Ruhrgebiet. Die Ukraine-Hilfe ist längst ein Marathon. Wie die Helferinnen und Helfer im Ruhrgebiet mit der Dauerbelastung umgehen: fünf Menschen berichten.
Über ein Jahr Krieg in der Ukraine – das ist auch eine Dauerbelastung für die Helfer im Ruhrgebiet. Ihr Marathon-Einsatz ist verbunden mit wertvollen Begegnungen und Erlebnissen, aber auch mit emotionalen und familiären Kosten, zugleich geht die Anteilnahme in der Gesellschaft zurück. Fünf Helfer erklären, wie sie damit umgehen.
Nina Römer-Reinhard, Odessa wir helfen, Essen
„Daniel hat nun die elfte Fahrt in die Ukraine hinter sich. Jedes Mal hat mein Mann mindestens eine Woche vorher echt viel zu tun, ungefähr eine Woche ist er weg, drei Tage braucht er, bis er wieder angekommen ist. So richtig ich das Engagement finde, ist es schon oft schwierig, das in den Alltag einzubauen. Unser Leben steht ja deshalb nicht still. Daniel bringt normalerweise unsere Tochter Pauline zum Volleyball, macht den Einkauf, tausend solche Sachen. Ich bin nicht direkt an der Fahrt oder beim Spenden sammeln beteiligt, aber mein Beitrag ist, ihm den Rücken frei zu halten. Das Thema ist mir auch wichtig, ich weiß aber auch genau, dass Daniel so gefesselt ist von der Hilfe, die er bringen will, dass ich gar keine andere Chance hätte.
Ich trage es mit, ich verstehe es. Wir hatten ja auch Gäste aus der Ukraine. Und diese Erzählungen aus erster Hand, dabeizusein, wenn das Mädchen so alt wie unsere Tochter vor dir sitzt und weint, weil jemand im weiteren Bekanntenkreis verstorben ist – das ist natürlich etwas anderes, als es nur im Fernsehen zu sehen. Aber es gibt zwischendurch auch immer mal Punkte, wo man denkt, hach, es müsste nicht so schnell wieder sein.
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Unsere Tochter und ich machen uns natürlich Sorgen. Die ersten Fahrten waren schlimm. Mittlerweile versuche ich mir zu sagen, dass Daniel es ein bisschen einschätzen kann. Aber es ist ein Krieg, man kann nicht alles planen. Ich weiß auch, dass er mir bestimmte Sachen nicht erzählt – und weiß natürlich trotzdem, was Sache ist. Auch mit Pauline kann es schon mal in Streit ausarten – obwohl der Hintergrund natürlich nur ist, dass sie sich im tiefsten Inneren große Sorgen um Papa macht.“
Johanna Kaufmann, Deutsch-Ukrainische Freundschaft Essen (DUFE e.V.)
Es ist ungleich schwieriger geworden, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen über die Hilfe für die Ukraine. Manche geben auch offen zu, mit dem Dauerthema Krieg überfordert zu sein. Andere, auch das hat mir schon jemand gesagt, plagt das schlechte Gewissen, weil sie das Gefühl haben nichts beigetragen zu haben. An Spenden zu kommen, ist sehr viel schwieriger geworden.
Am Anfang gab es Akzeptanz, da haben Freunde schon mal positives Feedback gegeben. Aber selbst im Familienkreis der Helfer fragt man heute nicht mehr so oft: Wie geht’s damit? Vielleicht werden zum Beispiel Eltern neidisch auf die Zeit, die ihre Kinder mit fremden Familien verbringen, das höre ich häufiger. Dieses Ehrenamt ist sogar manchen ein Dorn im Auge. Ein Nachbar hat mich gefragt: Wo warst Du, als in Syrien alles zusammengebrochen ist? Es gibt allerdings auch immer noch Menschen, die man neu kennenlernt, und die Begeisterung zeigen, wenn sie merken, dass sie etwas bewirken können. Es ist dennoch ein Marathonlauf, der zunehmend ohne Publikum stattfindet.
Lesen Sie hier, warum das Spendenaufkommen zurückgegangen ist
Da ich russisch in der Schule gelernt habe und die Sprache gut spreche, habe ich mich zuerst als Dolmetscherin eingebracht und Gäste aufgenommen. Dann haben wir den Hilfsverein „DUFE e.V.“ mitgegründet, bei dem auch mein Sohn Lars mitmacht. Er hat zum Beispiel mobile Bäckereien und Generatoren in die Ukraine gebracht. Gerade hat DUFE 20 Kinder ins Ruhrgebiet geholt, die ihre Väter verloren haben und hier nun „Ferien vom Krieg“ machen. Auch mein Mann schraubt am Wochenende für die Initiative „Hey Alter“ ältere Computer zusammen für ukrainische Kinder und Jugendliche.
Als Familie sind wir in diese Ehrenämter hineingewachsen. Neulich hat Lars mich gefragt: „Mama, werden wir weiterhelfen, wenn der Krieg zu Ende ist?“ Wir freuen uns auf diesen Tag, an dem meine Gäste frei zurückkehren können. Und ja, ich glaube, es bleibt viel zu tun.
Mandy Hansen, Vorsitzende der Task Force Flüchtlingshilfe, Gelsenkirchen
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„Ich bin in Riesenfußstapfen getreten. Mein Vater Jürgen Hansen war SPD-Ratsherr in Gelsenkirchen und hat die Task Force Flüchtlingshilfe schon 2015 gegründet. Es gibt einen Laden, Flüchtlingsunterkünfte mit Sozialbetreuern, eine Kreativwerkstatt, in der man sich auch um traumatisierte Kinder kümmert. Aber ich habe immer nur im Hintergrund geholfen, vor allem mit den Finanzen. Buchhalterin ist mein Beruf. Mein Vater hatte vor dem Krieg seine Liebe in der Ukraine gefunden und wollte dort seinen Ruhestand verbringen. Stattdessen hat er immer wieder Hilfstransporte nach Krementschuk begleitet und dort in Luftschutzkellern ausgeharrt. Wir hatten am Anfang große Ängste, aber das ebbt ab wie alles, leider.
