Essen. Sie sind nicht mal zehn Jahre alt und kaufen schon teure Beauty-Produkte: die „Sephora Kids“. Wieso ein Bochumer Experte vor dem Hype warnt.
Am Schminktisch sitzt ein kleines Mädchen. Es lässt sich die langen schwarzen Haare von der Stylistin locken. Ein anderes Mädchen steht in einer pinken Jacke an der Kasse und strahlt ihren Vater an. Er hält eine Gesichts-Creme, Body-Spray und einen pinken Duschschaum in der Hand. Am Regal dahinter testet ein weiteres Mädchen Lippenbalsam für knapp 20 Euro. „Der ist gut, jetzt brauche ich nur noch die Feuchtigkeits-Creme. Die soll genauso riechen“, sagt sie. „Okay, ich laufe dir einfach hinterher“, antwortet ihre Mutter.
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Ein Nachmittag in einem Sephora-Geschäft in NRW. Anstatt den sonnigen Ferientag draußen zu genießen, testen viele Kinder hier lieber teure Hautpflege. Besonders gefragte Produkte, wie etwa ein Anti-Aging-Augenserum oder eine Feuchtigkeitscreme, kosten teilweise mehr als 60 Euro. „Hast du das kleine Mädchen da mit ihrer Mutter gesehen? Die ist doch nicht mal zehn Jahre alt“, sagt eine Kundin zu ihrer Freundin und schüttelt mit dem Kopf.
Sephora Kids: Junge Mädchen kaufen teure Kosmetika
Sie flehen ihre Eltern an, ihnen Feuchtigkeitslotions zu kaufen, schwärmen von Anti-Falten-Cremes und geben anderen in ihren Videos Hautpflegetipps: Inspiriert durch Social-Media-Plattformen wie TikTok kaufen sich immer mehr junge Mädchen teure Kosmetika. Weil sich der Trend vor allem auf die französische Kosmetik-Marke Sephora konzentriert, werden die jungen Schönheits-Influencerinnen „Sephora Kids“ genannt.
Ausgelöst hatte die aktuelle Debatte um Hautpflege für Kinder ein US-amerikanischer Dermatologe. Er berichtete, dass immer mehr Kinder und Jugendliche seine Praxen wegen Hautreaktionen durch den falschen Gebrauch der Produkte aufsuchen. Internationalen Medienberichten zufolge scheint das Phänomen der „Sephora Kids“ weltweit zum Problem zu werden.
In den Ambulanzen in Nordrhein-Westfalen sei es in letzter Zeit zwar nicht zu vermehrten Hautproblemen bei Kindern und Jugendlichen gekommen, gibt Haut- und Schönheitsmediziner Klaus Hoffmann von der Universitätshautklinik im St.-Josef-Hospital Bochum Entwarnung. „Aber ich sehe schon das Problem, dass das Aussehen eine immer größere Rolle spielt und damit auch der Druck auf Kinder immer größer wird“, so der Experte.
Er warnt zum einen davor, dass bestimmte Wirkstoffe für Kinder schädlich seien. Vitamin-A-Säure, die in vielen Anti-Aging-Produkten enthalten ist, könne bei Kindern etwa dazu führen, dass Teile der obersten Hautschicht entfernt werden. „Kinder können dann Hautreizungen davontragen. Kinderhaut braucht generell andere Pflege als die Altershaut. Ihre Haut ist schließlich noch nicht richtig entwickelt“, so Hoffmann.
„Anti-Aging-Produkte werden an Erwachsenen getestet. Wir wissen nichts dazu, wie Kinder auf sie reagieren. Diese Gefahr müssen Eltern kennen“, sagt auch Thomas Preis, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein.
Bochumer Dermatologe warnt vor Schönheitswahn in den sozialen Medien
Wenn Kinder ihre Haut pflegen wollen, dann also nur mit speziell für sie entwickelten Produkten. Doch auch hier rät Hoffmann zur Vorsicht. Denn eine viel größere Gefahr als in dem Gebrauch der Produkte selbst, sieht er in dem generellen Schönheitswahn der sozialen Medien.
„In der Evolution nennen wir das Superstimulus: Man muss immer ein bisschen schöner, ein bisschen mehr sein. Das, was früher toll war, ist heute normal und muss morgen noch besser sein“, sagt Hoffmann. Er fordert Eltern daher auf, „Widerstand“ zu leisten. Sie sollten ihren Kindern zum Beispiel bewusst machen, dass sie keine perfekte Haut brauchen.
Schwedische Apothekenkette verkauft Kindern nur noch altersgerechte Kosmetik
In Schweden versucht nun sogar eine Apothekenkette, dem Trend etwas entgegenzusetzen. In den Filialen gelten ab sofort strenge Altersbeschränkungen. So sollen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren in Zukunft keine „fortschrittlichen Hautpflegeprodukte“ mehr kaufen können.
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Solche drastischen Maßnahmen sind in NRW bisher nicht geplant. Eine Anfrage unserer Redaktion bei Sephora blieb unbeantwortet. Aber ein Mitarbeiter erzählt anonym: „Es sind schon deutlich mehr Kinder geworden, die hier einkaufen. Ich finde das verrückt, weil ich in dem Alter noch gar nicht das Geld dafür gehabt hätte. Sie kaufen vor allem Make-up und alles Mögliche für die Hautpflege. Wir beraten sie dabei eigentlich, wie jeden anderen Kunden auch.“
Das sagen Dogulas und L‘Oréal über „Sephora Kids“ in NRW
Bei Douglas hingegen habe man den TikTok-Trend in den Filialen in NRW bisher „noch nicht verstärkt“ feststellen können, so eine Sprecherin. „In unseren Filialen werden unsere Kundinnen und Kunden, egal welchen Alters, von unseren geschulten Beauty-Advisorn (Anm. d. Red.: „Schönheits-Beratern) professionell und entsprechend ihrer Altersgruppe beraten“, sagt sie.
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Der Düsseldorfer Kosmetik-Hersteller L‘Oréal verweist auf Anfrage dieser Redaktion auf die vielen eigenen Produkte, die sich speziell an Kinder richten. Allerdings arbeite man generell nicht mit Influencern zusammen, die jünger als 16 Jahre alt sind, um Produkte online zu bewerben, heißt es von L‘Oréal.
Dass sie nicht dafür bezahlt werden, Cremes & Co. vor der Kamera zu testen, scheint viele Kinder allerdings nicht abzuschrecken. In einem aktuellen TikTok-Video etwa setzt sich ein sechsjähriges Mädchen den rosafarbenen Haarreif auf, trägt zuerst verschiedene Cremes und dann Lipgloss auf. Eine Nutzerin kommentiert: „Sie ist noch ein Kind und hat jetzt schon viel mehr Produkte als ich. Traurig.“
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