Grüne lehnen die CDU-Initiative ab. Es sei nachgewiesen, dass „die Höhe der Strafandrohung keinen Einfluss hat auf die Begehung einer Straftat“, befand auch Professor Thomas Feltes (Uni Bochum).

Der Kriminologe riet der Politik, mit der Forderung nach härteren Strafen zurückhaltend zu sein. Sie erwecke ansonsten den Eindruck, sich nicht um die komplexen Ursachen eines sozialen Phänomens kümmern zu wollen.

Das Pfeiffer-Institut in Hannover sprach einer Mindeststrafe allenfalls eine „symbolische Wirkung“ zu. Es riet Polizisten, für mehr Verständnis zu werben, etwa mit regelmäßigen Schulbesuchen. „Die Polizei hat es selbst in der Hand, das Vertrauen und den Respekt zu erhöhen“, so Vize-Direktor Dirk Baier.

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Umdenken auch in den eigenen Reihen nötig

Schon 2012 zeigte eine Studie der GdP, dass Übergriffe auf Polizisten an der Tagesordnung sind. 80 Prozent der rund 18.000 befragten Polizisten hätten schon einmal Beleidigungen oder tätliche Angriffe erlebt. Vier von zehn der angegriffenen Polizisten verzichteten auf eine Anzeige. Häufigster genannter Grund: "Das Verfahren wäre bestimmt eingestellt worden."

Aber auch die Sorge um Nachteile im Dienst, etwa weil der Vorgesetzte Anzeigen nicht gutheißen würde, führten die Beamten an. Bei der Polizei selbst müsse daher ein Umdenken stattfinden, fordert Hegger: "Wir brauchen in den Dienststellen eine Atmosphäre, in der man auch sagen kann, dass man angegriffen worden ist. Wir müssen ganz offen darüber reden. Nicht, um uns selbst zu bemitleiden, sondern um die Probleme zu lösen."