Düsseldorf/Ruhrgebiet. Kundgebungen und Mahnwachen: Im Ruhrgebiet und in Düsseldorf demonstrieren am Wochenende Tausende gegen Putin und den Krieg in der Ukraine.
„Kein Krieg in Europa!“ Es ist der neue, ja, Anti-Schlachtruf der Demonstranten in diesen ersten Kriegstagen, und sie rufen ihn überall. In Essen, in Witten, in Dortmund, da kommt er aus 4000 Kehlen und wo sonst als auf dem Friedensplatz. In Düsseldorf strömen am Samstag ebenso viele Menschen zusammen, es wird ein blau-gelbes Statement: #standwithukraine, der Ukraine zur Seite stehen, ist mehr als ein Hashtag, es ist eine Haltung.
Als sie diese Kundgebung angemeldet haben, es ist gerade wenige Tage her, da hofften sie noch „auf gesunden Menschenverstand“, sagt Dimitri auf dem Schadowplatz der Landeshauptstadt. Da hielten sie es „nicht für möglich, dass die Ukraine überfallen werden könnte“. Und wollten eigentlich an Belarus erinnern, dieses andere Nachbarland der Russen, dessen Volk so vergeblich um seine Freiheit kämpft. Weshalb sie nun die Farben ein bisschen mischen, Himmelblau und Gelb für die Ukraine, Rot und Weiß für Belarus, der Feind ist für diese Menschenmenge derselbe: „Stoppt Putin!“ ist noch die freundlichste Aufschrift auf den Plakaten.
Putin: „Mörder“, „Despot“, „Kriegsverbrecher“
„Putin = Hitler“ steht da auch oder gleich „Putler“. „Mörder!“ schimpfen sie den russischen Präsidenten, mindestens „Despot“ und immer wieder „Kriegsverbrecher“. „Aggressor“ sagt der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP), der Putin vorwirft, „sein Brudervolk überfallen“ zu haben. „Wir werden“, ruft der SPD-Landtagsabgeordnete Josef Neumann, „seine Kriegsverbrechen nicht vergessen, so wie wir Hitlers Kriegsverbrechen nicht vergessen haben!“ Applaus auf dem Platz, Kinder trommeln auf Fässer in den ukrainischen Farben; das Echo wirft die Zustimmung tausendfach von den hohen Häusern zurück.
Dabei ist es eigentlich eine stille Demonstration, beeindruckend ruhig, geradezu traurig. Schweigend strömen die Menschen zusammen, ohne Worte halten sie Transparente und Fahnen, mit der Hand auf dem Herzen und unter Tränen singen viele die ukrainische Hymne. Wegen Corona dürften sie nicht eng zusammenstehen, aber genau darum geht es. „Schaut, wie stark wir sind, wenn wir zusammenstehen!“, sagt die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Zanda Martens, 1984 noch in der Sowjetunion geboren. Es sei nicht mehr die Zeit, darüber nachzudenken, „ob es uns etwas angeht“, beschwört eine andere Rednerin die Menge, „wir sind mittendrin“! „Der Krieg ist kilometerweit weg, aber er ist mitten unter uns“, hat auch Thomas Westphal, Oberbürgermeister in Dortmund, auf der dortigen Kundgebung gesagt. In Witten trägt am Samstag jemand dieses Schild: „Europa wach auf, du bist das nächste Opfer.“ Dimitri in Düsseldorf sagt: „Die Ukraine kämpft auch für unsere Freiheit und unsere Zukunft.“
Viktorija glaubt an die Demokratie und „unseren Sieg“
Auch wenn am Samstag viele gekommen sind, die Familie in der Ukraine haben – die Mehrheit bilden Menschen, die Angst haben vor dem Krieg. Junge Leute, die ihn gar nicht kennen. Die solidarisch sein wollen: „Die Ukraine soll sehen, dass wir auf ihrer Seite sind“, sagt in Essen die 13-jährige Ella. Pappen, Masken, Luftballons, sogar Haare haben die Menschen eingefärbt in den Farben der Ukraine, die Fahne hängt um ihre Schultern, Frauen tragen Blumenkränze mit langen Bändern. Teil ihrer Tracht, erklärt die Düsseldorferin Viktorija, 49, die einen deutschen Pass hat, Russisch spricht, aber: „Mein Herz ist ukrainisch.“ Auch die Frau auf dem Foto in ihrer Hand trägt Tracht, aber darunter eine Armee-Uniform, ein Bein ist eine Prothese. Viktorija sagt, sie glaubt an die Demokratie, „ich glaube auch an unseren Sieg“. Auf vielen Plakaten tropft rote Farbe wie Blut von Putins Namen.
