Gelsenkirchen/Duisburg. Raubüberfälle auf Kinder und durch Kinder nehmen zu. Sie agieren „ohne Verstand“, aber „mit großer Gewaltbereitschaft“, sagt die Polizei.

Messer in der Schule, Räuber im Kindesalter, Eltern in Sorge: Gelsenkirchen wird herausgefordert von mehreren Gruppen junger Straftäter, die andere Schüler überfallen und bedrohen. Der Landtag hat sich eingeschaltet, die Polizei eine Ermittlungskommission eingesetzt. „Wir haben derzeit tatsächlich eine Zunahme an Raubdelikten von sehr jungen Tätern, die uns große Sorgen bereiten und die wir in der Konzentration vorher nicht hatten“, gab Andreas Morbach, Leiter der Polizeiinspektion, im Ordnungsausschuss der Stadt zu Protokoll. Die jungen Täter handelten „ohne Verstand“ und hätten „eine sehr große Bereitschaft zur Gewalttätigkeit“.

Überfall auf dem Schulweg

Montag, 19. September: Eine 14 Jahre alte Schülerin ist in der Altstadt auf dem Weg zur Schule, als sie feststellt, dass zwei Jugendliche ihr folgen von der Haltestelle am zentralen Heinrich-König-Platz. Beide tragen schwarz, beide verstecken sich hinter OP-Masken. Die beiden holen das Mädchen ein, einer fragt nach Geld, dabei hält er ein Messer in der Hand.

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Die meisten Überfälle geschehen außerhalb der Schule, oft aber auf dem Schulweg, in und um die Gelsenkirchener Innenstadt. 28 Taten hat die EK „König“ (benannt nach dem Platz) bislang aufgeklärt, gab Innenminister Herbert Reul (CDU) höchstselbst bekannt. Die 26 Verdächtigen sind elf bis 17 Jahre alt, die Opfer im Schnitt zwei Jahre jünger. „Da geht es oft nicht um viel, um ein bis zwei Euro, Handys oder Turnschuhe“, sagte Morbach. Dennoch würden Messer, Stöcke oder Hämmer eingesetzt.

Solche Probleme hat Gelsenkirchen nicht exklusiv. In Bielefeld steht gerade ein 15-Jähriger vor Gericht, der abends auf dem Schulhof einen Mann mit dem Messer getötet haben soll. Der Bottroper Busbahnhof ist Treffpunkt einer Jugendbande, ihr Anführer soll im Sommer noch 13 gewesen sein. Auch diese Kinder und Jugendlichen bepöbelten, bedrohten, beraubten, schlugen und traten Passanten. In Duisburg plagte bis vor kurzem eine Horde von mehr als 30 Kindern und Jugendlichen die Innenstadt, raste auf E-Rollern zwischen Kindern und Passanten hindurch, verstopfte U-Bahn-Zugänge, bepöbelte Leute, bestahl, beleidigte und bedrohte Händler. Oder Schlimmeres.

Eine Nacht Ende Juli: Drei Jugendliche lauern einem Zeitungsboten (64) im Dellviertel auf. Sie werfen einen Molotow-Cocktail auf den 64-Jährigen. Die Brandflasche verfehlt ihn nur knapp.

Drei 15-jährige Intensivtäter hat die Polizei inzwischen festgenommen, darunter zwei der Werfer. Weitere sechs Jugendliche, 13 bis 16 Jahre alt, dürfen die Innenstadt nicht mehr betreten, zunächst bis Ende des Jahres. Bei Verstößen droht ein Zwangsgeld. Das „Bereichsbetretungsverbot“ sei „eine Möglichkeit, den Jugendlichen zu sagen, wir haben euch im Auge“, sagte ein Polizeisprecher. Zumindest aus Sicht der Innenstadt-Händler hat sich die Lage beruhigt. Nun wird diskutiert, ob man das Verbot gegen weitere Jugendliche anwendet. Nun auch in Gelsenkirchen.

