Essen. Die Verkehrsbetriebe der Region leiden unter Vandalismus. Millionen Euro kostet die Zerstörung in Summe. Die Ruhrbahn setzt nun auf KI-Kameras.
Der Betriebsschutz führt uns den Aufzug des Grauens vor: Am Essener Hauptbahnhof, gleich am Kundencenter der Ruhrbahn, trägt er die Kunden zur U-Bahn-Ebene hinunter – wenn er denn läuft. Das tut er allerdings nur, wenn es gerade mal nicht so läuft, das Pipi. Täglich wird der Zugang von der Klientel, die vor dem Hauptbahnhof trinkt, als Toilette missbraucht. Durch die Außentüren tropft es auf die Türantriebe, wenn der Aufzug unterhalb steht. Neulich, als ein Techniker im Aufzugschacht arbeitete, „begann es neben seiner Schulter zu plätschern“, sagt Oliver Schmittat, bei der Ruhrbahn zuständig für die Sicherheit. Was Vandalismus angeht, hat er alles gesehen. „Die Taster werden auch gerne eingetreten.“
Vandalismus ist ein großes und teures Problem im Ruhrgebiet, wie eine Umfrage bei den Verkehrsbetrieben der Region zeigt. Sechsstellig ist der Schaden bei der Ruhrbahn. Bei der DSW21 in Dortmund schätzt man die Kosten auf bis zu eine Million Euro im Jahr – „kleinere Schäden werden im Tagesgeschäft auch mal ohne Dokumentation beseitigt“. Die Bogestra in der Mitte des Reviers verweist darauf, dass einige Unterstände den Unternehmen gehören, die dort werben, zum Teil auch den Städten.
Vandalismus geht nicht zurück
Die gute Nachricht: mutwillige Beschädigungen nehmen nicht zu. Die schlechte: seit Jahren stagnieren die Fallzahlen. Schaut man sich die Glasbrüche an den Bushaltestellen der Vestischen im Norden des Ruhrgebiets an, sind die Zahlen in den letzten zwölf Jahren womöglich leicht gesunken. 2022 gab es 182 Fälle (Unterstände von Stadt oder unternehmen nicht eingerechnet). Lohn- und Materialkosten: jedes Mal rund 265 Euro. Auf ähnliche Schwankungen verweist die Niag am Niederrhein, die ebenfalls nur Buslinien betreibt: Wenn Unbekannte in einer Nacht zehn Haltestellen in Moers demolieren, bedeutet das meist schon einen Ausreißer in der Jahresstatistik. Einen klaren Trend kann keiner der befragten Verkehrsbetriebe erkennen.
Die Effekte des Vandalismus lassen sich nicht allein mit Zahlen erfassen. Wenn Steine auf Busse geworfen werden, „gefährdet das Fahrgäste, Personal und den Straßenverkehr“, sagt Niag-Sprecher Michael Block. Glasschäden an Haltestellen bedeuten auch, dass Fahrgäste im Regen warten müssen, erklärt Christoph Kollmann von der Bogestra. Wenn Busse oder Züge repariert werden, fallen sie aus. Und wenn der Pipi-Aufzug am Essener Hauptbahnhof mal wieder gesperrt ist (oder zu sehr stinkt), dann müssen Menschen mit Gehproblemen oder Kinderwagen längere Umwege laufen. Machen sie oft nicht und wagen sich mit Rollator auf die Rolltreppe – immer wieder kommt es zu Stürzen.