Ein paar Meter weiter steht ein junger Mann, der seine Sorge auf Englisch in die Runde hält: „Meine Eltern werden bombardiert, in Kiew, genau jetzt!“ Auch Katja ist da, die 25-Jährige hat in Deutschland studiert und arbeitet hier, aber ihre Familie ist in der Ukraine, „das tut sehr weh“. Auf das Stück Pappe in der Hand hat sie etwas in kyrillischen Buchstaben geschrieben, Katja sagt, es heiße „Verpisst euch, nur schlimmer“. Es soll das Letzte gewesen sein, was die 13 ukrainischen Soldaten auf der Insel Zmiinyi den Russen entgegenriefen.
Demonstranten fordern Waffen für die Ukraine
„Überfälle sind sowas von 1933“, steht auf anderen Transparenten, „Peace“, „Nie wieder Krieg“, „Helft Selenskyj“, dem ukrainischen Staatschef, oder „Close the sky“, Schließt den Luftraum. Ein kleines Mädchen hat sein Schild ganz bunt gemalt und nur zwei Wörter darauf gepinselt: „Frieden, bitte“. Viele Forderungen aber richten sich auch direkt an Deutschland: „Keine Geschäfte mit dem Mörder!“, „Waffen für die Ukraine!“ und immer wieder ein durchgestrichenes „Swift“ – das internationale Zahlungssystem, in dem Russland vorerst bleiben darf. In Essen fordert Iryna, Mutter von drei kleinen Kindern: „Die Ukraine braucht Waffen“, es müssten stärkere Sanktionen verhängt werden. „Wollen wir nur zuschauen?“, fragt eine Rednerin in Düsseldorf, „wir haben keine Zeit mehr zu reden!“
Minister Stamp macht keine Zugeständnisse, nur so viel: „Im Namen der Landesregierung“ bietet er Unterstützung an für Menschen, die ihre Lieben in Sicherheit bringen wollen. Zudem findet er, es sei nicht richtig, „dass wir über steigende Benzinpreise lamentieren, wenn unsere ukrainischen Geschwister um ihre Familien in der Heimat bangen“. An die russischen Bürger in Deutschland wendet sich der Liberale mit dem Appell, der heimischen Propaganda nicht zu glauben. Er wisse, es sei „nicht das russische Volk, das auf seine Brüder und Schwestern schießt“. Es sei der „Despot im Kreml, der befiehlt, dass russischen Familienväter auf ukrainische Familienväter schießen“. Ähnliches hat auch OB Westphal in Dortmund gesagt: „Das ist kein Krieg von Russen gegen Ukrainer, das ist der Krieg eines machtbesessenen Präsidenten.“
Trotzdem, sagt Joachim Stamp, könne man „mit einer Demo den Krieg nicht stoppen“. Aber sie stemmen sich dagegen, in Düsseldorf, Dortmund, Essen, Witten, Hattingen und am Abend noch in Oberhausen, wo die Menschen gemeinsam beten. Sie hoffen. Viktorija, die bald 50 wird, wollte das in der Ukraine feiern. „Und ich werde dort feiern!“ Der Geburtstag ist im April.