Gelsenkirchen. Schulfremde Jugendliche bedrohen Schüler erst auf dem Schulhof und dann auf dem Heimweg. Kein Einzelfall? Eltern sind wütend und in Sorge.
Er muss seine Gedanken erst sammeln, die Emotionen kochen hörbar hoch in ihm. Es ist eine Mischung aus Wut und Sorge, die diesen Gelsenkirchener Vater umtreibt. An der Schule seines Sohnes werden Schüler einer sechsten Klasse dieser Tage von schulfremden Jugendlichen bedroht und eingeschüchtert. Die Eindringlinge wollen die Schüler ausrauben, was offenbar misslingt. Doch die bisher noch unbekannten Täter geben nicht nach, lauern den Schülern auf dem Heimweg auf, versuchen abermals, die Kinder auszurauben.
Geschehen ist dies vor wenigen Tagen am Gauß-Gymnasium in Gelsenkirchen. Und wie es heißt, sei dies kein Einzelfall. Erst kürzlich hatte die WAZ Gelsenkirchen über den Hilferuf der Hauptschule Grillostraße berichtet, wo sich Ähnliches abgespielt haben soll. Wiederholt mussten Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst eingreifen, weil es zu gewalttätigen Übergriffen kam. Es gab üble Beleidigungen und Schlägereien unter Schülern, teilweise in großen Gruppen, oft unter Beteiligung von Jugendlichen, die gar nicht zur Schülerschaft gehörten. Mitunter seien auch Messer gezückt worden.
Gelsenkirchener Schüler auf dem Heimweg verfolgt, belästigt und bedroht
Gauß-Schulleiter Frank Kaupert ist entsetzt: „Über unsere Schulpflegschaftsvorsitzende erfuhr ich, dass sich in der letzten Woche Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren bei uns während der Unterrichtszeit – daher keine Aufsicht – auf dem Schulgelände aufgehalten und dann einige unserer Schüler:innen auf dem Heimweg verfolgt, belästigt und bedroht haben.“
Diese Nachricht habe die Schulgemeinde schockiert, zumal vergleichbare Fälle, in denen Kinder vor dem Schulgelände und auf dem Heimweg von Fremden angesprochen wurden, „bereits seit einigen Wochen immer wieder an unterschiedlichen Schulen passiert sind“, berichtet Kaupert.
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Die Gelsenkirchener Polizei bestätigt auf WAZ-Nachfrage, dass am Dienstag, 8. November, ein elfjähriger Junge gegen 12.55 Uhr von drei Personen auf dem Schulgelände des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums festgehalten wurde. Anschließend habe das Trio den Schüler abgetastet und ihm schließlich die Jeanshose runtergezogen. Erst danach ließen sie von dem Jungen ab. Entwendet wurde nichts. Bei den Tätern soll es sich um 14 bis 15 Jahre alte Jugendliche gehandelt haben.
Vergleichbare Fälle an Schulen seien der Polizei aus der jüngsten Zeit zwar nicht bekannt, obwohl Schulleiter und Eltern mitunter anderes berichten. Gleichwohl sei die Anzahl der Raubdelikte in Gelsenkirchen mit der Tatörtlichkeit „Schule“ in diesem Jahr aber leicht angestiegen, bewege sich mit neun Fällen aber weiterhin „auf niedrigem Niveau“, so ein Polizeisprecher.
Ein Vergleich zu vorherigen Jahren lasse sich allerdings schwer herstellen, da der Bereich „Schule“ erst 2019 in die Kriminalstatistik aufgenommen wurde und danach die Corona-Jahre folgten. Ähnlich verhalte es sich mit den Bedrohungen (21 Fälle). „Hier ist ebenfalls ein leichter Anstieg zu verzeichnen, wobei dies darauf zurückzuführen sein kann, dass der Tatbestand der ‘Bedrohung’ sich im April 2021 geändert hat und nun weiter gefasst wird“, so ein Behördensprecher.
