Hannover. . Trostpflaster nach der herben Niederlage bei der Spitzenkandidatur: Die Grünen haben am Samstag Parteichefin Claudia Roth mit einem sehr gutem Ergebnis im Amt bestätigt - auf ihrem Parteitag in Hannover beschlossen die Grünen zugleich eine Kurskorrektur für ein schärferes soziales Profil.

So also sieht Versöhnung bei den Grünen aus. Jubel schon, bevor Claudia Roth überhaupt ein Wort gesagt hat, Beifallsstürme zwischendurch. Und vorn am Rednerpult die Vorsitzende, die sich ihre Wut und Enttäuschung in einer kämpferischen Rede aus dem Leib schreit: „Ihr müsst ehrlich beanworten, ob das Vertrauen in mich und meine Arbeit noch da ist – ob ich noch die Richtige bin, so wie ich bin.“ Sie werde sich nicht ändern, ruft Roth mit heiserer Stimme: „Das Nerven gewöhne ich mir auch nicht ab.“

Die Antwort kommt schnell: Mit 88,5 Prozent der Delegiertenstimmen wird Roth auf dem Parteitag in Hannover als Vorsitzende wieder gewählt, beim letzten Mal hatten nur 79 Prozent für sie votiert. Ein gutes, aber kein überwältigendes Ergebnis also eine Woche nach der Abfuhr bei der Spitzenkandidaten-Urwahl, als Roth auf nur 26 Prozent gekommen war.

Claudia Roth zwischen Trauerstimmung und Kampfmodus

Roth hat den Parteitag spüren lassen, wie tief sie diese Niederlage getroffen hat nach fast zehn Jahren auf dem Chefposten. In sich gekehrt, oft mit versteinerter Miene saß die Vorsitzende auf dem Podium, die Garderobe ausnahmsweise nicht bunt, sondern in gedeckten Farben. Jetzt spricht sie, zeitweise den Tränen nah, von „Stunden mit Schatten“ und einer „Bewerbung mit Nachdenklichkeit“.

Aber schnell schaltet Roth wieder auf Kampfmodus: „Die Trauerzeit ist vorbei.“ Die Grünen müssten für die Ablösung der Regierung Merkel kämpfen, sie werde sich da „voll reinhängen“ für die „großen Gerechtigkeitsfragen“ und eine moderne Gesellschaftspolitik. Der Parteitag nimmt es dankbar auf - erleichtert auch, dass Roth den Grünen eine quälende Nachfolgedebatte erspart hat, die den Aufbruch ins Wahljahr vermasselt hätte.

Roths Traum von einem Ministeramt hat kaum Chancen

Ob nun alles wieder gut ist? Einerseits kann sich Roth damit trösten, dass die Abfuhr bei der Spitzenkandidatur offensichtlich kein Misstrauensvotum war - die Basis hatte da eher den Wunsch, ein ausgewogen links-rechts besetztes Wahl-Team zu bilden. Andererseits: Roths Job ist jetzt noch ein wenig undankbarer. Hinter den Spitzenkandidaten Trittin und Göring-Eckardt verlieren die ohnehin mit wenig Autorität ausgestatteten Vorsitzenden noch einmal an Macht.

Das wird auch für den Zugriff auf ein Ministeramt gelten, wenn die Grünen 2013 wieder an der Bundesregierung beteiligt sein sollten. Die 57-jährige Roth hätte gern einmal im Kabinett gesessen, daraus wird kaum noch etwas. Bescheiden muss sich vorerst zwar auch der Co-Vorsitzende Cem Özdemir, den der Parteitag mit 83 Prozent zum dritten Mal in das Amt wählt - aber der 46-Jährige hat noch Zeit.

Hartz IV, Rente, Reichensteuer - Die Grünen schärfen auf Parteitag ihr soziales Profil 

Der neue Bundesvorstand ist im übrigen auch sonst der alte: Steffi Lemke bleibt Politische Geschäftsführerin, Benedikt Mayer Schatzmeister, weitere Mitglieder sind Malte Spitz und Astrid Rothe-Beinlich. Geschlossenheit ist zum Start ins Wahljahr die Devise, die Grünen setzen sie erstaunlich konsequent um - personell und weitgehend auch inhaltlich.

Der Trend geht nach links, der Parteitag setzt klare Zeichen für eine Umverteilungspolitik: In den Wahlkampf ziehen die Grünen auf Vorschlag des Parteivorstands mit der Forderung nach höheren Sozialleistungen. Der Hartz-IV-Regelsatz soll in einem ersten Schritt von jetzt 374 auf 420 Euro im Monat erhöht werden. Alle Strafen gegen Hartz-IV-Bezieher, die zum Beispiel eine Arbeit ablehnen, sollen mit einem „Sanktionsmoratorium“ ausgesetzt werden. Gefordert wird stattdessen eine „Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe“ mit Wunsch- und Wahlrechten für Arbeitssuchende.

Bedingungsloses Grundeinkommen - Grüne greifen Piraten-Thema auf

Der Antrag von NRW-Grünen um Landeschef Sven Lehmann, die Hartz-IV-Sanktionen komplett abzuschaffen, scheitert nach leidenschaftlicher Debatte indes knapp; auch andere Versuche des linken Parteiflügels, etwa die Rente mit 67 wieder abzuschaffen, blieben erfolglos. Die Grünen fordern aber eine steuerfinanzierte Garantierente für alle, „die dem Arbeitsmarkt mehr als 30 Jahre zur Verfügung standen oder Kinder betreut haben“, einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, einen sozialen Arbeitsmarkt oder eine Kindergrundsicherung.

Über ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Teile der Partei fordern, soll jetzt gründlich diskutiert werden. Es gehe um eine gerechtere Gesellschaft an, die niemanden zurücklasse, beschreibt Parteichef Özdemir den Kurs. Zur Finanzierung soll der Spitzensteuersatz für Einkommen ab 80.000 Euro von 42 auf 49 Prozent angehoben, eine Vermögensabgabe eingeführt und die Erbschaftssteuer massiv erhöht werden. Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer ruft den Delegierten zu: „Umverteilung ist eine Glücksstrategie.“

Am Sonntag steht noch eine heikle Debatte um die Atomendlager-Suche bevor. Die niedersächsischen Grünen wollen die Bundespartei darauf festlegen, dass der Salzstock Gorleben bei einem parteiübergreifenden Endlager-Konsens von vornherein bei der Suche ausgeschlossen wird - damit wäre den laufenden Gesprächen mit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) über ein Endlagersuchgesetz die Basis entzogen. Das wäre auch eine Niederlage für Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, der über Monate mit Altmaier verhandelt hatte.