Oberhausen. Sie ist kein Fan von oben ohne, keine Saunagängerin. „Aber ohne Brustwarze fehlte etwas“, sagt Anita Höck. Wie sie nach ihrer Krebs-OP wieder „ganz“ wurde.
Brustkrebs! Die Diagnose traf Anita Höck 2017 in der 27. Schwangerschaftswoche. Heute ist ihr Sohn sieben, „kerngesund und ein supertolles Kind“. Auch seiner Mutter geht es inzwischen wieder gut. Aber erst seit ihrer „Brustwarzenrekonstruktion“ im vergangenen November, erzählt die 41-jährige Lehrerin aus Waltrop, fühle sie sich „endlich wieder ganz“. Ein täuschend echt aussehendes 3D-Tattoo machte den Unterschied.
70.000 Frauen erkranken in Deutschland Jahr für Jahr an Brustkrebs, die Heilungschancen insbesondere bei früh erkannten Tumoren sind deutlich besser als früher. Aber noch immer ist bei 20 bis 30 Prozent der Betroffenen die Entfernung einer oder beider Brüste nötig, eine „Mastektomie“.
Die erste Chemotherapie startete noch während der Schwangerschaft
Noch während der Schwangerschaft bekam Anita Höck, die eigentlich anders heißt, ihre erste Chemotherapie, gleich in der Operation, in der der Tumor in ihrer rechten Brust entfernt wurde, erhielt sie ein Silikon-Implantat zum Aufbau. „Das Keine-Brust-Gefühl“, sagt Höck, habe sie zum Glück nie erfahren. Die meisten Frauen erleben es als enorm belastend für ihr Selbstwertgefühl. Knapp ein Drittel aller Brustkrebspatientinnen entscheidet sich nach einer Mastektomie für den Wiederaufbau der Brust.
„Mein Kind gab mir Kraft“, sagt Anita Höck. Denn nach der Schwangerschaft folgten weitere OPs, Chemo- und Antikörpertherapien, Bestrahlungen. Zwei Jahre nach der Erstdiagnose entdeckten die Ärzte zudem ein „Lokalrezidiv“, einen neuen Tumor an alter Stelle, direkt unter der „Mamille“, der Brustwarze. Dieses Mal musste auch sie mit entfernt werden.
„Mir fehlte die Brustwarze total“
„Ich bin kein großer Saunagänger und renne nicht ständig barbusig durchs Haus“, erinnert sich Höck, „aber mir fehlte die Brustwarze total.“ Im Brustkrebszentrum an der Kliniken Essen-Mitte formten ihr die Ärzte aus Brust-Haut eine neue. „Doch die war ja blass, sah nicht normal aus.“
Eine Mitpatientin erzählte von „Brustwarzen-Tattoos“. Anita Höck fragte ihre Ärzte danach und erfuhr, dass eine 3D-Tätowierung sogar ohne vorherige chirurgische Rekonstruktion möglich sei und eine Kombination beider Verfahren gute Ergebnisse brächte. Sie machte sich im Internet auf die Suche nach Anbietern – und stieß auf die Seite der Oberhausener Pigmentistin Sara Pavo und die ihres Lehrers Andy Engel. „Die Bilder haben mich überzeugt“, erinnert sich Höck, „ich hab sofort einen Termin vereinbart“.
Tatsächlich gilt Engel international als Meister des „fotorealistischen Tattoos“. Vor 16 Jahren tätowierte er seine erste dreidimensionale Brustwarze, auf Wunsch einer Kundin, der die Brust entfernt worden war. Heute gehören 26 Standorte zu seinem Netzwerk speziell geschulter medizinischer Tätowierer. Pavos Studio in Oberhausen ist das einzige im Ruhrgebiet.
