Witten. . Natürlich achtet der Zuhörer bei ihm auf jedes Wort. Wartet darauf, dass er stolpert, Silben wiederholt. Doch Gerd Riese redet ruhig und flüssig. Nur ganz selten verhakt er sich an einem Wort. Wer es nicht weiß, dem fällt nicht auf, dass der 61-Jährige manchmal stottert. Iin der VHS-Leseecke erzählt er von Menschen, denen die Sprache mehr oder weniger zu schaffen macht.

Natürlich achtet der Zuhörer bei ihm auf jedes Wort. Wartet darauf, dass er stolpert, Silben wiederholt. Doch Gerd Riese redet ruhig und flüssig. Nur ganz selten verhakt er sich an einem Wort. Wer es nicht weiß, dem fällt nicht auf, dass der 61-Jährige manchmal stottert. Demnächst ist der Autor in der Vhs-Leseecke zu Gast. Um von Menschen zu erzählen, denen die Sprache mehr oder weniger zu schaffen macht.

„King George, Chagall, die Monroe und wir“ heißt das über 200 Seiten starke Buch, das Riese im Auftrag eines Verlags schrieb und im März beendete. Keine Betroffenheitsliteratur erwartet das Publikum, sondern ein Werk mit künstlerischem Anspruch. „Mir hat die literarische Qualität imponiert“, sagt Theo Scheiermann, der Riese für die Leseecke gewinnen konnte.

Der Autor selbst sagt zum Buch, dass er über das Thema Stottern Spannenderes schreiben wollte, als es sonst darüber zu lesen gibt. Dass er überhaupt darüber schreiben wollte, „weil viele wenig darüber wissen“. Deshalb richtet Riese sich auch nicht nur an eine kleine Zielgruppe, sondern an alle, die irgendwie mit einem Hindernis im Leben ringen.

Er porträtiert in seinen „Erzählungen aus dem Leben stotternder Menschen“, so der Untertitel, sechs Prominente. Zum Beispiel den britischen König George VI. Dass der stotterte, wissen die meisten spätestens seit „The King’s Speech“, dem Kino-Hit des letzten Jahres. Dass der Maler Marc Chagall 1897 von der Schule flog, weil er stotterte, dürfte vielen neu sein. Auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein, die Schauspielerin Marilyn Monroe, die Schriftstellerin Maxi Wander und der Grünen-Politiker Malte Spitz hatten oder haben diese genetische Veranlagung, wie Riese erklärt. „Bestimmte Sprachvermittlungssynapsen funktionieren bei uns nicht.“

Gerd Riese, der in Kettwig aufwuchs, in Marburg studierte, Lehrer an einer Schule für geistig Behinderte war, zuletzt in Dortmund und seit einem Jahr in Witten wohnt, kennt Phasen, in denen das Stottern sein Leben bestimmte. Als Kind schickten ihn die Eltern zu diversen Therapien – „keine mit durchschlagendem Erfolg“. Weil „das ganze Sprechen damals ein Fehler war“, entwickelte Riese einen unheimlichen Ehrgeiz, richtig zu schreiben. Diktate lieferte er mit null Fehlern ab. Nur einmal schrieb er Kartoffel mit einem „f“. Daran erinnert er sich noch heute.

Dass er inzwischen einen Lyrikwettbewerb gewonnen und sein zweites Buch veröffentlicht hat, liege aber nicht daran, dass er aufgrund des Stotterns geübt im wendigen Umgang mit Sprache sei. Natürlich: Will ein Wort nicht aus dem Mund, sucht Riese schnell ein Synonym dafür. Doch habe er einfach Lust am Schreiben und genug Fantasie, sich Geschichten auszudenken.

Die tragen auch mal autobiografische Züge. Doch Selbsthilfegruppen besuchte der Autor nur, um Stoff für seine Erzählungen zu sammeln. Und Sitzungen beim Logopäden seien längst nicht mehr sein Thema. „Das ist für andere gut, aber nicht für mich.“ Was ihm tatsächlich geholfen hat: „Ich verstecke mich nicht mehr.“ Denn als er sich aus Angst zu versagen bemüht habe, sein Stottern zu verbergen, „ging der Schuss nach hinten los“, erinnert sich Riese an den Workshop, bei dem er ein Gedicht vortragen sollte und schließlich kein Wort herausbrachte.

Ganz offen spricht er heute über sein Handicap. Stellt sich vors Publikum und sagt, was Sache ist. Und so wird er das auch bei der Lesung in einer Woche wieder machen.