Gelsenkirchen. Selbst dreckige Wäsche unter Spenden schreckt sie nicht ab: Diese Gelsenkirchener packen Stunden über Stunden für die Ukraine. Was treibt sie an?
Für Spenden fahren sie Hunderte Kilometer pro Woche durch die Republik, packen stundenlang Kartons mit Hilfsgütern und wühlen sich dafür nicht selten mit bloßen Händen durch so manche vermeintlich milde Gabe, die man gemeinhin als Abfall bezeichnen würde, beispielsweise getragene Unterwäsche.
Unterkriegen lassen sich Cornelia Keisel, Susanne Middeweg, Ursula Krapp, Ute Schmidt und Ralf Knoblauch trotz allem nicht. „Andere“, sagen sie, „sind schlimmer dran.“ Gemeint sind damit die Menschen in der Ukraine. Die Frauen und Männer von der Georgskirche sind das Rückgrat des Gelsenkircheners Jürgen Hansen, der direkt im zerbombten Kriegsgebiet humanitäre Hilfe leistet. Ohne die Helfer aber würde der Versorgungsstrom dorthin abreißen.
Freiwillige im Unruhestand: Gelsenkirchener engagieren sich im Tierschutz und für die Flüchtlingshilfe – Spenden sammeln seit Ausbruch des Ukraine-Krieges
Die fünf sind Freiwillige, die meisten von ihnen im Unruhestand und bei der Tiertafel Gelsenkirchen zusätzlich aktiv. Nur Cornelia Keisel, die „Tierschutz Hier!“-Stadtverordnete, arbeitet als Hauptamtliche im Tierschutz. Die Helfer könnten ihre Zeit mit angenehmeren Beschäftigungen verbringen, als in der kalten Kirche an der Franz-Bielefeld-Straße tagelang Waren zu sortieren und stoisch Kiste um Kiste zu packen. Was treibt sie an, warum sind sie hier?
Um ihre gemeinsame Motivation zu erklären, braucht Ralf Knoblauch nur wenige Worte. „Die Menschen sind in Not, wir haben Zeit, es zählt jede Hand“, sagt der 60-Jährige. Typisch Ruhri, nicht lang drumherumreden.
Knoblauch, der Fahrer, sitzt wie Cornelia Keisel oft auf dem Bock eines Transporters, wenn Spenden landauf und landab eingesammelt werden. Das Einzugsgebiet ist überraschend groß, „es reicht locker von Frankfurt bis Bremen“.
Georgskirche Gelsenkirchen: Rund um den Altar stapeln sich die Spendenkartons und Paletten – weite Wege, weil Spendenbereitschaft nachgelassen hat
Dass die Helfer so weit durch die Lande fahren müssen, um an dringend benötigte Hilfsgüter zu kommen, hat im Übrigen einen traurigen Hintergrund, wie Cornelia Keisel erzählt. „Die Spendenbereitschaft hier vor Ort hat arg nachgelassen. Von dem, was hier an Waren steht, stammt vielleicht ein Prozent aus Gelsenkirchen.“
Rund um den Altar in der Georgskirche stapeln sich leere Pappkartons, die die Helfer vom Lieferdienst Picknick bekommen. Durch die Zurverfügungstellung der Kirche half Propst Markus Pottbäcker schon zu Beginn der Spendensammlungen, als klar wurde, dass die bisherigen Raumressourcen nicht ausreichen würden, dieses Spendevolumen auch zwischenzulagern.
Hinter dem Altar ist der Sortier- und Packbereich, rechts neben der Statue der Mutter Gottes mit dem toten Jesus in den Armen, stehen Bündel von Krücken, daneben Rollstühle und Rollatoren. Weiter hinten stapeln sich säckeweise Kleiderspenden, transportbereit, und da, wo früher die Kirchgänger beteten und sangen, stehen heute Paletten mit Kartons. Bildaufkleber zeigen, was drinnen auf die Abnehmer wartet – Hygieneartikel, Medikamente, Lebensmittel, Spielzeug oder auch Tierfutter.
Zwar ist Gelsenkirchen eine arme Stadt und die weltweiten Krisen und die steigende Inflation machen die Lage nicht einfacher, nach Kneisels Auffassung ist es aber auch ein „hausgemachtes Problem“. Hansen, der nimmermüde Flüchtlingshelfer, habe in dem ganzen Kriegschaos schlichtweg vergessen, die großen Firmen im Namen der Flüchtlingshilfe anzuschreiben. Dies wolle er jetzt zwar nachholen, aber die 57-Jährige und ihre Mitstreiter nutzen währenddessen ihr Netzwerk, um über Vereine wie „Von Herzen helfen für Mensch und Tier“ oder „Lohmar hilft“ an so dringend benötigte Waren zu kommen. „Die Tiertafel als Absender fruchtet wenig bis nichts“, so Kneisels Erfahrung.
