Dorsten/Ruhrgebiet. Im Corona-Lockdown sind Hundeschulen seit Monaten geschlossen. Die Trainer sind sauer. Wächst da eine Generation unerzogener Welpen heran?
Kinder dürfen wieder in die Schule, Hunde nicht. Nun muss Bello natürlich kein Mathe machen, aber etwas lernen für so ein Hundeleben sollte er schon. Doch die Hundeschulen in NRW sind und bleiben für Gruppenunterricht geschlossen. Bei den Corona-Lockerungen, sagen die Trainer, habe die Landesregierung die Ausbildung der Vierbeiner (und ihrer Menschen) „völlig vergessen“. Wächst da eine Generation unerzogener Welpen heran?
Erst galten sie der Politik als Freizeitstätte, später als Dienstleister, neuerdings fallen sie unter „außerschulische Bildungseinrichtung“. Nicht nur Hundetrainer halten das für „absurd“ oder sogar für „Schwachsinn“, im Ergebnis aber ändert es nichts: Hundeschulen dürfen nur für Einzelunterricht wieder öffnen. Was bedeutet: Das Fach Sozialverhalten fällt schon mal aus, wie soll man da einem Labrador beibringen, dass man auf einem Chihuahua nicht reiten kann (nur so als Beispiel)?
Draußen, mit Abstand und trotzdem verboten: Hundetrainer sind gerade arbeitslos
„Wir werden“, ahnte schon vor Wochen Norma Puchstein, Vorsitzende des Vereins Tierschutzzentrum Duisburg, „eine Menge verhaltensauffälliger Hunde bekommen.“ Und dazu Leute, die damit nicht umgehen können. Händler wie Tierheime berichten ja längst, dass in der Krise der Mensch auf den Hund kommt. Weil er mehr Zeit hat, aber weniger Kontakte und das Bedürfnis nach Nähe. Nur lernen können beide nichts: die Tiere keine Regeln, Herrchen und Frauchen nicht, was ihr Vierbeiner braucht.
Dabei haben Hundeschulen dafür keine Klassenzimmer. Trainiert wird draußen an der frischen Luft und mit Abstand: Von drei Metern spricht in Dorsten die Hundetrainerin Kerstin Lambert. Und trotzdem, während Friseure, Geschäfte, Zoos öffnen dürfen, stehen die Hundeschulen in NRW nicht klar in der Corona-Schutzverordnung: Gemäß Paragraf 7, sind „sämtliche Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsangebote untersagt“. Die Ausnahmen nach Absatz 2, Satz 1 gelten aber nicht für „6. die Ausbildung von Hunden außerhalb geschlossener Räume...“.
Die Hundeschule: Freizeitstätte, Dienstleister oder Bildungseinrichtung?
„Alle Hundetrainer in NRW sind ratlos“, schreibt Kerstin Lambert in einem Hilferuf. Es geht nach mehr als viermonatiger Zwangspause um Existenzen. Die „Bildungseinrichtungen“ schloss das Land schon im November, da hatten die meist Soloselbstständigen den ersten Lockdown noch in den Knochen, den sie als „Freizeitstätten“ verbrachten – um erst danach zu „Dienstleistern“ erklärt zu werden. Was übrigens auch das Finanzamt so sieht, weshalb es den Trainern die Umsatzsteuer nicht erlässt.
Kommunen legten die Verordnungen unterschiedlich aus, was in Witten erlaubt war, blieb in Bochum verboten. Die Bochumer Hunde-Verhaltenstrainerin Birgit Kosthaus weiß von einer Kollegin, die mit einem aggressiven Schäferhund auf einem Parkplatz übte, weil sie ihren großen Hundeplatz nicht nutzen durfte. Klagen bis hin zum Oberverwaltungsgericht lösten den Knoten bis heute nicht auf. „Die Wettbewerbsverzerrung“, sagt Birgit Kosthaus, „schlägt erst recht auf den Magen.“
Homeschooling mit Hunden? „Woran soll der schnüffeln?“
„Sämtlicher Präsenzunterricht“, klagt Kollegin Lambert, „wurde uns verboten.“ Homeschooling aber fällt bei Hunden wohl aus: „Wir können einen Hund nicht online erziehen. Woran soll der schnüffeln, am Bildschirm?“ Schließlich lernten in den Schulen nicht nur Schoß-, sondern „auch zukünftige Rettungshunde, Assistenzhunde, Servicehunde usw. die wichtigen und notwendigen Grundlagen einer guten Sozialisierung, Erziehung und Ausbildung“.
