Essen. Das Talsperrensystem habe Millionen Kubikmeter Wasser zurückgehalten, sagt der Essener Ruhrverband. Andere meinen: Mehr wäre möglich gewesen.
Drei Sommer lang musste der Ruhrverband mit trockenen Phasen zurecht kommen, da war es verständlich, dass man über den Wasserreichtum 2021 in Jubel ausbracht: „So voll wie heute waren die Talsperren des Ruhrverbands an einem 9. Juli noch nie“, heißt es in einer Mitteilung des Trinkwasserversorgers vom 9. Juli – einen Tag, bevor die ersten Prognosen ein dramatisches Unwetter herannahen sahen. Die Frage, die manchen bewegt: Hat der Ruhrverband in den Tagen danach das so freudig begrüßte Wasser massiv abgelassen, um genügend Speicherkapazitäten vorhalten zu können, als dann der große Regen kam?
„Ja, das haben wir getan“, betont Sprecher Markus Rüdel. Bereits am 10. Juli, also Tage vor dem Ernstfall, habe man begonnen, kleinere Mengen aus den Talsperren im Sauerland wieder herzugeben, in den Tagen danach sei dies dann mit deutlich erhöhten Mengen fortgesetzt worden. Dies habe dazu beigetragen, dass man in der Biggetal- und der Möhnetalsperre den Füllstand von 100 Prozent exakt schaffte, also an den kritischen Starkregen- und Hochwassertagen nicht noch zusätzlich Wasser in den Unterlauf der Ruhr abgeben musste.
Drei kleinere Talsperren gaben auch in den kritischen Tagen Millionen Kubikmeter Wasser ab
Man kann die Dinge aber auch anders sehen: An der Möhne und der Bigge ist der Essener Verband volles Risiko gegangen, was auch leicht hätte schiefgehen können. Denn an der Ennepetalsperre, der Hennetalsperre und der Listertalsperre gelang die Punktlandung eben nicht, gerade in der kritischen Zeit um den 15. Juli herum wurde der Vollstau hier überschritten und das Wasser musste abgelassen werden – mit der unvermeidlichen Folge, dass dieses Wasser die Lage in den Hochwassergebieten – also auch in Essen – verschärfte. „Die Ennepe-Talsperre war zwei volle Tage lang überstaut und hat in dieser Zeit Millionen Kubikmeter Wasser abgelassen – Wassermassen, die das Hochwasser in der Ruhr zeitgleich verstärkt haben“, erklärt ein Wasser-Experte der Emschergenossenschaft, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Rüdel räumt das prinzipiell ein, sagt aber auch, diese Talsperren seien zu klein, als dass ihre Überläufe die Situation wesentlich verschlimmern konnten. „Viel wichtiger war, dass die Möhne und die Bigge als die weitaus größten Talsperren den Vollstau nicht überschritten.“ Unter dem Strich hätten die Talsperren des Ruhrverbands 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde zurückgehalten, die zusätzlich die Ruhr herunter gerauscht wären, wenn es diese Wasser-Bauwerke nicht geben würde. Bei einem Höchststand am Pegel Hattingen von 1200 Kubikmeter am 15. Juli seien diese 200 Kubikmeter durchaus kriegsentscheidend gewesen. „Man stelle sich vor, diese hunderte Millionen Kubikmeter Wasser wären zusätzlich gekommen.“
In erster Linie für die Trinkwasserversorgung zuständig, nicht für den Hochwasserschutz
Der Ruhrverband, so Rüdel, habe richtig gehandelt und das ihm Mögliche getan, um bei der Bewältigung des Hochwassers mitzuhelfen. Man müsse bedenken: „Die Talsperren dienen der Trinkwasserversorgung.“ Soll heißen: Hochwasserschutz sei, anders als mancher in diesen Tagen meine, keineswegs die Kernaufgabe des Ruhrverbands. Dies gehöre zu den Aufgaben der staatlichen Stellen, und wenn der Verband sich dabei stärker engagieren solle, so sei das nicht zuletzt eine Frage der Finanzierung.
Trotzdem bleibt die Frage, ob es nicht klüger gewesen wäre, beherzter Wasser abzulassen als dies noch ohne Schäden zu riskieren möglich war. Die Antwort gibt der Ruhrverband in gewisser Weise selbst: Seit einigen Tagen sinken die Stauhöhen in den Talsperren vergleichsweise drastisch. Dies dürfte ein wichtiger Grund sein, weshalb die Ruhr immer noch viel Wasser führt und die Strömung zum Beispiel im Baldeneysee so beträchtlich ist, sodass der Ruhrverband dort jedwede Freizeitnutzung verboten hat. „Um für etwaige weitere Regenereignisse gewappnet zu sein, ist es notwendig, in den Talsperren nun behutsam wieder Freiraum zu schaffen“, heißt es in einer Mitteilung vom 16. Juli.