Essen. Das Hochwasser hat die gesamte untere Etage von Familie Klimmek aus Essen verwüstet. Das Geld aus dem Spendentopf der WAZ ist eine erste Hilfe.
Es ist Lettis großer Tag. Die Sechsjährige kommt in die Schule. „Ein bisschen feiern wollen wir schon“, freut sich Sonja Klimmek und stellt die Torte, überzogen mit pinkfarbenem Zuckerguss, zurück in den Kühlschrank. „Eigentlich backe ich gerne selbst“, sagt sie. Doch derzeit fehlen ihr dafür nicht nur der Kopf und die Zeit. Auch die Küche der 52-Jährigen ist unbenutzbar. Das Hochwasser hat vor fünf Wochen das gesamte Erdgeschoss der fünfköpfigen Familie geflutet. Nur die Oberschränke hängen noch.
Seit 20 Jahren leben Sonja und Dirk Klimmek mit ihren Kindern in Essen-Überruhr, direkt hinter dem Gartenzaun fließt die Ruhr. Die gelben Flecken an der sonst weißen Fassade lassen erahnen, wie die Terrasse der Familie Mitte Juli ausgesehen haben muss. „Wir sind eigentlich hochwassererfahren“, sagt Dirk Klimmek. Dass das Wasser aber einmal bis zum Fensterbrett reichen würde, damit hätten sie nicht gerechnet.
„Ich habe gleich gemerkt, dass hier etwas nicht stimmt“
„Ich bin um 5 Uhr morgens von einem Rauschen wach geworden“, beginnt Sonja Klimmek von dem Tag zu erzählen, als die Ruhr mit knapp sieben Metern einen neuen Höchststand erreichte. Ihr Mann ist Schiffsführer und an diesem Morgen nicht zu Hause. Sie krabbelt aus dem Bett, öffnet die Kellerluke und hält den Atem an: Schon häufiger habe die Familie Wasser im Keller gehabt. „So hoch“, sagt die 52-Jährige, „stand das Wasser aber noch nie“.
Sonja Klimmek weckt ihre 19-jährige Tochter Corinna. „Ich habe gleich gemerkt, dass hier etwas nicht stimmt.“ Sie fahren die Autos ein Stück den Berg hinauf, auch das von einer Freundin geliehene E-Bike kann Sonja Klimmek vor den Fluten retten. „Wir haben alles nach oben gebracht, was wir konnten.“ Währenddessen steigt das Wasser – etwa 20 Zentimeter pro Stunde. „Man nimmt das gar nicht richtig wahr“, sagt Corinna, die mit ihrem Freund die beiden Mädchen, vier und sechs Jahre alt, auf dem Rücken aus dem Haus trägt.
Sonja Klimmek bleibt. „Ich wollte nicht weg“, sagt die 52-Jährige. „Das ist ja unser Zuhause.“ Sie „rettet“ sich in die erste Etage, wartet dort auf ihren Mann, der sie schließlich mit einem Schlauchboot aus dem Haus befreit. In der ersten Nacht kommen sie in einer Notunterkunft im ebenfalls betroffenen Bochum-Dahlhausen unter. Das Ausmaß sehen sie am nächsten Tag: „Es war alles verwüstet“, erzählt Sonja Klimmek, die in den kommenden Tagen mit der Familie Küche, Wohn- und Schlafzimmer leerräumt. Mit einem Wasserstrahl befreien sie den Boden von Schlamm und Dreck. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihnen nicht: „Man macht einfach.“
Hochwasser nach Renovierung: „Die Taschen sind leer“
Seit Montag brummen nun die Trocknungsgeräte im Erdgeschoss. Die Wände sind abgerissen, Hängeschränke und Lampen in Plastiktüten verpackt. „Schwer getroffen hat es uns nicht“, betont Sonja Klimmek immer wieder und erinnert an die Bilder aus Essen-Kupferdreh, Erftstadt, Ahrweiler. Dennoch stehen sie vor einem riesigen Berg Arbeit, vor immensen Kosten: „Wir waren gerade fertig“, bedauert Dirk Klimmek. Nach und nach hatte die Familie das Haus renoviert, das Bad neu gemacht, die Wände und Außenfassade gestrichen, neue Fliesen verlegt. „Die Taschen sind leer.“
Der 55-Jährige will versuchen, den Eichenschrank zu retten. Auch die Schränke der nigelnagelneuen Küche sollen erst einmal wieder einziehen. „Damit wir Luft holen können“, sagt Dirk Klimmek, sichtlich froh, dass wenigstens Backofen und Waschmaschine noch funktionieren. Immerhin: Das Gebäude ist gegen Elementarschäden versichert. Vor einem Jahr hatte der Familienvater eine entsprechende Versicherung abgeschlossen. Die Bank hätte ihm den Kredit für die Modernisierung des Hauses ansonsten nicht bewilligt. „Der Hausrat ist allerdings nicht versichert.“ Die von des Wassermassen zerstörten Möbel wie Bett, Sofa, Kleiderschrank bekommt die Familie nicht ersetzt.
Doch die Klimmeks sind nicht allein. Die Hilfe, die sie von allen Seiten erfahren, „ist überwältigend“: Freunde und Arbeitskolleginnen bringen Nudeln mit Tomatensoße, Frikadellen und belegte Brötchen. Bekannte waschen die schlammverkrusteten Handtücher, Klamotten und Bettlaken. Eine befreundete Mutter nimmt für zwei Tage die beiden jüngsten Kinder. „Das hat unglaublich geholfen“, sagt Sonja Klimmek und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist so schön zu wissen, dass die Menschen da sind, wenn es drauf ankommt.“
Und auch finanzielle Hilfe kommt an: Über den Caritasverband erhält die Familie Unterstützung aus dem Spendentopf, in den auch das Geld der WAZ-Leserinnen und Leser fließt. Über die Stadt Essen bekommt sie die Soforthilfe vom Land. „Das ging super schnell“, freut sich Sonja Klimmek. Und auch wenn das Geld nicht reicht, um alles neu zu kaufen: „Es hilft. Jeder Euro zählt.“
„Sie haben wochenlang kein einziges Ei gelegt“
Wie lange es noch dauern wird, bis die fünfköpfige Familie wieder einziehen kann? „Ich kann es nicht einschätzen“, sagt Sonja Klimmek, die bis dahin mit Mann und Kindern in einer Ferienwohnung lebt. Vier Wochen müssten die Trocknungsgeräte ihre Arbeit verrichten, „wenn nicht noch länger“. Der rote Backstein habe sich vollgesogen wie ein Schwamm.
„Wir blicken nach vorne“, zeigt sich die 52-Jährige optimistisch. „Alles andere bringt ja nichts.“ Und es gehe ihnen gut, selbst die Hühner seien mit einem Schrecken davongekommen: Als hätte er es gewusst, hat Dirk Klimmek eine Woche vor der Katastrophe den Stall umgebaut; die Stange ein bisschen höher gehängt. „Bis auf ein Huhn haben alle Tiere überlebt“, erzählt der 55-Jährige. „Sie haben aber wochenlang kein einziges Ei gelegt.“
>>HIER KÖNNEN SIE SPENDEN
Gemeinsam mit der Caritas ruft die WAZ zu Spenden für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe auf. Den Flutopfern soll schnell und unbürokratisch geholfen werden.
Spenden für die Flutopfer bitte an: Caritas, Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe, IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02, Verwendungszweck: Funke hilft – CY00899