Unna. . Bei der Bundestagswahl ist Malte Spitz einer der jüngsten Kandidaten überhaupt. Innerhalb seiner Partei hat der Grünen-Politiker bereits eine steile Karriere hingelegt - auch, wenn das öffentliche Reden für ihn mehr Anstrengung bedeutet als für andere. Nun will der Netzpolitiker in den Bundestag.

In der Geschäftsstelle der Grünen in Unna sieht es in etwa so aus, wie sich das bürgerliche Lager Räumlichkeiten der Umweltpartei vorstellt: In wimmelbildhafter Unordnung sitzen scheinbar planlos Pulloverträger beisammen, wer hereinkommt, dem wird umgehend frisches Obst angeboten, und irgendwo krabbelt immer ein Kleinkind auf dem Boden herum.

Immerhin: Hier, in der Altstadt von Unna, sieht Politik wieder richtig jung aus. Und das liegt nicht nur am kleinen Hannes, der von seiner Krabbeldecke mit großen Augen neugierig aufblickt. Es liegt auch an seinem Vater. Der ist mit seinen gerade mal 29 Jahren selber blutjung – jedenfalls im Vergleich zu dem, was im etablierten Politikbetrieb sonst so auf dem Markt ist.

Malte Spitz ist einer der jüngsten Bundestagskandidaten überhaupt und hat am Sonntag mit Listenplatz Nummer 16 der NRW-Grünen sogar Chancen, als einer der jüngsten Abgeordneten in den Bundestag einzuziehen. Doch damit fängt die Liste der Besonderheiten des Berufspolitikers Malte Spitz erst an.

Bei den Grünen legte Malte Spitz eine Blitzkarriere hin

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Bei den Grünen in Unna, das spürt man sofort, ist der gebürtige Münsterländer Chef im Ring. Ein junger Mann, nicht gerade schmächtig gebaut, der zum Leitwolf taugt, ohne unsympathisch zu wirken. „Politik ist ein brutales Geschäft. Ohne Selbstbewusstsein geht es kaum“, gibt Spitz unumwunden zu. Wir werden gleich erfahren, welche Härten der Betrieb ihm selbst schon abgetrotzt hat.

Bei den Grünen legte Spitz eine Blitzkarriere hin. 2006 wurde er in den Bundesvorstand gewählt, da war er gerade 22. Dreimal setzte er jeweils in Kampfabstimmungen seine Wiederwahl durch.

Der Bundesvorstand ist der innerste Machtzirkel der Grünen. Ihm gehören nur sechs Mitglieder an. Parteichefin Claudia Roth, Parteichef Cem Özdemir und Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sind die bekanntesten Gesichter. Malte Spitz zählt mithin zu den einflussreichsten Grünen der Republik.

Grimme-Online-Award für Telefondaten-Projekt

Spitz kam der Partei gerade recht. Ein Netzaktivist. Jemand, der sich auskennt mit dem allgegenwärtigen Internet. Aufsehen erregte er 2009, als er den Mobilfunkbetreiber T-Mobile auf die Herausgabe seiner Vorratsdaten verklagte und diese später in der „Zeit“ veröffentlichen ließ. Dafür gab’s 2011 sogar den Online Award des Grimme-Instituts.

Leute wie Spitz sind rar gesät in der etablierten Parteienlandschaft. Geht es um Datenschutz, Netzneutralität, NSA-Skandal – da kann Malte Spitz sachkundig mitreden. Doch das wollen viele gar nicht hören. Aus O-Ton-Berichten der Abend-Nachrichten wird er regelmäßig herausgeschnitten, in TV-Talkshows ist er nicht präsent.

Und eine Berliner Radioreporterin hatte einmal die Unverfrorenheit, ein Interview mit ihm kurz nach Beginn abzubrechen, „wegen technischer Probleme“. Eine glatte Lüge. Das „technische Problem“ bestand aus nichts anderem als einem sehr menschlichen Handicap: Malte Spitz stottert.

Wenn das Rednerpult zum Sprungturm wird

Körperbehinderung, ein Minister im Rollstuhl, das kennt man. Aber Stottern? Gehört die flüssige Rede vor vielen Leuten nicht zur wichtigsten Grundfertigkeit in der Politik? Damit wollte sich Malte Spitz nie abfinden. „Politik ist meine Leidenschaft“, sagt er und setzt seinen Lebensweg gegen seine Sprechstörung.

Dass die Worte nicht so aus ihm herauskommen, wie er es gerne hätte, darunter leidet Malte Spitz schon von klein auf. Trotzdem wurde er erst Klassensprecher, dann Schulsprecher, später Bundesgeschäftsführer der Grünen Jugend. Heute hält er Reden vor 750 Parteitagsdelegierten.

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Der Mann ist ein Kämpfer. Reden vor großem Publikum sind für ihn „wie ein Halbmarathon“. Das Rednerpult wandelt sich dann „zum 20-Meter-Sprungturm“. Bis zu 70-mal probt er, bevor er aufs Podium steigt. Ein Redecoach hilft. „Doch vor wichtigen Reden kann ich meist schlecht schlafen.“

Vor drei Jahren zerrte „The King’s Speech“, der oscarprämierte Streifen über den stotternden britischen König Georg VI., das Thema aus der Tabuecke. „Richtig so“, meint Malte Spitz. Auch er geht offen damit um. „Was soll ich sonst machen. Man hört es ja.“ Die Menschen müssten es halt aushalten können, „wenn da jemand stottert.“ Bald vielleicht auch im Bundestag.