Gelsenkirchen. Das Schicksal einer jungen Mutter in Gelsenkirchen nach der Diagnose Brustkrebs. Erzählt anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar.
Ingrid stand unter der Dusche, als ihr klar wurde: Mit meiner rechten Brust stimmt was nicht. Da ist etwas anders als auf der linken Seite. Sie tat erstmal – nichts. Versorgte weiter liebevoll ihren damals vierjährigen Sohn, ging zur Arbeit, machte Sport. Fast drei Wochen gelang es ihr, die Angst zu verdrängen. Machte weiter, als wäre nichts geschehen. Erst drei Wochen später – im Mai 2022 – wagte sie sich zum Arzt, der ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Ein Knoten in der Brust, so groß wie eine Kidneybohne. Die Mammographie am nächsten Tag bestätigte den Verdacht: ein Tumor.
Das Wort „aufgeregt“ trifft nur annähernd, was in Ingrid vorging, als ihr der Radiologe die Diagnose eröffnete. Die nächsten Tage waren die Hölle für sie. Der Mammographie folgte die Gewebeprobenentnahme, ambulant im Evangelischen Klinikum Gelsenkirchen. Dann hieß es warten, vier Tage. „In meinem Kopf ging es wild hin und her, zwischen der Überzeugung ‚du stirbst!‘ und ‚das ist doch kein Drama, du schaffst das‘“, erinnert sich die heute 46-Jährige.
Drei Wochen Wartezeit auf die Operation – eine Tortur
Zur Besprechung des Ergebnisses kam sie in Begleitung einer Freundin. Als der Arzt, Dr. Abdallah Abdallah, ihr erklärte, „dass das Schreckliche eingetreten ist“, er von bösartigen Zellen sprach, legte ihr die Freundin tröstend eine Hand auf den Rücken. Der Mediziner bot ihr gleichzeitig seine Hand an. „Ich habe sie ergriffen und beides, meine Freundin und seine Zuwendung, haben mir sehr gutgetan, Kraft gegeben, mich beruhigt“, betont sie. Körperkontakt sei sehr wichtig gewesen.
Trotz viel Beistand: am Ende ist man allein in der Auseinandersetzung mit dem Tod
Die rechte Brust sollte in einer Operation abgenommen werden, danach, so hieß es, sei voraussichtlich alles gut, keine Chemotherapie notwendig. Trotzdem waren die drei Wochen Wartezeit auf die Operation eine Tortur für die Mutter eines kleinen Jungen, dem sie doch auf gar keinen Fall Angst machen wollte. „Ich habe ihm gesagt, dass ich krank bin und das was raus muss aus meinem Körper. Aber ich habe auch gesagt, dass dann alles wieder gut ist“, schildert sie die Situation. Ihre Mutter, ihr Mann, Freundinnen unterstützten sie nach Kräften. „Das hat mir sehr geholfen. Es waren eigentlich alle für mich da, aber trotzdem ist man am Ende allein mit der inneren Auseinandersetzung mit dem Tod“, sagt sie, ausnahmsweise ernst.
Ausnahmsweise, denn heute ist Ingrid, die ihren Nachnamen nicht nennen mag, wie zuvor ein fröhlicher, zuversichtlicher und sehr aktiver Mensch. Trotz allem, was nach der ersten Operation noch folgte. Und das war nicht wenig. Bei der Operation stellte sich heraus: Es gab mehrere Tumore, 17 Lymphknoten wurden entfernt. Zwei davon erwiesen sich als von Krebszellen befallen. Und damit war auch die Chemotherapie ein Thema. „Das war ein Angstwort für mich, mehr als die Operation und der Verlust der Brust. Warum, kann ich auch nicht erklären“, erinnert sie sich. Doch vor der Chemo kam noch eine zweite Operation: Es gab eine Entzündung in der wieder aufgebauten Brust, das Implantat wurde wieder entfernt. Wieder eine Woche Klinik, ein Tag Intensivstation.
Bis Weihnachten 2022 liefen dann die 16 Chemotherapie-Infusionen, ambulant. „Ich bin eigentlich gut durchgekommen. Die ersten vier waren sehr heftig. Mich befiel eine unglaubliche Schlappheit und Müdigkeit. Ich hatte keinen Geschmack, war appetitlos, mir hat nichts geschmeckt, die Haare fielen aus. Gegen Ende wurde es besser und ich habe früh begonnen, wieder zu laufen.“ Kürzere Strecken und langsamer als früher, aber es habe gutgetan, den Kopf frei gemacht. Für den kahlen Kopf legte sie sich ein breites Mützensortiment und eine Perücke zu. Meist jedoch entschied sie sich für die angenehmeren Mützen. Die Chemo-Infusion lief morgens, wenn der Sohn in der Kita war. Nachmittags lag sie dann schlapp auf der Couch, der Sohn spielte fröhlich daneben. Auch das habe ihr sehr geholfen. Etwa sechs Wochen nach der Chemotherapie fühlte sie sich besser.
