Gelsenkirchen. Seit dieser Woche gibt es in vielen Städten im Ruhrgebiet gezielte Impfangebote für Schüler. Wächst damit auch der Druck auf die Jugendlichen?

„Ich hoffe, dass das alles bald ein Ende hat“, sagt Hala Haji und lässt sich auf einen der weißen Stühle fallen. Eine Viertelstunde soll sie sitzen bleiben, um sich von ihrer Impfung zu erholen. 52 Schülerinnen und Schüler haben sich zum Start in die erste richtige Schulwoche auf dem Hof des Max-Planck-Gymnasiums in Gelsenkirchen impfen lassen. Insgesamt sechsmal macht der Impfbus in dieser Woche an Schulen im Stadtgebiet Halt. Und das Angebot an alle Jugendlichen ab 16 Jahre wird genutzt: um die Testpflicht zu umgehen oder bei einem positiven Fall nicht in Quarantäne zu müssen.

„Ich habe keine Lust, meine Abiturklausuren zu verpassen, weil in Mathe jemand neben mir saß, der positiv ist“, sagt eine Freundin von Hala Haji, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Den beiden Oberstufenschülerinnen geht das Testen vor Unterrichtsbeginn auf die Nerven, Hala Haji fürchtet zudem mögliche Langzeitfolgen einer Infektion. Vor allem aber wollen die beiden Schülerinnen, die im kommenden Frühjahr ihre Abiturprüfungen schreiben, keine weitere Unterrichtsstunde verpassen. So sind Kinder und Jugendliche, die geimpft sind und keine Symptome zeigen, laut dem Schulministerium in NRW von der Quarantäneregelung ausgenommen. Obwohl ihre Eltern zunächst skeptisch gewesen seien, entschieden sich die Schülerinnen daher für die Impfung.

Die 20-jährige Hala Haji befürchtet mögliche Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung.
Die 20-jährige Hala Haji befürchtet mögliche Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Auch Shirin Atayas Vater war skeptisch, hat sich selbst gegen eine Impfung entschieden. „Der Impfstoff“, findet er, „ist noch nicht ausreichend erforscht.“ Seine 16-jährige Tochter füllt an diesem Morgen dennoch den Fragebogen aus: „Umso mehr Menschen geimpft sind, umso schneller ist das Ganze vorbei“, sagt sie. Und nur weil der Impfstoff schneller als üblich zugelassen worden sei, sei er nicht schlecht. Ihr Vater hatte der Impfung schließlich zugestimmt. Voraussetzung: der Impfstoff von Biontech/Pfizer. Für das Impfteam in Gelsenkirchen kein Problem: „Wir haben ausschließlich Biontech“, sagt Jörg Pinnau vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). 140 Dosen lagerten in einer Kühlbox.

„Natürlich stehen die Jugendlichen in den Schulen unter Gruppenzwang“

Auch in anderen Städten im Ruhrgebiet, etwa in Essen, Duisburg und Herne, gibt es seit dieser Woche gezielte Angebote für Schülerinnen und Schüler. Doch wächst mit der Impfung auf dem Schulhof nicht der Druck auf diejenigen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben? Der in Köln ansässige Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte jedenfalls sieht die Impfungen von Kindern und Jugendlichen im Umfeld von Schulen kritisch. „Natürlich stehen die Jugendlichen in den Schulen unter Gruppenzwang“, sagt Bundesverbandssprecher Jakob Maske. Er rät zu einer Impfung in den Praxen, wo Familien gemeinsam mit dem Arzt eine Entscheidung treffen könnten.

Schülerin Shirin Ataya (16) hofft auf ein schnelles Ende der Pandemie.
Schülerin Shirin Ataya (16) hofft auf ein schnelles Ende der Pandemie. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Ebenso kritisiert Maske, dass sich insbesondere Oberstufenschüler impfen lassen, um eine Quarantäne während Klausuren oder der Prüfungsvorbereitung in der Schule zu vermeiden. „Die Teilnahme am Unterricht muss unabhängig vom Impfstatus gewährleistet sein“, fordert der Kinderarzt. Eine freie, unabhängige Entscheidung sei unter diesen Umständen kaum möglich.

Shirin Ataya hat zwei Freundinnen, die sich „auf keinen Fall“ impfen lassen möchten. Sie hätten Angst vor möglichen Nebenwirkungen, so die 16-Jährige. Und auch wenn das bei einigen Klassenkameraden auf Unverständnis stoße: Sie akzeptierten, dass die Impfung eine persönliche Entscheidung ist. „Natürlich spricht man darüber“, sagt auch Moritz Breuer. Dem 16-Jährigen war mit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) klar, dass er sich impfen lassen möchte. Unter Druck gesetzt werde in der Schule aber niemand. Anderes berichtet Oberstufenschülerin Sasil Koll: Die 17-Jährige habe schon mitbekommen, dass sich der ein oder andere vor seinen Mitschülern rechtfertigen musste.

Einverständniserklärung der Eltern nicht nötig

Im Unterricht sei die Impfung als solche nicht diskutiert worden, sagt Cirsten Scharf, stellvertretende Schulleiterin des Max-Planck-Gymnasiums. Die Schülerinnen und Schüler hätten die Unterlagen mit nach Hause genommen, um die Impfung mit ihren Eltern zu besprechen. Die 16- und 17-Jährigen bräuchten allerdings keine Einverständniserklärung. „Darauf haben wir die Eltern hingewiesen“, sagt Scharf, die darauf vertraut, dass sich niemand gegen den Willen der Eltern impfen lässt.

Der 16-jährige Marcel Völkert ist die ewige Testerei leid.
Der 16-jährige Marcel Völkert ist die ewige Testerei leid. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Während Kinderärzte und Eltern Gruppenzwang in der Schule befürchten, spüren die Jugendlichen vor allem Druck seitens der Politik: So brauchen Ungeimpfte ab einer Inzidenz von 35 ein negatives Testergebnis, um ins Restaurant oder Fitnessstudio gehen zu dürfen. „Ab Oktober werden die Tests zudem kostenpflichtig“, sagt Sasil Koll. Auch Marcel Völkert ist die ewige Testerei leid, will sein altes Leben zurück. Und: „Es wird ja zur Impfung gedrängt“, sagt der 16-Jährige, korrigiert sich aber sofort: „Ich meine natürlich geraten.“

Jede(r) Dritte geimpft

■ 33,5 Prozent der 12- bis 17-Jährigen in NRW sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts mindestens einmal geimpft. 20,7 Prozent haben den vollen Impfschutz.

■ Neben der Angst vor Nebenwirkungen sind Unstimmigkeiten zwischen Jugendlichen und Eltern der häufigste Grund, warum sich Schüler gegen eine Impfung entscheiden, sagt Cirsten Scharf, stellvertretende Schulleiterin des Max-Planck-Gymnasiums in Gelsenkirchen.