Erftstadt. Vor vier Wochen kam das Hochwasser auch nach Erftstadt. Ortsbesuch, einen Monat später: So kämpfen die Menschen weiter mit den Folgen der Flut.
Es gab keine Toten, was für viele hier immer noch „ein Wunder“ ist. Aber Regen gab es im Erftstädter Ortsteil Blessem. So viel Regen, dass aus dem Flüsschen Erft ein reißender Strom wurde, der alles überschwemmte. Das war schlimm. Dann brach die große Kiesgrube am Ortsrand ein. Das war noch schlimmer.
Vier Wochen später. Hämmer hämmern, Sägen sägen. Es wird gefegt, herausgerissen, aufgeräumt. Autos von Entstörungsdiensten, Essenlieferanten und der Ordnungsbehörden bahnen sich den Weg über die Straßen, deren Fahrbahnen eng geworden sind, durch die Berge von Sperrmüll, die sich an den Rändern türmen. Strom gibt es nicht. Kann noch dauern.
In der Ferne ragt die Frontpartie eines BMW über die Kante
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Beate Spoo steht an der Tür eines Hauses unmittelbar an der Abbruchkante. „Wohnen Sie hier?“, fragt man und erntet Kopfschütteln. „Haben Sie hier gewohnt?“ Schon besser. „Langsam kommen wir der Sache näher“, sagt Beate Spoo und lächelt. Ihre Tochter hat hier gewohnt, bis vor vier Wochen. Bis die Flut kam. Sie selbst hat schräg gegenüber auf dem Reiterhof „Veltenhof“ gelebt, den sie viele Jahre lang geleitet und vor kurzem an die Tochter übergeben hat. Hier wie dort ein ähnliches Bild. Nackte Wände, weit offen stehende Fenster. Trocknen sollen Boden, Wände und Decken.
„Kommen Sie mal mit“, sagt Beate Spoo. Dann geht sie voran, geht zur großen Reithalle, die seit der Katastrophe nur noch eine kleine ist, weil das Wasser gut die Hälfte weggespült hat. Hunderte Meter Acker davor sind einfach in die Tiefe gestürzt, genau wie drei Häuser. Ein gigantischer Krater tut sich hier auf. Straßen enden abrupt im Nichts, in der Ferne ragt noch die Frontpartie eines BMW über die Kante, umgeben von Trümmerbergen. Unten im Loch ziehen Raupen den Sand gerade, den riesige Kipper zwecks Verfüllung in einer endlosen Kette heranfahren.
Fünf Häuser mussten abgerissen werden
Fünf Häuser waren so unterspült, dass sie abgerissen werden mussten. Kurz durften die Bewohner manchmal noch herein, Papiere holen, den Laptop aus dem ersten Stock mitnehmen. Dann kamen die Bagger. Aber die Männer, die sie lenkten, sie gingen vorsichtig zu Werke, hoben Schränke oder Vitrinen mit viel Gefühl aus den Zimmern und legten sie den Anwohnern vor die Füße. „Wie bei „Wetten, dass…?““ sagt Spoo, die die Abrisse hautnah miterlebt hat. Briefe, Fotos – manche Erinnerung konnte gerettet werden.
Die 68-Jährige bittet wieder zurück zur Straße. Wie es ihr geht? Spoo zuckt mit den Schultern. „Es gab Augenblicke, da konnte ich nicht mehr, wollte ich auch nicht mehr.“ Mittlerweile sagt sie, „sind die Tränchen weg“, macht sich Pragmatismus breit. „Muss ja weitergehen irgendwie.“
60 Pferde konnten gerettet werden
Eine Elementarschadenversicherung hatte der Hof für seine Gebäude nicht. Kaum jemand hier hatte die. Im Nachhinein ein Fehler, klar. „Aber das, was passiert ist, haben wir alle für unmöglich gehalten.“ Spoo weiß noch, wie sie mit eilig zusammengetrommelter Hilfe Pferde aus den tieferliegenden Boxen in eine höher gelegene Halle geführt haben. Und wie sie auch dort – völlig ungläubig – wieder raus mussten, weil das Wasser immer weiter stieg. „Zum Glück haben wir alle retten können. Zum Glück haben wir auch finanzielle Reserven.“
Spoo selbst haben sie in der Unglücksnacht in einem Boot aus dem Haus gerettet. Bei Familie Groten, gleich um die Ecke war es dafür schon zu spät. Ein Hubschrauber holte Günter (79) und Waltraud (78) im Morgengrauen vom Dach. Ihr Haus ist stehen geblieben, darf wohl auch stehen bleiben. Der Taubenschlag mit 80 Vögeln aber, der ist in die Tiefe gestürzt.
Manche Anwohner wollen nicht zurück
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Manche, heißt es, würden nun wohl wegziehen, weiter weg von der Kiesgrube zumindest. Eigentlich habe sie nicht wieder zurück gewollt, erzählt auch Waltraud Groten. Keine Nacht habe sie – untergekommen beim Sohn – durchgeschlafen seit dem Unglück. „Und bei jedem Regenschauer kriege ich Angst.“ Mittlerweile aber überlegt das Paar, doch wieder einzuziehen. „Wir haben ja unser ganzes Leben hier verbracht.“
Die Grotens wissen, dass es mangels entsprechender Versicherung keine einfache Rückkehr wird. Soforthilfe haben sie – wie alle Betroffenen – bekommen, einige Ersparnisse haben sie auch. „Aber das reicht natürlich nicht“, sagt Waltraud Groten. Am Ende, sind sie fast alle hier in Blessem überzeugt, werde es darauf ankommen, wie hoch die staatlichen Unterstützungen ausfallen werden. „Aber erst einmal müssen wir das Haus trocken kriegen.“
Hubschrauber fegt Ziegeln vom Dach
Unter all die schlimmen Erinnerungen der vergangenen Wochen hat sich bei allen Anwohnern aber auch eine schöne gemischt. „Wir haben eine überwältigende Hilfsbereitschaft erfahren“, sagt Spoo. Ob Nachbarn, völlig Fremde, Rettungs- und Soziale Dienste, Firmen, Feuerwehr und Polizei oder Bundeswehr. „Alle waren zur Stelle“, bestätigt Waltraud Groten und würde dafür am liebsten „Verdienstmedaillen verteilen“.
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Nur auf die Versicherungsbranche sind sie nicht gut zu sprechen in Blessem. Harsch im Ton, unsensibel in der Sache, reagierten die meisten Assekuranzen. Beate Spoo erzählt, dass ihr einer der Rettungshubschrauber beim Einsatz über dem Nachbargrundstück gut ein Dutzend Ziegeln vom Dach gefegt habe. Kein Elementarschaden, deshalb ein Versicherungsfall, glaubte sie. So einfach sei die Sache nicht, habe man ihr allerdings bei der Schadenmeldung beschieden. Sie möge doch bitte erst einmal herausfinden, wer genau denn den Hubschrauber gesteuert habe. „Ich habe“, sagt Spoo, „daraufhin wortlos aufgelegt.“