Gelsenkirchener Spendenaufruf – dringend gebraucht werden warme Kleidung, Decken, Medikamente, Schuhe sowie Lebensmittel, am besten als Konserven
Daher ist es oftmals ein mühsames Klein-Klein, bis die wirklich wichtigen Dinge zusammenkommen – gerade jetzt zur Herbst-und Winterzeit sind es „warme Kleidung, Decken, Medikamente, Schuhe sowie Lebensmittel, am besten als Konserven“. Und Goldfolie, so wie sie Rettungskräfte im Einsatz nutzen. Die hauchdünne und superleichte Folie hält sehr warm – Menschen wie auch Tiere. Vor nicht allzu langer Zeit konnten Kneisel und ihre Mitstreiter so etwas noch in alten Verbandskästen auf Schrottplätzen finden, mittlerweile ist aber auch diese Quelle versiegt. „Hat sich wohl rumgesprochen“, so die 57-Jährige schulterzuckend.
Wobei die Bedingungen, unter denen die Helfer ihr gutes Werk verrichten, auch nicht gerade angenehm sind. Die Kirche wird nicht beheizt, hinter den dicken Mauern ist es kalt, die Toilette funktioniert nicht. Kupferdiebe haben den Helfern zufolge die Rohre mitgehen lassen. Ein Wasserkocher nebst Instantkaffee und viel Bewegung beim Packen und Kistenschleppen sorgen für Wärme. Wer austreten möchte, fährt oder läuft rüber zur Tiertafel an der Neumarktgasse. Kein weiter Weg, aber eben umständlich und zeitraubend.
Gelsenkirchener Helfer reißen pro Woche ein großes Pensum ab – 30 Stunden Einsatz für das Ehrenamt sind eher die Regel als Ausnahme
Zeit ist ein gutes Stichwort. Gut 30 Stunden pro Woche sind Susanne Middeweg, Ursula Krapp, Ute Schmidt und Ralf Knoblauch im Einsatz – Cornelia Kneisel, als Koordinatorin Dreh- und Angelpunkt in der Hilfskette, kommt mit Ehrenamt und Hauptjob zusammen auf „ein Pensum von 120 Stunden“. Wobei sie auch sagt, dass Grenzen mittlerweile verschwimmen, denn Tierschutz ist meist gebunden an harten menschlichen Schicksalen. Hund oder Katze seien nicht selten letzte Stütze und Rettungsanker in der Not. Daher landet auf den Lkw, die sich ins gefährliche Kriegsgebiet in der Ukraine aufmachen, auch viel Tiernahrung oder Zubehör.
Samstags ist Großkampftag in der Georgskirche. Zwischen 10 und 17 Uhr nehmen die Helfer die Spenden der Bürgerinnen und Bürger entgegen, unter der Woche sammeln sie im Umland Waren und Hilfsgüter ein. Danach beginnt das lange Auspacken, Sortieren und Einpacken. Nicht selten mit viel Frust verbunden, manchmal auch mit Gesten, die ans Herz gehen.
Helfer zwischen Rührung und Zumutung: Spender geben getragene und eingesaute Unterwäsche ab – Senioren entschuldigen sich, weil sie das Bügeln vergessen haben
„Die Flut im Ahrtal und auch den Krieg in der Ukraine nutzen viele, um ihren Müll loszuwerden“, klagt Susanne Middeweg. Wie oft sie schon getragene und „dementsprechend eingesaute Unterwäsche“ in den Müll statt in eine Hilfslieferung sortiert hat, kann sie kaum noch zählen. Unter dem Deckmantel „Das ist doch noch gut, besser als nichts“ versuchten viele Spender ihren alten Kram loszuwerden. Für die Ehrenamtler, die teilweise mit bloßen Händen Gutes von Schlechtem trennen, eine echte Zumutung. Und vertane Zeit.
Flüchtlingshilfe: So kann man Hilfe leisten
Wer in Gelsenkirchen Hilfsgüter abzugeben hat, kann die Spenden weiterhin samstags von 10 bis 17 Uhr an der Gelsenkirchener Georgskirche (Franz-Bielefeld-Straße 38) abgeben. Auch Geldspenden werden entgegengenommen. Das Konto von Jürgen Hansens Task Force Flüchtlingshilfe: IBAN DE 69 4205 0001 0101 1753 45 (Sparkasse Gelsenkirchen).
Unterstützt werden die ehrenamtlichen Helfer beim Packen und Sortieren in der Georgskirche von Jugendlichen, die Sozialstunden ableisten müssen.
Es gibt aber auch solche Erlebnisse: „Senioren, die sich peinlich berührt entschuldigen, weil sie vergessen haben, Bettwäsche oder Kleidung nach dem Waschen zu bügeln“, erzählt Middeweg weiter. Solche Begegnungen lassen ihr und ihren Kolleginnen das Herz aufgehen und liefern den Grund, warum sie einfach weitermachen. „Helfen kann so schön sein.“
Der nächste Konvoi von Gelsenkirchen aus in die Ukraine könnte sich übrigens eher gestern als heute auf den Weg machen. Der Krieg in der Ukraine hat an zerstörerischer Kraft zugenommen, die Menschen geraten zunehmend in Not. Was die Helfer in Gelsenkirchen augenscheinlich noch eifriger Spenden sammeln lässt. Cornelia Kneisel: „Jürgen kann einen Laster losschicken. Zwölf Tonnen kriegen wir immer voll.“