Essen. Die Essenerin Katrin Fechter kämpft seit 18 Jahren mit starken Kopfschmerzen. Sie hat ihre eigene Methode entwickelt, damit umzugehen.

„Mi-Mi-Migräne-Monster“ hat Katrin Fechter die wuscheligen Wesen genannt, die sie selbst gezeichnet hat. „Es gibt über 300 Arten von Kopfschmerzen“, sagt die 41-Jährige. Sie kennt sich aus: Seit 18 Jahren leidet die Essenerin unter Migräne. Doch jammern liegt ihr nicht. Mit Humor und positiver Energie will sie sich und anderen Patienten Mut machen: mit bunten Karten und demnächst auch einem Buch.

Was sie uns zeigt, sieht aus wie ein Spiel. Ist aber keines. Rund 70 Karten mit witzigen Figuren. „Ich will helfen, anschaulich über Migräne aufzuklären und Vorurteile mit Fakten widerlegen“, betont die zierliche, blonde Frau. Helles Sonnenlicht fällt in die Dachwohnung, draußen ist es drückend heiß. „Heute geht es mir so einigermaßen“, sagt sie. Doch die tiefe Stirnfalte lässt erahnen: Da braut sich in ihrem Kopf der nächste Migräneanfall zusammen.

Migräne ist eine echtekörperliche Erkrankung

Katrin Fechter (41) leidet seit 18 Jahren an Migräne. Um mit der Krankheit besser leben zu können hat sie ein Kartenset gestaltet auf dem selbst gemalte Migräne-Monster abgebildet sind.
Katrin Fechter (41) leidet seit 18 Jahren an Migräne. Um mit der Krankheit besser leben zu können hat sie ein Kartenset gestaltet auf dem selbst gemalte Migräne-Monster abgebildet sind. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Mit den ständigen Kopfschmerzen kämpft Katrin Fechter seit 2004. Damals fuhr die 23-Jährige mit Freunden voller Lebensfreude Longboard. Ohne Helm. Sie stürzte schwer und erlitt einen sechsfachen Schädelbruch. „Das war nach Ansicht der Ärzte der Auslöser für meine geerbte Migräne.“ Eigentlich hatte sie Maskenbildnerin am Theater werden wollen. Doch mit dem Unfall zerplatze der Traum. Auf dem Küchentisch zeigt die Essenerin ihre Erfindung. Wenn es in ihrem Schädel klopft und hämmert, Lichtblitze das Gesichtsfeld einengen und Übelkeit über Stunden oder Tage jegliche Aktivitäten so gut wie unmöglich machen, kann sie nicht viele Worte machen: „Die Kommunikation muss möglichst einfach sein.“ Hierbei sollen ihre Monsterkarten helfen. „Die Bilder sind eine analoge Form zum Migränekalender. Sie verdeutlichen meinen Zustand für mich und andere.“

Sie greift zu einer grünen Karte mit Stärke 3 auf der Monsterskala. „Etwas stärkere Schmerzen, Aktivitäten sind minimal eingeschränkt“, steht auf dem Schild, das ein zotteliges Wesen mit Kulleraugen in den Pfoten hält. Schon in der Schule zeichnete Katrin Fechter gern. Nach dem Unfall nähte sie lustige Kissen aus Frottee, für sich und andere. Einige dieser „Smörmelz“-Monster verkaufte sie bis nach Kanada.

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Nun visualisieren Fechters „Mi-Mi-Migräne-Monster“ eine Krankheit, an der in Deutschland laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (dmkg) circa sechs Millionen Menschen leiden. „Migräne ist eine echte körperliche Erkrankung“, betonen die Experten. „Immer noch tun viele sie als Unwohlsein ab“, weiß die langjährige Patientin. Probleme im beruflichen und sozialen Umfeld sind häufig. Welche Firma stelle schon gern Leute ein, die so oft ausfallen? Sie leide mehr als 20 Tage pro Monat unter den Beschwerden.

„Am 8. August wird mein Monster 18.“ Klingt witzig. Aber tauschen möchte wohl niemand mit ihr. Den humorvollen Umgang mit ihrer chronischen Krankheit nennt sie „Monsterkraft.“ Sie habe vor, der beste Freund ihrer Migräne zu werden. Auch den Lesern ihres locker verfassten Ratgebers empfiehlt sie, ihre persönlichen „Monster“ kennenzulernen oder gar zu versuchen, sie ein stückweit zu lieben. Fechters Buch soll im Herbst erscheinen, als Ergänzung zu den Karten oder auch solo.

