Ruhrgebiet. Das Bahnfahren ist nicht immer ein Vergnügen. Verspätungen, schmutzige Züge und Sicherheitsprobleme schaden dem Image des Unternehmens Deutsche Bahn. Eine Testwoche als Bahn-Pendler im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr.
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Laut Qualitätsbericht 2008 des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) hatten die Züge auf den Regional-Express-Linien in NRW im vergangenen Jahr durchschnittlich 2,68 Minuten Verspätung. Regionalbahnen kamen auf 1,53 Minuten. Auf einigen S-Bahnlinien kamen gar 100 Prozent der Bahnen mit mehr als fünf Minuten Verspätung an bestimmten Messtagen an. Und jetzt? Wie steht es um die Qualität im Nahverkehr? Wir machen den Selbsttest. Ein Erfahrungsbericht:
Montag, 8.45 Uhr:
Ein hehres Ziel: Fünf Tage am Stück mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Doch der Plan ist bereits vor Beginn in Gefahr. In der Innenstadt herrscht Hochbetrieb, der Weg zum Bahnhof zieht sich wie Kaugummi. Doch wieder Autobahn statt Auto parken? Glück gehabt. Auf die Unpünktlichkeit der Bahn ist auch heute morgen Verlass: „Der Regionalexpress nach Essen hat etwa 20 Minuten Verspätung”, dröhnt es aus dem Lautsprecher. „Die Polizei muss noch einen Fahrgast entfernen.” Der Zug läuft ein – mit angekündigter Verzögerung. „Bitte passen Sie auf. Das auf dem Boden ist kein Wasser”, sagt der Schaffner und zeigt auf die Pfütze im Mittelgang. Ob die Zug-Toilette wohl besetzt war? Die anderen Fahrgäste machen angeekelt ungelenke Ausfallschritte. Ich auch.
Mittwoch, 18.55 Uhr:
Die Zeit reicht nicht. Die Kollegin fährt mich bis zum nächsten Haltepunkt. Der Bahnsteig ist gut 300 Meter entfernt. Ein letzter Sprint. Der Zug fährt an, ich fahre vor Wut aus der Haut. Der nächste kommt in einer Stunde. Nach 20 Uhr ist auch die schönste Nahverkehrs-Taktung passe´, vor allem in Wattenscheid. Dunkelheit legt sich über den Haltepunkt, den Neon-Funzeln gelingt es nur mit Mühe, den Bahnsteig auszuleuchten. Ein ungutes Gefühl macht sich breit. Was, wenn jetzt zwei, drei junge Männer vorbeikommen und um Geld bitten? Vielleicht interessieren sie sich ja für mein iPhone. Eine Notrufsäule, Polizei, schwarze Sheriffs? Fehlanzeige. Ein eigenes Sicherheitskonzept muss her: Ich nehme den Zug in die Gegenrichtung.
Donnerstag, 9.40 Uhr:
Zwischenstopp Bochum Hauptbahnhof: Die vier sind nicht zu überhören. Kaffee, so viel ist sicher, haben die heute morgen nicht zum Frühstück gehabt. Ob sie wohl auf dem Weg in die Zahnklinik sind, Abteilung Rundum-Erneuerung? „Eyhh, der Michael wartet schon am Hauptbahnhof”, brüllt einer, als wolle er auch alle anderen Fahrgäste zum Umtrunk einladen. Der „Freigraf” klirrt im Jutebeutel, eine Flasche bahnt sich ihren Weg durch den Mittelgang. Der Zug hält, nichts wie raus hier. Kein Bier vor vier.
Freitag, 19.05 Uhr:
Mein Experiment neigt sich dem Ende zu. In Wetter ein letztes Mal umsteigen: vom Regionalexpress in die S-Bahn. Wenn die Deutsche Bahn eine dritte Klasse hätte, so müsste sie aussehen. Das Kunstleder des Sitzes ist mit Graffiti beschmiert, der gegenüberliegende Platz aufgeschlitzt, aus dem Mülleimer dringt übler Gestank. So ein Pech: wieder einen alten Wagen erwischt. Dabei ist die Bahn gerade dabei, ihre S-Bahn-Flotte an Rhein und Ruhr komplett zu verjüngen.
Haltepunkt Hagen-Vorhalle: Ein letztes Mal durch die dunkle Unterführung. Noch einmal Luft anhalten, um nicht den stechenden Geruch männlicher Notdurft einzuatmen. Schnell über den Park & Ride-Parkplatz, den noch nie eine Laterne erleuchtet hat. Um Schlaglöcher voller Regenwasser herumtänzeln. Endlich im Auto, da fällt mir der Titel eines Buches aus meiner Kindheit ein. Damals schlug mein Herz für Modellbahnen. Ein Bekannter schenkte mir einen Fotoband: „Das Tor zur neuen Bahn”. Im Ruhrgebiet, möchte man meinen, hat es bislang noch keiner aufgestoßen.