Wo aber, fragt Kerstin Lambert, „sollen die Hundebesitzer und ihre Hunde denn bitte all das jetzt lernen und umsetzen, was für einen alltags- und gesellschaftsfähigen Familienhund wichtig ist“? Woher wissen, dass „man“ bei Fuß geht, Joggern nicht nachstellt, gehorcht? In ihrem Brief schreibt sich die Dorstenerin in Rage: „Hat schon mal jemand darüber nachgedacht, welche Folgen es haben wird, wenn in einigen Monaten unerzogene, schlecht sozialisierte, an der Leine pöbelnde und freilaufende, jagende, nicht abrufbare Hunde mit überforderten Besitzern draußen unterwegs sind?“
Hunde kommen nach vier Monaten in die Pubertät
Zumal die „Prägephase“ bei Hunden schnell vorbei sei, nach vier Monaten etwa – also dem Zeitraum des zweiten Lockdowns – kämen die Tiere bereits in die Pubertät. „Und dann fangen Sie mal an, denen Fehler auszutreiben, die sonst gar nicht aufgetreten wären.“ Mit Sorge sehen Trainer schon jetzt unsichere Hunde, überdrehte Tiere. „Es ist“, sagt Birgit Kosthaus, „gruselig, was im Verhaltensbereich gerade passiert.“
Zumal jetzt im Frühjahr eine neue „Welpen-Welle“ anläuft. Die nächste Generation von Hunden, die nicht von Anfang an eine Schule besucht. Birgit Kosthaus hatte schon „weinende Menschen“ am Telefon, die mit ihren Tieren nicht zurechtkamen. Auch Kerstin Lambert erreichen „täglich Anfragen von Hundehaltern, die dringend auf Unterricht warten und Hilfen bei Problemen benötigen“. „Ein Dilemma“, sagt die Bochumerin Kosthaus, die oft denkt: „Was wäre, wenn wir da von Anfang hätten helfen können?“
Oder gehören Hundeschulen doch zum Sport?
Sie haben all das immer wieder formuliert, Anrufe und Briefe an das NRW-Gesundheitsministerium, auch der geballte Zorn einer Facebook-Gruppe liefen bislang ins Leere. „Weitere Planungen zur Öffnung von Bildungsangeboten“, schrieb ein Referent aus Düsseldorf, „sind uns leider bisher nicht bekannt.“ Weiter bezog sich der Mann auf den Sportbereich, für den „die Öffnungsstrategie des Bundes“ Ende des Monats Weiteres vorsehe. „Ob darunter auch Gruppentraining für Hundeschulen fallen wird“ – nicht abzusehen.
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Neuerdings also Sport? Birgit Kosthaus könnte sich „bei aller Betroffenheit auch amüsieren“. Sie hofft jetzt auf den Juni, noch mehr aber darauf, dass der Minister schneller ein Einsehen hat. „Da muss doch mal einer sagen: Das habe ich nicht bedacht.“ Bei den Nachbarn in Rheinland-Pfalz dürfen die Hundeschulen schon wieder arbeiten, in Bayern oder Niedersachsen geht es in dieser Woche wieder los. Aus Sicht von Kerstin Lambert wird sonst passieren, was Tierheime längst bestätigen: „Überforderte Besitzer“ geben ihre „in der Coronazeit angeschafften Hunde aufgrund mangelnder Sozialisierung wieder ab“.
>>INFO: HUNDESCHULEN IM REVIER
Die Hundeschule von Kerstin Lambert heißt „Pfotenarbeit“, befindet sich in Dorsten und ist zu erreichen unter pfotenarbeit.com
Die Hundeschule von Birgit Kosthaus heißt „Wolfsspiele“, befindet sich in Bochum und ist hier zu finden: wolfsspiele.de
Darüber hinaus gibt es in fast allen Ruhrgebietsstädten Hundetrainer, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings nur Einzelunterricht anbieten dürfen.