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30 Symptom-Monster und 25 Erste-Hilfe-Monster gehören zu dem Kartenstapel, auch die häufigsten Kopfschmerzarten: Wo das Gehirn frei liegt und ein Messer in einem der Kulleraugen steckt, hat Fechter die Cluster-Variante illustriert: extrem unangenehme Beschwerden im Bereich von Schläfe und Auge. Beim Spannungskopfschmerz steckt der Kopf des Monsters in einer Schraubzwinge. Das Migräne-Monster schaut aus verdrehten Augen. Aus seinem Kopf raucht es, ein Blitz fährt in die Schläfe. „Migräne ist eine neurologische Erkrankung. Sie entsteht nicht durch Stress. Der kann ein Auslöser sein, aber nie die Ursache“, erläutert die Essenerin.

Ihr Fachwissen hat sie in der Schmerzklinik Kiel gelernt. Es gebe etliche gängige Unwahrheiten über Migräne. Viele Therapien und Medikamente habe sie ausprobiert. Doch am meisten brachte sie eines weiter: „Der Gedanke, dass man der Krankheit nicht komplett ausgeliefert ist, sondern sich damit arrangieren kann.“ Fechter ist Optimistin. Mit den Karten hat sie einen Weg gefunden, ihre Kopfschmerzen einfach zu beobachten: „Bei einem akuten Anfall sind ein analoger Schmerzkalender oder die Apps zu kompliziert.“ Liegt das lila Monster von der roten Karte auf dem Tisch – Schmerzstärke 10 – weiß jeder, wie furchtbar sich Fechter gerade fühlt. „Das Umfeld muss im Bilde sein, um handeln und gegebenenfalls helfen zu können.“

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„Das Heavy-Metal-Gewitterspielt ein Drum-Solo“

Ihre Migräne gehe mit einer Aura einher, sie habe Seh- und Sprachstörungen. Wie mies es ihr geht, beschreibt sie anschaulich im Buch. Achtung, Trigger-Warnung: „Stell‘ dir den heftigsten Magen und Darmvirus, gepaart mit einer schlimmen Grippe vor. Für die Erwachsenen, die schon mal Alkohol getrunken haben: in Kombination mit einem monströsen Kater. Leider hat die bombastische Party am Abend vorher nie stattgefunden. Die Party ist in deinem Kopf. Das Heavy Metal-Gewitter spielt ein Drumsolo.“ Etwa 15 Prozent der Patienten haben die Aura, sagt Katrin Fechter. Die ähnele „einem Stroboskop auf einer fetten Technoparty, und in der Ecke läuft die Nebelmaschine“. Hier wird deutlich: „Migräne ist nicht einfach nur Kopfschmerz. Sie nimmt den ganzen Körper in Beschlag.“

Der Kühlhelm liegt bereit

Licht- und Lärmempfindlichkeit, Augenflimmern, Kribbeln in den Gliedern oder Sprachstörungen gehören zu den häufigen Vorboten. Wer sie bemerkt, könne dem Anfall entgegenwirken, so die Essenerin. Heißhunger auf Kohlehydrate sei bei ihr ein Indiz für eine bevorstehende Schmerzattacke. Eine Portion Bratkartoffeln oder Nudeln, rechtzeitig gegessen, mildere oft den Schweregrad. In fast zwei Jahrzehnten hat Fechter einige Therapien und Medikamente ausprobiert. Auch ein Schmerztagebuch führt sie regelmäßig. Wie in einen Fragebogen tragen Patienten dort Symptome und deren Dauer ein.

Doch bei einem Anfall schafft nicht jeder das Ausfüllen. Die Monster sind deshalb bewusst einfach gehalten. Von 0 bis 10 reicht die monströse Schmerzstärke, die sie mit ein paar einfachen Strichen in die Gesichter gezeichnet hat. Was immer aus den Karten wird, das Malen habe sie abgelenkt. „Migräne ist wandelbar, und positives Denken hilft.“ Irgendwann werde sie ihre Krankheit bezwingen, hofft sie. Bis dahin liegt der Kühlhelm mit den Akkus griffbereit im Eisfach. Für den Fall, dass das Monster wieder zuschlägt …

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