Velbert. Stillsitzen, piksende Haare, Schere am Kopf: Familienfriseurin Alexandra Wingerter aus Velbert gibt Tipps für den ersten Friseurbesuch.
„Möchtest du reinklettern oder reinfliegen?“, fragt Alexandra Wingerter ihren kleinen Kunden. Jonas möchte klettern, in den Hochstuhl, der sich drehen, hoch- und runterfahren lässt. Kaum sitzt er, drückt er auf einen Knopf am Feuerwehrauto, das auf dem Tischchen vor ihm steht. Und so begleiten Blaulicht und Sirene den Haarschnitt des jungen Blondschopfs.
Der Vierjährige ist Stammgast beim Familienfriseur „Kopf an Kopf“ in Velbert. Alexandra Wingerter, selbst Mutter von drei Mädchen und Friseurmeisterin, hat den Salon vor zwei Jahren gegründet. Sie möchte Kindern die Angst vorm Haareschneiden nehmen.
Da wäre zum Beispiel die Schere. So oft hören schon die Kleinsten: „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht.“ Gefährlich sei so ein Werkzeug. „Pass auf, dass du dich nicht schneidest!“ Und dann kommt eine fremde Person und fuchtelt ganz nahe an Augen und Ohren mit dieser Schere herum. Alexandra Wingerter versteht, warum das die Kleinen ängstigt.
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Andere Kinder mögen die Maschine nicht, mit der die Friseurin den Nacken ausrasiert. Wieder andere finden es unangenehm, wenn die abgeschnittenen Haare piksen. Alexandra Wingerter hat Jonas deshalb einen Umhang umgebunden, über den bunte Dinos krabbeln. Da pikst fast nichts mehr. Aber auch ein Umhang ist nicht für jedes Kind geeignet. Schließlich verschwindet darunter der ganze Körper, der ist dann „weg“. Kinder, die das irritiert, lässt Alexandra Wingerter möglichst nicht in den Spiegel schauen. So geht sie auf jedes Kind ein, nimmt seine Gefühle ernst, macht eine Pause, wenn es eine braucht. Das ist ihr wichtig. „Ich schneide keinem schreienden oder weinenden Kind die Haare.“
Deshalb klettern oder fliegen die kleinen Kunden auch nicht beim ersten Besuch sofort in den Friseurstuhl. Selbst Profi Jonas möchte zunächst in der Spielküche zwei Toast toasten. So machen sich die Kleinen erstmal vertraut mit dem Raum – und mit der Friseurin.
Haareschneiden beim Friseur: Spielerisch Vertrauen schaffen
Ist ein Mädchen ganz schüchtern und möchte hinter dem Bein des Papas gar nicht mehr hervorkommen, spricht eine der Handpuppen mit ihr: Shelly ist eine Schildkröte, die ihren Kopf einzieht und im Panzer versteckt. „Komm, wir rufen mal die Shelly“, fordert Alexandra Wingerter auf. Und zusammen mit dem Mädchen ruft sie: „Shelly, komm mal raus!“ Langsam lugt der Kopf der Schildkröte hervor. „Dann sagt das Kind zu Shelly, dass sie keine Angst haben muss.“ Und auch die Angst des Mädchens schwindet.
Der jüngste Kunde war zehn Monate jung, andere kommen das erste Mal mit drei Jahren. Wenn der Leidensdruck beim Kind oder den Eltern groß ist. Weil das Mädchen unter der Mähne schwitzt, weil die Strähnen des Jungen im Essen hängen. Oder das Kind vor lauter Pony-Wegpusten schon eine ungesunde Haltung einnimmt.
Alexandra Wingerter gibt Eltern den Tipp, nicht zu lange mit dem ersten Besuch beim Friseur zu warten. Selbst wenn es nur ein paar Flusen sind, die die Friseurin wegschneidet – „Dafür berechne ich keinen ganzen Haarschnitt.“ – das Kind erlebt so schon früh: Es tut ja gar nicht weh. Auch empfiehlt sie Eltern, das Kind einfach mal mitzunehmen, wenn Mama oder Papa zum Friseur gehen. So erleben die Kinder, dass das Haareschneiden etwas ganz Normales ist.
Als Alexandra Wingerter 19 Jahre alt war, hat sie den ersten Kindern das Haar geschnitten. Da war sie Azubi und konnte das noch gar nicht. Aber in einem gängigen Friseursalon sei es oft nicht so wichtig, wie ein Kind aussieht. Da können die Anfänger ran. Wingerter findet, dass man auch kleinen Kunden respektvoll begegnen sollte.
Still sitzen können die meisten Kinder noch nicht. Müssen sie bei Alexandra Wingerter auch nicht. „Wenn man Glück hat, sitzen sie die ganze Zeit im Stuhl.“ Anderen Kindern schneidet die Friseurin die Haare, während sie in der Spielküche kochen. Dann sind die Kleinen abgelenkt, wenn die Locken fallen.