Raubversuch auf dem Schulhof

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Dienstag, 8. November: Der Elfjährige ahnt nichts, da packen ihn drei Jugendliche auf dem Schulhof des Gelsenkirchener Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums und tasten ihn nach Wertgegenständen ab. Schließlich ziehen sie dem Jungen die Jeans herunter und lassen von ihm ab. Die Täter sollen um die 14, 15 Jahre alt gewesen sein, Schulfremde. Es ist nicht der einzige Fall, auch andere Schulen sind betroffen, meist in der Altstadt, in Schalke oder Buer. Ein anderes Mal bedrohen Eindringlinge die Schüler einer sechsten Klasse, wollen sie ausrauben, erfolglos. Auf dem Heimweg lauern sie den Kindern erneut auf.

„Jeden Tag lesen wir in der Zeitung von Überfällen und Raubüberfällen auf Kinder und Jugendliche in der Stadt“, sagt Malte Stuckmann, Vater eines Gauß-Schülers und CDU-Ratsherr. „Wir sind intensiv darum bemüht, Situationen zu vermeiden, in denen unserem Kind so etwas widerfahren kann, in dem wir es selbst zu Schule bringen und abholen und vermeiden, dass es sich zu späten Tageszeiten an bestimmten Orten aufhält.“ Als Eltern habe man sich bewusst gegen Schulen entschieden, in deren Umfeld es zu Übergriffen gekommen sei. Doch offenbar kommt das Umfeld zu den Schulen.

Die Polizei patrouilliert nun gezielter an Brennpunkten, verdeckt und uniformiert, sogar die Hundertschaft holt man dafür aus der Bereitschaft. Aber, erklärt Morbach: „Wir stellen fest, dass die Jugendlichen ganz genau wissen, wo die Strafbarkeitsgrenze liegt und dass sie genau wissen, was die Polizei darf und wo unsere Grenzen liegen.“

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Es geschieht nicht oft, dass eine Schule „um Unterstützung zur Wahrung der Sicherheit und zur Wahrung eines geregelten Schulbetriebes“ bitten muss. Doch im vergangenen Schuljahr richtete die Hauptschule an der Grillostraße diesen Hilferuf an die Schulaufsicht: Üble Beleidigungen und Schlägereien unter Schülern gehörten zum Alltag, teilweise in großen Gruppen, oft waren wiederum Eindringlinge beteiligt. Teilweise wurden Messer gezückt, zudem störten aggressive Auftritte von Eltern den Schulbetrieb. Auch an den anderen Hauptschulen soll es solche Vorfälle gegeben haben, aber nicht so geballt. Der landesweite Sozialindex soll Schulen an Brennpunkten zu Ressourcen verhelfen. Es gibt neun Stufen, die letzte erreicht in Gelsenkirchen nur die Grillostraße. Trotzdem gehört der Unterrichtsausfall zu den höchsten in der Stadt mit 13,4 Prozent. Stufe neun bedeutet übrigens „extreme Herausforderungen“.

Die aggressiven Eltern

Bereits im Mai setzte man sich zusammen: alle vier Hauptschulen, Stadt, Schulaufsicht, Ordnungsdienst und Polizei. Eine Maßnahme: Mehr Schulentwicklungsberater, Psychologinnen und Experten für den Umgang mit verhaltensherausfordernden Heranwachsenden sind nun an den Hauptschulen aktiv. Und tatsächlich soll es ruhiger geworden sein an der Grillostraße. Messer allerdings haben noch immer viele bei sich, heißt es, immer wieder kassieren die Lehrer eins ein. Und die Türen sind nun verschlossen, werden jedem Schüler extra geöffnet – was auch die aggressiven Eltern ausbremst.

Hier scheint oft der Ursprung der Misere zu liegen. Wenn die Polizei einen minderjährigen Räuber schnappt, bestellt sie natürlich die Eltern ein, um das Kind zu übergeben. „Von Obhut kann man da in manchen Fällen aber nicht sprechen“, sagt Morbach. „Und von Interesse der Eltern an den Kindern auch nicht.“