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Doch dann folgte die Bestrahlung, zur Sicherheit. „Ich habe sie gut vertragen, aber es hat mich wieder viel Kraft gekostet. Danach fühlte ich mich, als hätte ich Nebel im Kopf. Erst Wochen später wurde es langsam besser. Noch heute gibt es Momente, in denen ich glaube, ich habe Chemo-Demenz. Ich vergesse so vieles“, schildert die heute 46-Jährige. Davon hatten auch andere Frauen in der Reha berichtet, in der sie Ende 2023 endlich die letzte Behandlungsstufe absolvierte. Der heute sechsjährige Sohn war mit ihr dort, im Schwarzwald. Ihn dabei zu haben, war wichtig. Um das zu ermöglichen, hat es vermutlich auch so lange gedauert, bis sie einen Platz bekam.
In der Reha hat sie gehört, dass ein Wiederaufbau der amputierten Brust direkt nach der Entfernung der befallenen auch bei anderen Frauen schon mit einer Entzündung endete, das Implantat schnell wieder entfernt werden musste. Ebenso wie bei ihr. Heute ist sie sicher: Ich bleibe, wie ich bin. Nachdem es anfangs schwer für sie war, sich nackt im Spiegel anzusehen, sei das heute kein Problem mehr. „Es gibt gute BHs mit Einlage, auch Bikinis. Mein Sohn geht völlig natürlich damit um. Nein, Wiederaufbau kommt für mich nicht mehr infrage“, sagt sie mit Überzeugung. Ein Faktor dabei für sie auch: „Dann dürfte ich ein halbes Jahr keinen Sport treiben!“
Nach der Bestrahlung ein Gefühl wie Nebel im Kopf
In den nächsten zehn Jahren muss Ingrid regelmäßig Hormone nehmen, weil ihr Krebs hormongetrieben war. Auch das war anfangs belastend für den Körper. „Ich habe ganz furchtbar geschwitzt. Die Hormone treiben mich ja künstlich in die Wechseljahre.“ Das Schwitzen hat sich gegeben, jetzt machen nach einer längeren Phase ohne Bewegung die Gelenke bisweilen Probleme. „Dann brauche ich einen Moment, bis alles wieder rund läuft. Aber das geht schon“, schiebt sie schnell hinterher. Jammern liegt ihr nicht. Die Ängste der Frauen aus der Reha vor einer Rückkehr des Krebses, sie teilt sie nicht.
Kreative Angebote und seelischer Beistand halfen Kraft zu tanken
Die Krankheit hat Ingrid nicht den Mut genommen, auch dank sehr guter seelischer Unterstützung, betont sie. „In der Klinik und auch danach hat mich die Psycho-Onkologin in der Klinik, Irmgard Rehm, wunderbar unterstützt. Sie war immer für mich da, mit Gesprächen und konkreter Hilfe. Angebote für Patientinnen wie der Trommelworkshop haben beim Kraft tanken geholfen“, versichert sie. Sie hat begonnen zu malen, sich für einen Tanzworkshop des Fördervereins angemeldet. Und sie erwägt, etwas Handwerkliches zu lernen. Vor der Krankheit arbeitete sie als Sozialpädagogin an einer Grundschule: „Das war sehr stressig, weil ich oft als Lehrkraft eingesetzt wurde, was ich weder gelernt habe noch gut konnte.“ Dieses Kapitel ist für sie abgeschlossen. Die Krankheit habe ihr bewusst gemacht, dass sie etwas verändern muss. „Ich nehme mir jetzt Zeit, bis ich das Richtige für mich gefunden habe. Die Krankheit hat mir geholfen, das zulassen zu können.“
Irmgard Rehm, Psycho-Onkologin am EvK Gelsenkirchen, hat vor vier Jahren den Förderverein „Kraft zum Leben“ am EvK gegründet, um mehr Unterstützungs-Angebote für Patientinnen jenseits der Medizin bieten zu können. Wer die Arbeit des gemeinnützigen Vereins unterstützen möchte: steuerabzugsfähige Spenden sind auf das Konto IBAN
DE08 4205 0001 0101 1825 54 bei der Sparkasse Gelsenkirchen unter dem Stichwort „Kraft zum Leben“ möglich. Mehr Info unter Telefon 0163 6695384 oder per Mail unter info@foerderverein-kraft-zum-leben.de