Oberhausen. Vor Weihnachten läuft das Ruhrgebiet zu großer Form auf. Tausende spenden und helfen für die Ukraine. Kinder schicken Grüße und packen Geschenke.
„Liebes Kind, ich wünsche dir Frieden und schöne Weihnachten.“ Diesen Gruß hat ein Kind in Oberhausen geschrieben für ein Kind im ukrainischen Saporishja. In einem Schuhkarton, zusammen mit Handschuhen und Haribo, einer Dynamo-betriebenen Taschenlampe oder einem Plüschhund, wird die Karte schon einen Empfänger gefunden haben – so wie 2400 weitere Kartons mit Weihnachtsgeschenken aus Oberhausen. Vorbei an Feinden und Raketen hat ein Laster sie in die belagerte Provinzhauptstadt gefahren. Und von dort bis in die Dörfer, wo Strom und Heizung schon lange ausgefallen sind und die Kinder in winterkalten Kellerregalen schlafen.
Das ist kein theoretisches Szenario. Die Familie Boyko aus dem Dorf Plavny hat sich bedankt für warme Winterjacken, die der Verein „Oberhausen hilft“ schon vor Weihnachten geschickt hatte. „Neben den Konserven“ mussten der fünfjährige Gleb, der zweijährige Mikhail (im nebenstehenden Bild) und die eineinhalbjährige Aryna die Nacht verbringen, wenn gekämpft wurde. Und um Saporishja wird eigentlich immer gekämpft, schon wegen des Atomkraftwerks. „Danke für Eure Hilfe“, schreibt die Familie. „Jetzt sind wir wenigstens warm angezogen.“
Fast vierzig Jahre Partnerschaft
„Oberhausen hilft“ greift auf fast vierzig Jahre Jugendaustausch mit der Partnerstadt zurück. Schon vor sechs Jahren hatte der Verein in Saporishja zwei Waisenhäuser saniert, damals bereits gründete sich ein ukrainischer Partnerverein. Man hat sich zigmal besucht, man vertraut sich, auch der ukrainische Spediteur gehört zum Netz, erklärt der Vorsitzende Wolfgang Heitzer. Und solche Rückmeldungen wie die der Familie Boyko seien „vielleicht die beste Antwort auf die Nachfrage, ob die Hilfe wirklich ankommt“. Wie sonst ist diese Spendenbereitschaft zu erklären: 2400 Geschenke plus Winterkleidung, Generatoren, Heizöfen, Isomatten, Schlafsäcke ...
Andere stellen vor Ort persönlich sicher, dass die Hilfe ankommt: Der Gelsenkirchener Ratsherr Jürgen Hansen (SPD) wollte im nächsten Jahr seinen Ruhestand angelnd auf seinem Boot verbringen, auf einem ukrainischen See. Nun pendelt er zwischen dem Ruhrgebiet und der Front, ist zeitweise der einzige Ausländer im zentralukrainischen Switlowodsk.
Zuhause packen die guten Seelen der Ukraine-Hilfe (weitgehend identisch mit der Tiertafel) in der kalten Georgskirche stundenlang Kartons mit Spenden. Die Stadt schickt mit Hansens achtem Konvoi Geräte für die Kinderklinik Krementschuk und Winterkleidung. Und Hansen? Der bleibt immer wieder länger, als seiner Familie lieb ist. Neulich schrieb er nach einem Raketenangriff: „Es sind innen vier Grad und wir liegen im Bett, der einzige Ort, der wärmt. Man kann sich nicht mal einen heißen Tee machen; es ist zum Kotzen.“
Auch der Hattinger Frank Seidel bringt seit März Medikamente und medizinisches Gerät ins Kriegsgebiet. 39-mal war er inzwischen dort, 200.000 Kilometer hat er mit seinem Landrover abgespult, hat sogar einen kompletten, von einem Krankenhaus gespendeten OP-Saal transportiert. Der ehemalige Berufssoldat fährt dorthin, wo die meisten anderen nicht hinkommen, ein Fahrzeug in seinem Konvoi hat jüngst 27 Einschüsse abbekommen.
Die Zahl der Spendenaktionen im Ruhrgebiet ist unüberschaubar. In Mülheim schickt die „Initiative Tschernobyl-Kinder Mülheim“ neben Hilfsgütern ebenfalls „Schuhkartons der Hoffnung“ in die Westukraine. In Witten organisiert die aus Cherson stammende Olga Tape einen Hilfskonvoi nach dem anderen – sogar eine ukrainische Musikschule in Witten ist aus dem Projekt entstanden. Für die geflüchteten Kinder im Ruhrgebiet stellen zum Beispiel Apotheken Wunschbäume auf, und da Ukrainer natürlich die Tafeln nutzen, bekommen auch sie die traditionellen Weihnachtsgeschenke für die Kunden.
Ein Generator fürs Theater
Allein in Essen sind so viele aktiv: Hinter „1 Light 4 Ukraine“ stecken drei Essener Vereine, die ihre Touren zusammen planen; gerade läuft die siebte nach Odessa. Und „Lemberg Wir kommen“ hat aktuell einen Riesengenerator ins Theater von Riwne gebracht – nicht wegen der Kultur. Damit die Menschen dort warm übernachten können.
Das Ehepaar Liudmyla und Thomas Schiemann hat bereits Waren im Wert von mehr als drei Millionen Euro gesammelt und mit Hilfe der Caritas und einer ukrainischen Handelskette ins Land gebracht. Gerade geht es vor allem um Generatoren für Cherson, die noch vor dem orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Januar in Kindergärten, Schulen und einem Altenheim ankommen sollen. Eine Klasse von ukrainischen Schülern schrieb dazu Briefe an Soldaten in der Heimat: Sie mögen gesund bleiben, der Krieg soll bald vorbei sein, die Ukraine möge gewinnen. Dazu bekommen die Soldaten Campingkocher – für einen wärmenden Tee.
Das ist längst nicht vollständig. Und man muss sich vergegenwärtigen: Hinter jeder dieser Initiativen stehen viele Helfer und Tausende Spender. Für die Oberhausener Geschenkaktion hat eine Nachbarin Loop-Schals genäht. Die Mitarbeiter einer Tiefbaufirma haben 250 Kartons gepackt. Schüler sammeln über Crowdfunding 14.000 Euro. Ein Kind schenkt seine Dinosaurierfamilie … Dies alles und noch viel mehr wird in diesen Momenten verteilt.