Medical Beauty: Die Möglichkeiten sind wenig bekannt
„Ich fühlte mich total geehrt, als Andy anrief und fragte, ob ich Interesse an einer Ausbildung zur medizinischen Brustwarzen-Tätowiererin hätte. Die ganze Branche schaut doch zu ihm auf…“, erzählt Sara Pavo. Sie ist staatlich geprüfte Kosmetikerin, „und in der Tattoo-Szene aufgewachsen“. Sie bietet in ihrem Studio zudem schon lange neben den klassischen Behandlungen auch „Medical Beauty“ an:onkologische Kosmetikbehandlungen etwa für Frauen, die durch eine Chemotherapie Augenbrauen und Wimpern verloren haben. Seit der Ausbildung bei Engel 2018 „macht“ sie zudem drei, vier Brustwarzen pro Monat, die Warteliste sei lang.
„Der Bedarf ist groß und die Möglichkeiten sind leider viel zu wenig bekannt“, findet Pavo. Sie weiß, dass eine Brustwarzenrekonstruktion „Vertrauenssache“ sei, dass manche Frau Angst vor der Nadel hat, andere „keinen Bock auf noch einen Eingriff“; dass die ein oder andere hadere mit der Entscheidung für ein Tattoo, weil es irreversibel sei. Aber sie kennt auch Kundinnen, die daheim schon ihre Spiegel abgehängt hatten, „weil sie darin nur noch ein Monster gesehen haben“. „Und nach der Brustwarzenrekonstruktion erzählen mir diese Frauen stolz, dass sie ihren Mann endlich wieder im Negligé begeistert haben – und wie sehr sie darüber gefreut haben.“
1900 Euro: Nicht alle Kassen übernehmen die Behandlung komplett
Auch Anita Höck sieht man deutlich an, wie wohl sie sich fühlt in ihrer Haut, wie weiblich, wie dankbar sie für ihr Tattoo ist. Dem ersten Beratungsgespräch bei Sara Pavo folgte die Planung der Tätowierung, die neue Brustwarze muss in Form, Farbe und „Neigung“ ja zur anderen passen. Der anschließende Tattoo-Termin dauerte drei Stunden, das Stechen selbst, erzählt Höck, nicht einmal 30 Minuten. Schmerzhaft war es nicht – in der operierten Brust habe sie kein Gefühl mehr. „Es gab keinen Prosecco, aber im Grunde war’s ein richtig netter Mädels-Nachmittag, wir haben bei der Arbeit gequatscht wie alte Freundinnen.“ Pavo ist das wichtig, dass die Frauen „hier glücklich rausgehen“.
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Nach einer Woche, in der die Wunde noch mit Salbe (und Pflaster) versorgt wurde, sei „die Sache vergessen“ gewesen, berichtet Höck. Schwere Komplikationen habe sie nie gesehen, sagt Pavo, leichte Entzündungsreaktionen kämen vor. Jede Kundin erhält ihr eigenes „Tattoo-Paket“, das von der Liegen-Auflage bis zur steril verpackten Nadel alles als Einmal-Portion enthält, was nötig ist. Dass nur spezielle Farben verwendet werden dürfen, dass die Behandler geschult sein müssen: „Selbstverständlich“ für Pavo: „Das Ergebnis soll ja nicht aussehen wie eine Salamischeibe!“
Kampgane #wiederganzich
Der Pharmakonzern Bayer (Bepanthen) ermöglicht im Rahmen der Kampagne #wiederganzich jährlich drei Frauen ein kostenloses Brustwarzen-Tattoo bei Andy Engel. Interessierte können sich für 2024 voraussichtlich ab Sommer bewerben. Infos zur Ausschreibung: www.wiederganzich.de.
1900 Euro kostet die Behandlung, Nachkontrolle und gegebenenfalls „Nachstechen“ inbegriffen. 60 Prozent der Krankenkassen übernähmen die Kosten komplett, noch mehr anteilig, versichert Andy Engel. „Irgendeine Hürde gilt es oft zu nehmen“, weiß Sara Pavo. Anita Höcks Privatversicherung etwa zahlte nur, nachdem sie einen Arztbrief eingereicht hatte, der bestätigte, dass die Tätowierung aus medizinischer Sicht sinnvoll sei. Ohne Brustwarze, sagt Anita Höck heute kopfschüttelnd, „wäre ich doch noch immer krank“.