Köln. . Einen Tag, nachdem der sibirische Tiger „Altai“ im Kölner Zoo seine Pflegerin tötete, ist noch immer nicht klar, warum die Raubkatze die 43-Jährige angriff. Vielleicht wollte er seine drei Kinder verteidigen? Als erwiesen gilt indes, dass es die Pflegerin selbst war, die die Tür zum Tiger offen stehen ließ.
„Hallo Tiger“, heißt ein Kinderbuch, das sie im Zooladen von Köln verkaufen, der auch Tiger-T-Shirts führt. Putzig lacht das Tier vom Titel, bloß: Der Tiger ist tot. Denn Tiger sind nicht niedlich. Und dieser, Altai aus Köln, „Panthera Tigris Altaica“, sibirische Art, aber geborener Brite, vier Jahre alt, hat am Samstag die Frau getötet, die ihn fütterte. Ruth K., Tierpflegerin seit zwei Jahrzehnten, starb gegen zwölf Uhr mittags, wie Beutetiere von Raubkatzen sterben: angefallen von hinten, durch einen Biss in den Hals. Hallo, Tiger?
So ein Besuch am Raubtiergehege ist ja immer schön und schaurig zugleich. Hinter Glas, hinter Hecke und Wassergraben, aus sicherer Entfernung jedenfalls gucken die Zoogäste den Katzen zu, angezogen und ängstlich zugleich. Tigermutter Hanya, wie sie, nun ja, tigert. Hin und her unter dem Ahornbaum im Schatten, keinen Blick für die reifen Holunderbeeren am Rande des Geländes.
Und die Kinder, wie schön sie spielen: Jegor, Mila und Finja, nicht einmal ein Jahr alt und schon Halbwaisen, ach. Doch was sie da ins Wasser tauchen, womit sie werfen und woran sie reißen – das sind Hasen, echte, blutige Hasen, die man ihnen zum Fraß vorwarf.
Tierpflegerin lag regungslos und blutend neben dem Angreifer
Da wenden die Menschen sich entweder ab oder halten mit den Handy-Kameras drauf, oder sie machen gleich einen Bogen um die Abteilung Tiger und Löwe. So ist es auch am Samstag gewesen im Kölner Zoo, gleich gegenüber von den Zebras: die Faszination des Grauens. Man sieht nichts davon, keine Spur, keinen Hinweis, der Zoo schweigt und meldet auf seiner Startseite nur den Nachwuchs bei den Bambuslemuren. Aber hier ist es passiert: dass zur Mittagszeit eine Mitarbeiterin im an den Auslauf grenzenden Gebäude ihre Kollegin fand. Blutend, reglos, daneben der Sibirische Tiger; die werden bis zu 300 Kilo schwer.
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Notärzte kommen nicht heran, die Polizei, die den Park für eine Stunde räumt, ein Großaufgebot nebst Hubschrauber schickt, kann wenig ausrichten. Da eilt der Direktor herbei. Theo Pagel, zufällig in der Gegend, klettert auf das Flachdach, zielt mit dem Gewehr durch eine Luke und schießt, zweimal. Altai ist sofort tot. Seiner Pflegerin Ruth, 43, kann das nicht mehr helfen. Sie stirbt im Krankenhaus an ihren Verletzungen. Pagel spricht später vor Kameras aufgelöst und atemlos vom „schwärzesten Tag meines Lebens“.
Der 51-Jährige ist an der Waffe geschult, jeder Zoo für vergleichbare Notfälle mindestens mit Betäubungsgewehren ausgerüstet. Und die Polizei Köln gibt zu: Mit ihren Dienstpistolen hätte sie nicht viel ausrichten können. „Man muss vorbereitet sein“, sagt Carsten Knott, Sprecher des Berufsverbands Zootierpfleger zur WAZ-Mediengruppe.
Die Bevölkerung sei da zuweilen naiv: „Das sind besonders gefährliche Tiere, und Menschenleben gehen immer vor.“ Was auch Christopher Landsberg vom Kölner Zoovorstand den Leuten sagt, die nun im Internet gegen den „Mord“ an Altai wettern: „Eine Betäubung des Tieres kam nicht in Frage. In solchen Fällen steht das Wohl unserer Mitarbeiter über allem, da gibt es nur eine finale Lösung.“
Zoodirektor Pagel bestätigt: Das Tier war „dort, wo es hingehört“
In Köln aber hat sie das Leben der Pflegerin nicht retten können. Warum der Tiger sie anfiel, ermittelt jetzt die Polizei. „Wir können uns nicht erklären, warum der erfahrenen Pflegerin ein derart verhängnisvolles Versehen unterlaufen konnte“, sagt Zoodirektor Pagel: Wie es aussieht, hat die Frau, die seit 2000 für die Raubkatzen zuständig war, vor der Reinigung des Käfigs eine Sicherheitstür nicht geschlossen. Der Tiger jedenfalls, so Pagel, „war, wo er hingehört“.
Ausgerissen ist er also nicht, wie erste Meldungen behaupteten und wie es erst im März mit einem Kölner Geparden geschah: Der sprang über eine Absperrung und konnte erst bei den Flamingos wieder eingefangen werden. Ein Artgenosse soll nach Informationen des „Stadtanzeiger“ 2005 die nun getötete Ruth K. angefallen haben, verletzte sie damals schwer am Hals.
„Sowas ist auch für das Tier eine Stress-Situation“, vermutet Tierpfleger Knott zum Fall Altai, womöglich habe sich der Tiger „in die Enge getrieben gefühlt“, vielleicht aber auch seine Kinder gegen den Eindringling verteidigen wollen. „Da steht auf einmal einer, wo sonst nie jemand steht“, versucht Sabine Haas, Sprecherin des „Zoom“ Gelsenkirchen zu erklären. Zudem: „Das sind wilde Tiere, die haben ihren Jagdtrieb noch.“
„Menschliches Versagen“ also vermutet Kollege Knott auf Seiten der Pflegerin, „das passiert.“ Zuletzt 2009 in Aschersleben, wo ein Bengalischer Tiger eine Pflegerin angreift, die ein Gitter offen gelassen hat. Er zerrt sie ins Freie, verletzt sie schwer. In Erinnerung ist den Kölnern auch noch Schimpanse Petermann: Der büxt 1985 durch eine nicht richtig verschlossene Käfigtür aus, verletzt den damaligen Zoodirektor lebensgefährlich. Durch einen Tiger den Tod gefunden indes hatte im wiedervereinigten Deutschland noch niemand.