Essen-Altenessen. Sascha H. aus Essen war jahrelang drogenabhängig und obdachlos. Heute findet man ihn häufig am Gabenzaun in Altenessen. Das ist seine Geschichte.

Jeden Samstagvormittag ist der Glaspavillon auf dem Altenessener Karlsplatz umlagert: Dort verteilt die ökumenische Initiative „Altenessener Gabenzaun“ seit Beginn der Pandemie kostenlos Lebensmittel und Hygieneartikel an Bedürftige. Über 180 Menschen sind es an diesem sonnigen Samstag, die sich geduldig anstellen; die Schlange reicht fast bis zum Altenessener Einkaufszentrum. Unter ihnen sind auch die ersten ukrainischen Flüchtlingsfamilien, die mittlerweile im ehemaligen Marienhospital untergebracht worden sind.

Die Not wird immer größer, das merken wir ganz stark“, sagt Uli Hütte, einer der Initiatoren des niedrigschwelligen Angebotes. Das liege auch an den steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie. „Den Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind oder nur eine kleine Rente bekommen, bleibt halt immer weniger zum Leben.“

Essener rutschte immer wieder in die Heroinsucht zurück

Einer, der von Anfang an regelmäßig vorbeikommt, ist Sascha H.: Der 50-Jährige ist vom Leben stark gezeichnet. Seit seiner Teenagerzeit ist er heroinsüchtig, hat mehrere Entzüge geschafft und ist dann doch wieder rückfällig geworden. Die Sucht bestimmt sein Leben und war auch verantwortlich für seine jahrelange Obdachlosigkeit und seinen erkennbar schlechten Gesundheitszustand.

Anders als etwa bei der Tafel muss man am Gabenzaun in Essen-Altenessen keinen Bedürftigkeitsnachweis vorzeigen.
Anders als etwa bei der Tafel muss man am Gabenzaun in Essen-Altenessen keinen Bedürftigkeitsnachweis vorzeigen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Gerade bin ich mal wieder im Methadonprogramm“, erzählt er freimütig, „ich habe nach dem Tod eines guten Freundes rechtzeitig gemerkt, dass der Rückfall droht und mich dort angemeldet“. Im 25-köpfigen Team des Gabenzauns kennt ihn jeder, hier fühlt er sich wohl und angenommen. „Ich komme gerne hierher, hier begegnen mir die Menschen ohne Vorurteile. Und ich finde immer jemanden zum Quatschen.“

Kontakt zum Gabenzaun über Pfarrerin aus Essen-Karnap

Entstanden sei der Kontakt über die Pastorin Ellen Kiener, die zum Pfarrteam der evangelischen Kirchengemeinde Essen-Karnap gehört. „Zu ihr habe ich einen ganz starken Bezug, sie hat mir viel geholfen“, sagt Sascha H. Und er konnte die Hilfe zurückgeben: „Als die beiden Altenessener Gemeinden 2020 den Gabenzaun gestartet haben, wurde ich zu Rate gezogen, was man in die Tüten geben sollte.“ Denn als ehemaliger Obdachloser wisse er, was die Menschen, die auf der Straße leben, benötigen.

Er selbst hat es mit Hilfe des CVJM geschafft, die Straße zu verlassen. „Seit 2013 habe ich eine eigene kleine Wohnung.“ Der Weg dahin war nicht leicht, „viele Obdachlose haben einfach keine Energie und keine Selbstdisziplin, sich da rauszuholen“. Ihnen fehle jegliche Struktur, „deswegen brauchen die Obdachlosen eigentlich jemanden, der sie an die Hand nimmt und alles mit ihnen erledigt“.

Essener schlief als Obdachloser meist unter Brücken

Über die Jahre auf der Straße spricht Sascha H. nicht so gerne, am liebsten würde er sie ganz vergessen. Doch das ist nicht so einfach. Denn was er erlebt hat, hat ihn geprägt. Auf der Straße gebe es keine Solidarität, die Menschen hielten Abstand und gingen sehr vorsichtig miteinander um, erzählt er. „Jeder ist sich selbst der Nächste, man vertraut eigentlich niemanden.“

Uli Hütte ist einer der Initiatoren des Gabenzauns in Essen-Altenessen.
Uli Hütte ist einer der Initiatoren des Gabenzauns in Essen-Altenessen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Geschlafen habe er meist unter Brücken und an anderen halbwegs wind- und wettergeschützten Stellen. Sein Glück war die Essener Anlaufstelle beim CVJM: Dort konnte er schlafen, dort half man ihm später bei der Wohnungssuche. Parallel dazu war Sascha H. in der städtischen Beratungsstelle für Wohnungslose, die sich damals noch in der Maxstraße befand, polizeilich angemeldet: „Das war dann meine Adresse für die Behörden.“

Essen-Altenessen: Obdachlose bekommen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Suppe

Ausgabe immer samstags

Entstanden 2020 mit Beginn der Pandemie hat sich die niederschwellige kostenlose Verteilung – anders als bei der Essener Tafel benötigen die Spendenempfänger keinen Bezugsschein – inzwischen im Stadtteil etabliert.Die Ausgabe ist immer samstags von 11 bis 12 Uhr. Spenden können an der Hedwigskirche, An St. Hedwig 17a, im Pfarrbüro von St. Johann Baptist oder samstags direkt am Glaspavillon abgegeben werden. Von 11 bis 12 Uhr steht dort auch eine Spendendose.Trotz der vielen Spenden kauft Organisator Uli Hütte wöchentlich für rund 400 Euro Lebensmittel und Hygieneartikel ein, um die immer größere Zahl der Bedürftigen zu versorgen. Das wird allerdings immer schwieriger, „seit dem Krieg in der Ukraine werden mir in den Supermärkten oft Hamsterkäufe unterstellt“, erzählt er.

Auch wenn er schon lange nicht mehr unter Brücken nächtigt, der Kontakt zu den verschiedenen Organisationen für Obdachlose ist geblieben. Im Café in der Hoffnungsstraße sitzt Sascha H. gerne beim Frühstück und Mittagessen, trifft dort Menschen mit ähnlichen Lebensläufen. Genauso ergehe es ihm am Gabenzaun: Hier könne er nicht nur Lebensmittel abholen, sondern auch einen Teller warme Suppe, der jeden Samstag in der nahe gelegenen Kirche St. Johann Baptist von den Ehrenamtlern gekocht wird.

Unter Menschen sein, das helfe ihm. „Allein zu leben ist eigentlich nichts für Sascha“, sagt auch Uli Hütte, das ziehe ihn nur runter. Und weil man in Altenessen nicht nur Lebensmittel verteilt, sondern sich auch um die Schicksale der Menschen kümmere, bemühe man sich gerade darum, ihm einen Platz in einer Wohngruppe zu besorgen. Dort gebe es Struktur, ein Tagesprogramm, gemeinsame Mahlzeiten und, ganz wichtig, ein Miteinander. „Das würde mir auch sehr zusagen“, sagt Sascha. Und zum ersten Mal lächelt er.