Duisburg. . Zwei Tage nach dem tödlichen Angriff eines Tigers auf seine Pflegerin im Kölner Zoo ist eine Debatte um die Raubtierhaltung in Zoos entbrannt. In die Revier-Zoos strömten die Besucher indes wie gewohnt. Auch vor dem Tiger-Gehege im Duisburger Tierpark standen gestern wieder Jung und Alt.

„Toll“, ruft der fünfjährige Janis. „Mama, guck mal, der Tiger trinkt.“ Am Tag zwei nach der Tiger-Attacke von Köln, tummeln sich Besucher am Tigergehege im Duisburger Zoo. Angst vor den großen Katzen? Fehlanzeige. „Geld für Afrika haben wir nicht“, sagt Wolfgang Hallemba (58), deshalb sei er mit den Kindern hier. Sie sollen die Raubkatzen live sehen. „Eine Dokumentation im Fernsehen“ ersetzt auch für Jan (22) und Laura (21) das lebende Tier nicht.

Im Angesicht eines der drei Duisburger Amur-Tigers wird Kritik nicht laut. Weder vor dem Käfig, noch hinter den Kulissen. „Zoos haben sich verändert“, erklärt Jochen Reiter, wissenschaftlicher Leiter des Duisburger Zoos. „Früher haben Direktoren nur gesammelt, um auszustellen.“ In den letzten Jahren habe man die Gehege vergrößert, den Tieren Spiel- und Rückzugsräume eingerichtet. „Wir versuchen, den Spagat zwischen einer modernen, anspruchsvollen Tierhaltung bei gleichzeitig guter Präsentation für den Betrachter“, so Reiter. Im Schnitt honorieren eine Million Menschen dieses Vorhaben. Jährlich.

Große Reservate für Wildtiere

„Zoos sind grundsätzlich nicht geeignet, größere Säugetiere zu halten,“ meint hingegen Prof. Birgit Pfau-Effinger. Sie leitet an der Uni Hamburg die bundesweit einzige Forschergruppe, die das Verhältnis der Gesellschaft zu Tieren wissenschaftlich unter die Lupe nimmt. Sie plädiert für große Reservate, wo Wildtiere von Menschen ungestört leben können, wie etwa die Wölfe in den Wäldern Sachsens. „Der Tiger in Köln hat sich artgerecht verhalten, er ist und bleibt ein Raubtier.“

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Die Soziologin stellt den Sinn von Tierparks und Zoos grundsätzlich in Frage. „Im 19. Jahrhundert wurden sie gegründet, um Menschen die Natur und fremde Tiere näher zu bringen. Das hat sich überlebt.“ Auch den Wandel der Zoos zu großen „Erlebniswelten“ sieht sie skeptisch. Prof. Pfau-Effinger: „Es geht dabei in erster Linie um die Zuschauer. Sie sollen den Eindruck haben, die Tiere seien dort gut aufgehoben.“ Dadurch sollen auch mehr Besucher angelockt werden. Ob die Haltung der Tiere tatsächlich artgerecht ist, sei eine andere Frage.

Dieser Ansicht widerspricht Prof. Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoos, energisch. Der Unfall in Köln sei kein Grund, die Haltung wilder Tiere grundsätzlich zu kritisieren. Doch müsse sich jeder Zoodirektor heute die Frage stellen: Warum halte ich bestimmte Tiere? „Die Menschen auf die Schönheit der Natur hinzuweisen oder auf die Bedrohung von Tierarten – das sind gute Gründe.“ Das bedeute aber auch, die Tiere artgerecht zu halten, um den Besuchern zu zeigen, wie sie leben und sich verhalten.

Tierschützer zweifeln an artgerechter Haltung

Wobei eine artgerechte Tierhaltung im Zoo von sämtlichen Tierschutzorganisationen in Frage gestellt wird. „Tragödien wie diese können zukünftig nur verhindert werden, wenn Menschen es nicht mehr als Freizeitspaß ansehen, Wildtiere mit einem enormen Freiheitsdrang in qualvoll engen Gehegen anzugaffen. Dafür muss ein Paradigmenwechsel her“, sagt Diplom-Zoologe Peter Höffken, Zoo-Experte bei PETA. „Bestimmte Tierarten wie Großkatzen, Eisbären oder Menschenaffen leiden immens unter der Gefangenschaft und müssen aus den Zoos verschwinden.“ Allerdings wäre ein Paradigmenwechsel damit nicht erreicht.

Mal abgesehen davon, dass heute mit geschätzten 5000 Tieren mehr Tiger in Gefangenschaft als in der freien Wildbahn (3200) leben. Von diesen 5000 Katzen vegetiert der Großteil in amerikanischen Privathaushalten oder auf chinesischen Farmen vor sich hin. Dort leben sie, um für die klassische chinesische Medizin getötet zu werden. Da klingt das Schicksal Zoo doch als prima Alternative. Selbst Jörg Ehlers von der Umweltstiftung WWF räumt Zoos heute ihre Berechtigung ein: „Der Art­erhalt in Gefangenschaft könnte zum letzten Notnagel werden“, sagt er. Das Verhältnis Mensch zu Tier bleibt ein schwieriges.