Der erste Friseurbesuch: Wenn die Haare im Nacken kitzeln
„Schau mal zur Giraffe“, bittet Alexandra Wingerter den kleinen Jonas im Hochstuhl. Der Junge blickt hinunter, wo die Giraffe aus Plastik sitzt. So kann die Friseurin bequem seinen Nacken ausrasieren. „Das kitzelt“, sagt Jonas und kichert.
Er lässt seinen Blick schweifen über die Wand – um den ganzen Spiegel hat Alexandra Wingerter Duplosteine und -figuren verbaut. Auch Tonies warten dort auf eine Hörspiel-Ablenkung. Manchmal kommt der Pilot mit seinem Hubschrauber dem Feuerwehrmann zur Hilfe und lässt ein Seil vom oberen Rand des Spiegels hinab, um eine Katze aus einem kleinen Duplo-Baum zu retten. „Ich sehe was, was du nicht siehst – und das ist grün“, fordert die Friseurin zum Spiel auf. Und das grüne Gesuchte ist nur genau in der Richtung zu finden, in die Jonas in diesem Moment schaut. Ein perfekter Moment, um mit Kamm und Schere den Hinterkopf zu schneiden.
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Alexandra Wingerter rät Eltern dazu, vor dem ersten Friseurbesuch mit dem Kind zu besprechen, was es erwartet. Aber nur kurz und knapp. Wer zu viel ausschmücke, schüre vielleicht Ängste, die vorher kaum oder gar nicht da waren. „Kinder nicht erpressen, nicht zwingen zum Friseur zu gehen“, betont Alexandra Wingerter. Wenn der Friseurbesuch einmal ein schlechtes Erlebnis war, wird es schwieriger, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen.
20 bis 25 Euro zahlen Eltern für den Haarschnitt der Kleinen bis sechs Jahren. Das gibt es woanders günstiger. Alexandra Wingerter betont: „Es handelt sich um ein Gesamtpaket.“ Schließlich sind hier nicht schnipp-schnapp die Haare ab. Der eigentliche Haarschnitt dauert 15 bis 30 Minuten, aber bei neuen Kunden plant sie 45 bis 55 Minuten ein. Damit das Kind und sie sich sachte kennenlernen können. Und es gebe keine Wartezeiten, wenn man zum vereinbarten Termin erscheint.
Kind beim Friseur und die Eltern trinken entspannt Kaffee
„Wenn ich hier jetzt noch einen Liegestuhl hätte. . .“, scherzt Jonas’ Mutter Diana Winskowski-Radtke Die 40-Jährige freut sich jedes Mal auf den Kaffee beim Friseurbesuch ihrer Jungs. Für sie ist es eine kleine Pause im hektischen Alltag. Und auch für ihre Söhne sei der Friseurbesuch herrlich unbeschwert. BUMM. Das Feuerwehrauto fällt vom Tisch. „Was ich lernen durfte“, sagt die Mutter, „dass ich mich entspannen darf und nicht darauf achten muss, ob hier Lego runterfällt.“ Auch Alexandra Wingerter lächelt über den kleinen Unfall hinweg: „Jetzt hältst du noch mal still, dann sind wir gleich fertig“, sagt sie freundlich. „Schaffen wir das?“ „Ja!“, ruft Jonas. Das schafft er!
Fertig. Jonas „fliegt“ aus dem Friseurstuhl. Und rennt schnurstracks auf den Zaubertisch zu. Alexandra Wingerter hebt die Platte des Tischchens hoch, darunter verbergen sich kleine Geschenke. Jonas kann sich gar nicht entscheiden: Soll er einen Magnet-Buchstaben nehmen? Oder doch lieber ein Tattoo? Er nimmt schließlich einen goldenen Ring mit einer roten Blume und ausnahmsweise darf er auch zusätzlich ein Erdbeer-Tattoo mitnehmen. Alexandra Wingerter: „Wenn sich die Kinder etwas aussuchen dürfen, ist alles vergessen.“ Dabei sieht Jonas gar nicht so aus, als ob er das Haareschneiden vergessen möchte. Er lächelt. Tschüss, bis zum nächsten Mal.
>>> Der gute Zweck: Spenden Sie Ihr Haar
Krebskranke Kinder, denen während der Chemo-Behandlung die Haare ausfallen, freuen sich über eine Echthaarperücke. Dann erleben sie wieder etwas mehr Normalität. Daher sammelt Alexandra Wingerter Haarspenden. Kundinnen und Kunden, die bereit sind, 25 Zentimeter ihrer Haarpracht zu spenden, bekommen einen 20-prozentigen Preisnachlass auf den Haarschnitt.
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