Darüber hinaus ist es aber in der Tat so, dass die Polizei Gelsenkirchen derzeit vermehrt über Raubdelikte auf Straßen, Wegen und Plätzen, begangen durch Jugendliche und Heranwachsende berichtet. „Die Tatörtlichkeiten liegen in den und im Umfeld der Stadtteilzentren (Altstadt, Schalke und Buer), sodass auch Schüler auf dem Heimweg betroffen sein können. Allerdings sei ein Zusammenhang mit den Tatörtlichkeiten „Schule“ nicht in jedem Fall zu erkennen.“
Stadt Gelsenkirchen, Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst in der Verantwortung
Am Gauß-Gymnasium jedenfalls werde man aber nun mit der Polizei, der Schulpflegschaft und der Schülervertretung versuchen, Möglichkeiten zu erörtern, „um unsere Schule zu einem sichereren Ort zu machen“, berichtet Schulleiter Frank Kaupert.
Da sich diese Vorfälle aber vorwiegend außerhalb der Unterrichtszeit und auf dem Heimweg der Kinder ereigneten, sieht der Schulleiter vor allem auch die Stadt, die Polizei und den Kommunalen Ordnungsdienst in der Verantwortung „durch stärkere Präsenzen diesem Problem entgegenzuwirken, zumal das Problem schon seit einer Weile in Gelsenkirchen besteht.“
Frank Kaupert hofft, „dass es uns allen in kürzester Zeit gelingt, unseren Schüler:innen die Ängste zu nehmen, sich auf dem Heimweg Bedrohungen Fremder ausgesetzt zu sehen!“
Eltern in Sorge: „Es kann aber doch nicht sein, dass wir jetzt nach amerikanischem Vorbild Sicherheitsdienste an den Schulen einsetzen müssen.“
Derweil sorgen sich einige Eltern dieser Tage besonders um die Sicherheit ihrer Kinder. Malte Stuckmann, CDU-Ratsherr und selbst Vater eines jungen Gauß-Schülers, berichtet, dass ihn die Nachricht von dem Raubversuch auf dem Schulhof und auf dem Heimweg „erschreckt“ hat.
„Uneingeschränkt jeden Tag lesen wir mittlerweile in der Zeitung von Überfällen und Raubüberfällen auf Kinder und Jugendliche in der Stadt. Wir sind intensiv darum bemüht, Situationen zu vermeiden, in denen unserem Kind so etwas widerfahren kann, in dem wir es selbst zu Schule bringen und abholen und vermeiden, dass es sich zu späten Tageszeiten an bestimmten Orten aufhält. Von einzelnen Schulen haben wir, als wir uns für eine weiterführende Schule entscheiden mussten, gehört, dass Übergriffe auf Schülerinnen und Schüler an Haltestellen oder im näheren Umfeld der Schule vorkommen und haben uns bewusst gegen diese Schulen entschieden“, so Stuckmann.
Das Auflauern von Schülern auf dem Schulgelände oder in Schulgebäuden stelle jedoch ein Kriminalitäts- und Gefahrenpotenzial dar, das erschrecke und wütend mache. „Grundsätzlich sollten alle Orte, an denen sich unsere Kinder aufhalten, sichere Orte sein. Schule jedoch bekommt noch einmal eine besondere Bedeutung, weil wir die Kinder bewusst in die Obhut der Schule entlassen. Und das müssen wir als Eltern auch können, weil es unumgänglich ist. Es kann aber doch nicht sein, dass wir jetzt nach amerikanischem Vorbild Sicherheitsdienste an den Schulen einsetzen müssen, nur um unsere Kinder in Sicherheit zu wissen“, sagt Stuckmann.
„Es waren schulfremde Jugendliche, die den Kindern aufgelauert haben“
Der Kommunalpolitiker, Rechtsanwalt und Vater hat sich entschieden, mit der WAZ offen über den Überfall am Gauß-Gymnasium zu sprechen, weil er derartige Ereignisse nicht stillschweigend hinnehmen will. „Vielleicht mehr denn je bedarf es heute daher noch mehr Zivilcourage von Eltern, Lehrern und Schülern, um derartige Täter in ihre Schranken zu weisen. Die Täter sind oft noch nicht oder gerade erst strafmündig, was die Handlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden stark einschränkt.“
Der konkrete Vorfall sei laut Stuckmann nur zufällig zwei Tage später bekannt geworden, da die Betroffenen es als übliche Rangelei auf dem Schulhof abgetan hätten. „Gerade das war es jedoch nicht. Es war keine Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen aus der 9. Klasse und Kindern aus der 7. Klasse. Es waren schulfremde Jugendliche, die den Kindern aufgelauert haben“, unterstreicht Malte Stuckmann in aller Deutlichkeit, wie sehr ihn und andere Eltern das Geschehene beschäftigt.