Aber gibt es denn kein Gegenmittel? Man müsste permanent Personal vor Ort haben, aber das sei nicht finanzierbar, erklärt Schmittat. Das Problem verlagere sich dadurch auch nur. Und Kameras gibt es ja. Die Klientel stört sich nur nicht daran. Grundsätzlich ist es so, dass dort, wo die Ruhrbahn vor Jahren bereits Kameras angebracht hat, die Vandalismus-Zahlen stark zurückgegangen sind, um 85 Prozent. „Als wir die ersten bestraft haben, hat sich das herumgesprochen.“
Mit KI-Kameras gegen Straftäter
Es gibt eine Zentrale, in der alle Videobilder zusammenlaufen, aber um die Menge an Bildern andauernd zu überwachen, fehlt wiederum Personal. Viele Taten dauern zudem nur wenige Sekunden, so dass ein Eingreifen selten möglich ist. Aber noch in diesem Halbjahr, kündigt Schmittat an, will die Ruhrbahn neue Software mit Künstlicher Intelligenz einsetzen, die Straftaten live erkennt und meldet: die typische Handbewegung eines Sprayers, den abgestellten Koffer, den Betrunkenen im Gleisbett. Auch die Stadt Essen interessiert sich schon seit Jahren für diese Technik.
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Wenn Täter erkennbar sind auf den Videos, liegt die Aufklärungsquote schon jetzt bei 36 Prozent – in schweren Fällen auch deutlich höher. Man sollte auch nicht glauben, dass die Jugend von heute durchgehend technisch begabt ist: Schmittat hat schon Videos gesehen, da haben Jugendliche eine Kamera abgerissen und geglaubt, sie hätten auch damit auch das Video zerstört. Ein Jugendlicher hat sich mal in den Bus gesetzt, den Schal hochgezogen, die Fenster zerkratzt, und den Schal wieder runtergezogen. Ein Mann hat in Noppenfolie eingewickelt versucht, einen Snack-Automaten einzuschlagen. Der Stein war ungeeignet, weil weicher Sandstein, die Folie rutschte ihm bei seinen schweißtreibenden Attacken herunter.
Bei Körperverletzungen haben Kameras überhaupt keine Auswirkungen, erklärt Schmittat, die Leute rasten genauso unter Beobachtung aus. Andersherum führt das Bedürfnis mit Videos von Straftaten in Sozialen Medien zu prahlen, zu seltsamen Aktionen. „Es gab mal eine Challenge im Internet.“ Die perverse Aufgabe bestand darin, Aufzugknöpfe mit eigenem Kot zu beschmieren. Die Übeltäter hat die Polizei schnell gefasst, sagt Schmittat. „Ein junges Pärchen.“
Jung sind die allermeisten Täter und Täterinnen, häufig nicht mal strafmündig. Manche begehen ihre Missetaten allein, oft sind sie aber zu zweit oder dritt. Schwerpunkt ist neben dem Hauptbahnhof der Essener Norden. Man könne aber nicht sagen, dass es grundsätzlich Menschen mit Migrationshintergrund seien, sagt Schmittat. „Ein wildes Wochenende in Rüttenscheid ist auch nicht förderlich für unsere Anlagen.“
Drei Viertel Verschleiß, ein Viertel Vandalismus
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186 Fahrtreppen und 61 Aufzüge betreibt die Ruhrbahn in Essen und Mülheim. Täglich kommt es zu einer Störung, Glas ist gesprungen, ein Mülleimer weggetreten. Dann fahren Julian Rehorst und seine Kollegen raus. Bis zu ein Viertel seiner Einsätze betrifft Vandalismus, schätzt er. Die Bleche an den Seiten der Rolltreppen werden gerne eingetreten. Bei den Lippen, zwischen denen die Handläufe unten verschwinden, müssen sich Täter schon verrenken, aber auch dort greifen sie an. Manche bringen gar Schrauben oder Metallteile mit, um sie auszustreuen, und selbst wenn diese nicht in die Rolltreppe selbst gelangen, können sie die Kämme beschädigen, die dies verhindern.