Mein Vater ist dann nach einer Uganda-Reise an Malaria gestorben. Die Symptome haben wir alle nicht richtig gedeutet, weil die Krankheit so spät ausbrach. Wir haben dann noch versucht, Malaria-Medikamente aus Gelsenkirchen in die Ukraine zu bringen, aber den Wettlauf haben wir verloren. Ich habe mit ihm besprochen, dass ich seine Arbeit weiterführe und ich mache es gerne.
Mir fehlen natürlich seine Kontakte. Und unabhängig davon ist die Spendenbereitschaft auf ein Viertel dessen zurückgegangen, was zu Beginn des Krieges üblich war. Wir sitzen nun manchmal sechs Stunden in unserer Sammelstelle, einer Tennishalle, und es kommen drei Leute mit Sachspenden. Zwei Mal haben Vandalen unser Lager dort verwüstet. Die Hasskommentare auf Instagram ignoriere ich. Aber noch habe ich nicht das Gefühl, dass es zu viel wird. Wenn Sie jemandem auf dem Sterbebett etwas versprechen, ist es unumkehrbar.“
Annette May, Bertha-von-Suttner-Ukrainehilfe, Oberhausen
„Meine beiden Kinder waren als Austauschschüler mehrfach in Oberhausens Partnerstadt Saporischschja, wir hatten im Gegenzug Gäste. Als der Krieg losbrach, haben wir Louisas Austauschpartnerin Valeriia und ihre Oma aufgenommen, es kamen noch Johannes Partner Artem, sein kleiner Bruder und die Mutter hinzu – und ihr Hund. Mittlerweile betreuen wir etwa 100 Personen, helfen ihnen mit der Bürokratie, vermitteln bei psychischen Problemen einen Arzt, haben über 40 Wohnungen gefunden, renoviert und eingerichtet. Wir, das sind ein ehemaliger Lehrer vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium und ich sowie viele Helfer: vor allem ein Transporteur aus Afghanistan, der selbst als Flüchtling kam, ein Installateur und ein Tischler – und natürlich die ukrainischen Männer selbst.
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Am Anfang war es schwierig, Helfer zu finden, nun ist es eher schwierig, Sachspenden und Geld aufzutreiben. Ich muss öfter über meinen Schatten springen und betteln, um die Wohnungen mit dem Nötigsten auszustatten. Gelegentlich bieten uns Hinterbliebene an einen Haushalt aufzulösen. Darüber sind wir einerseits dankbar, andererseits empfinde ich es als emotional schwierig, weil dort noch getrauert wird, da steckt also auch eine Menge Sozialarbeit unsererseits dahinter.
Das ist alles anstrengend. Manchmal bin ich sehr müde und erschöpft. Wenn ich morgens aufstehe, erwarten mich oft zehn, fünfzehn WhatsApp-Nachrichten mit Dokumenten der Ukrainer, von der Kindergeldkasse bis zum Stromversorger. Wenn ich wieder mal in eine leere Wohnung komme, habe ich oft keine Lust mehr. Aber dann stehen die Flüchtlinge mit ihren Papieren in meiner Küche, gewissermaßen mein Büro, oder es macht nur fiep in der WhatsApp-Gruppe, sofort sind die Helfer da – und ich mache es wieder total gerne. Ich habe tolle Leute kennengelernt, als Gast neue Gerichte probiert, wir haben wilde Geburtstagspartys gefeiert, aber auch zusammen geweint. Und vor allem: Das Netzwerk trägt. In Kürze muss meine Familie selber umziehen, und alle Ukrainer wollen uns helfen.“
Tina Altenburg, Essen
„Die Nachrichten blende ich aus, schalte nur einmal am Tag bewusst ein, um mich zu informieren. Die Gedanken kreisen schon noch um meine Gastfamilie, die zurückgekehrt ist nach Pokrowsk, das liegt bei Donezk. Jeden Tag gehen Flieger über die Häuser, und dann wohnen sie auch noch in der fünften Etage, von wo man nicht so schnell fliehen kann. Ein Block weiter ist dem Erdboden gleichgemacht worden.
Ende März 2022 bin ich mitgefahren nach Lemberg und als wir wiederkamen hatte ich sie im Auto: Iryna mit ihren zwei Mädchen. Der Vater war einen Monat vor dem Krieg an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben ein großes Haus, aber ich habe auch drei Kinder. In der ersten Zeit haben die Gäste zu dritt in meinem Doppelbett geschlafen und ich auf der Couch. Mir fehlte der Schlaf, aber es war auch toll im Sommer. Die Schwester von Iryna und deren Töchter sind dann bei Nachbarn untergekommen.
Aber keiner von uns hatte mehr eine richtige Privatsphäre. Besonders darunter gelitten hat wohl die 15-jährige Tochter von Iryna. Wahrscheinlich wegen ihr sind die drei dann im Mai zurückgegangen. Dabei hatten wir erst im Oktober für sie eine eigene Wohnung gefunden und eingerichtet. Ich habe es mit einer Mischung aus Enttäuschung und Trauer zur Kenntnis genommen. Aber mittlerweile wohnt wieder eine ukrainische Familie in der Wohnung. Aber das ist etwas anderes, die haben keine sieben Monate bei mir gewohnt. Es war eine einmalige Geschichte und ein bisschen Distanz ist auch gesund.“