Ruhrgebiet. Krisenteams und Seelsorger sind in den Flutgebieten im Dauereinsatz. Sie leisten Nothilfe für die Seele, wissen aber: Trost gibt es (noch) nicht.
Das Wasser von Ahr, Erft, Ruhr hat bei den Betroffenen mehr als Möbel, Keller, ganze Häuser weggespült. Psychologen und Seelsorger sagen: Ihr Sicherheitsgefühl ist kaputt, das Vertrauen zerstört, alle Stabilität im Leben fortgerissen. Zu Hunderten sind sie vor Ort, um neuen Halt zu geben. Aber trösten können sie nicht.
Was sagt man da: „Das wird schon wieder“? Es wird ja nicht, wenn nichts mehr so ist, wie es einmal war. „Mittwoch war die Welt noch in Ordnung“, sagt Bianca van der Heyden, „Donnerstag ist alles weg.“ Die Landespfarrerin der Notfallseelsorge in der Evangelischen Kirche im Rheinland war am Wochenende in Ahrweiler und in Erftstadt, sie hat selbst gesehen: „Einen Einsatz in dieser Dimension gab es in unserem Gebiet noch nie.“ Der wichtigste Satz, den ihre Leute da sagen, klingt so: „Du bist hier in Sicherheit!“
Psychologin: Stresshormone werden ausgeschüttet
Denn das, da sind sich die Experten einig, ist es, was die Opfer der Flut gar nicht mehr glauben können. „Das Sicherheitsgefühl, das Grundvertrauen ist verloren“, sagt van der Heyden. „Die Menschen haben eine hochdramatische Verlusterfahrung gemacht“, sagt auch Stephan Koch, Notfallseelsorger im Bistum Essen. Manchen lief „nur“ der Keller voll, andere wissen nicht, wo sie schlafen sollen, was mit ihrem Haus ist, am schlimmsten: was mit den Angehörigen. Und vor allem wissen alle eins nicht: wie es weitergehen soll.
Der Kopf dreht förmlich durch, die Gefühle fahren Achterbahn, was aber der Körper macht, erklärt die Psychologin Marita Wedi: „Stresshormone werden ausgeschüttet.“ Der Mensch, das hat er in der Evolution gelernt, will flüchten, kämpft, erstarrt. Er ist traurig, ängstlich, verwirrt, wütend oder auch kontrolliert. Und er reagiert vielleicht schreckhaft, wenn nur das Wasser in die Badewanne rauscht. Zunächst ganz normal, betont Marita Wedi, die für die Malteser den Fachbereich PSNV leitet: Psychosoziale Notfallversorgung.
Nur müsse man den Menschen das sagen: Das ist normal, es liegt daran, dass sie etwas außerhalb ihrer Erfahrung erlebt haben. Sonst, sagt Wedi, dächten die Betroffenen noch: „Jetzt werde ich auch noch verrückt.“ Herzrasen, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, dass Bilder immer wiederkommen, das gibt auch Bianca van der Heyden den Betroffenen mit: sind normal, wenn auch sonst nichts mehr normal ist. Denn sonst ist die Überforderung mit solchen Symptomen „ein weiterer Stressfaktor“, sagt Psychologin Wedi. Dabei sei das wichtig in der Not: „Ich muss lernen, Ruhe zu finden.“
Helfer wollen „ein Fels in der Brandung“ sein
Seelsorger und Kriseninterventionsteams versuchen vor Ort genau dabei zu helfen. Indem sie „Ruhe ausstrahlen“, wie Pastorin van der Heyden sagt, den Schock mit aushalten, den Schmerz, die Fragen, die Erschütterung, indem sie „Fels in der Brandung“ sind. Das ist für den katholischen Kollegen Stephan Koch Kern der Seelsorge: zu vermitteln, „ich halte die Situation, auch die Hoffnungslosigkeit mit dir aus, ich bin für dich da. Zuhören und den Menschen das Gefühl geben, ich bin nicht allein.“ Zuwendung und Anteilnahme nennt auch Marita Wedi, zudem sollten die Helfer erklären. „Ich kann mich nicht beruhigen“, sagt die Psychologin, „wenn ich nicht verstehe, was passiert ist.“ Wenn ich noch streiten muss mit Behörden, wenn ich nicht weiß, woher das Geld kommen soll.
Nur eines gibt es in den ersten Wochen des Entsetzens nicht: Trost. „In dieser Situation kann es noch keinen Trost geben“, weiß Bianca van der Heyden. „Man kann niemanden trösten, der untröstlich ist“, sagt Marita Wedi. „Sanft Hoffnung zusprechen“, empfiehlt Stephan Koch. Beim ersten Kontakt sagt Pfarrerin van der Heyden dies zu den Menschen: „Ich bin jetzt nur für Sie da.“ Zurückgewiesen wurde sie als Kirchenfrau noch nie. Was jetzt schon hilft, sagt Wedi, sei die Hilfe der anderen. „Die Welle der Hilfsbereitschaft“ sei größer als die Zahl von Gaffern und Plünderern, die den Stress nur noch schlimmer machten.
Die Seelsorger vor Ort versuchen zudem, die Menschen dabei zu unterstützen, selbst etwas zu tun. Nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein, wieder selbst etwas kontrollieren zu können, zählt Bianca van der Heyden auf, etwas Boden unter den Füßen zurückzugewinnen im doppelten Sinn: „Irgendetwas tun!“ Und sei es, andere zu informieren, dass man lebt, oder aufzuräumen… „So lange es zu tun gibt, kann sich die Seele gut schützen.“
Nachsorge auch für die Einsatzkräfte
Nur, was ist danach? Nach den ersten Wochen der Stressverarbeitung, wenn das Begreifen kommt, das Erkennen. Wenn vielleicht der Weg zurück das erste Mal zeigt, was nicht zu retten war vom alten Leben? Die Experten raten, sich selbst etwas Gutes zu tun, das soziale Netz zu nutzen, sich zu erinnern, was früher in Stresssituationen geholfen hat. Oft können die Betroffenen das im Moment noch nicht gebrauchen, aber später darauf zurückgreifen.
Das alles ist es, was die PSNV-Teams vor Ort gerade machen, für „B“ wie Betroffene und „E“ wie Einsatzkräfte auch. Denn es sind viele: Hilfsorganisationen und Kirchen sind mit Hunderten Experten vor Ort, aus dem ganzen Land melden sich weitere Seelsorger, Berater, Psychologen. Aber auch für sie ist die Situation, wie von der Heyden weiß, „besonders anstrengend und belastend“. Bei der Evangelischen Kirche „planen wir schon jetzt die Nachsorge für die Einsatzkräfte“.