Neulich hat Rehorst in einem U-Bahn-Tunnel noch den Lack gerochen von einem Sprayer, der mehrere Stationen entfernt die Gleise betreten hatte, um sich unbemerkt der Stelle seiner Wahl zu nähern. Einmal haben 20 „Graffittibomber“ zugeschlagen, als die Bahn nur sieben Minuten an der Endhaltestelle Gruga stand. In ihrer Vernehmung erklärten sie, „dass sie wochenlang geübt hatten“, erinnert sich Schmittat. Einer rannte die Bahn entlang und hat im Abstand von einem Meter Markierungspunkte gesetzt. Daran haben sie speziell zugeschnittene Schablonenteile angesetzt. Alles für ein „Kamikazevideo“.
Sie könnten Graffiti-Ex einatmen
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Meistens sind die Schadensersatzforderungen die eigentliche Strafe. Ansonsten drohen Sozialstunden, bei Intensivtätern selten der Jugendknast. Schmittat fände es ja gut, wenn Graffitisprüher auch Graffiti entfernen müssten, „aber es könnte ja sein, dass ihnen bei der Reinigung was passiert, dass sie Graffiti-Ex einatmen. Darum ist das nicht realisierbar.“
Immerhin ist das Zerkratzen von Scheiben stark zurückgegangen. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht ist die Jugend von heute von den Mattscheiben in ihren Händen so abgelenkt, dass sie nicht mehr ans Mattieren der Fenster denkt. Das gilt auch fürs „Etching“. Dabei werden Filzschreiber mit Flusssäure gefüllt, damit ätzt man seine „Tags“ in die Scheibe, die durch die Säure milchig wird. Mitunter ist dies nur äußerst schmerzhaft für die Finger. Oder für andere Fahrgäste, die die Scheiben nichtsahnend berühren.
„Es gab auch Befürchtungen“, sagt Schmittat, „dass die USB-Ladebuchsen in den Bahnen mit Kaugummis zugestopft werden würden.“ Ist aber nicht passiert. Vielleicht findet die Klientel die auch nützlich.
>> Kreative Prävention: Bezugspersonen für Kitakinder
Identifikation ist das Zauberwort, um Vandalismus vorzubeugen. Das versucht man für Kita-Kinder wie für Fußballfans gleichermaßen: Es ist ja schon vorgekommen, dass Busse der Ruhrbahn nach Fußballspielen entkernt wurden: alle Lampen, die komplette Deckenverkleidung. Dass gehüpft wurde, bis ein Gelenkbuss auf die Straße durchsackt. Beschädigungen gab es im Grund immer. Seit die Fanbusse in den Vereinsfarben von Rot-Weiß Essen gehalten sind, sagt Oliver Schmittat vom Betriebsschutz der Ruhrbahn, seien diese Schäden deutlich zurückgegangen. Sogar das Fahrpersonal trägt nun Rot-Weiß. So simpel es klingt, Identifikation scheint so zu funktionieren.
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Die Ruhrbahn geht auch in Schulen, in Kitas schon, um den Kindern Personen vorzustellen, die Busse fahren, Rolltreppen reparieren und dergleichen. Wenn man jemanden kennt, den eine Missetat treffen könnte, begeht man sie womöglich nicht. Täglich gibt es Betriebsbesichtigungen. Die Ruhrbahn produziert auch gerade ein Video für die Sozialen Netze, warum man den Nothalt nicht missbrauchen sollte. Es gibt einen eigenen Youtube-Kinderkanal und das Theaterstück „Martha, die kleine Straßenbahn“.
Auch die Bogestra ist mit der Stadt Bochum aktiv, um Vandalismus zu vermindern und zugleich das Stadtbild zu verschönern: Einen Graffitikünstler haben sie beauftragt, den Zugang zur U-Bahn Station Bermuda3Eck / Musikformum zu gestalten: Violinen, Klavier, Wale und Wasser auf der einen Seite, warme Farben und Feiernde auf der anderen. Ein Wandgemälde, so die Hoffnung, genießt Respekt, wird nicht so schnell übermalt werden. Ein Konzept, das an vielen Orten helfen soll – zum Beispiel auch am Bahnhof Essen-Kupferdreh.