Bottrop. Er panschte Krebsmedikamente und betrog die Krankenkassen. Nach seinem Urteil zieht der Bottroper Apotheker nun selbst vor Gericht.
Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Bottroper Apotheker Peter Stadtmann gibt noch nicht auf: Kurz nachdem der Bundesgerichtshof seine Haftstrafe bestätigt hatte, legte er Verfassungsbeschwerde ein. Seit einer Woche liegt zudem beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zudem eine Klage vor: Stadtmann will seine Approbation zurück.
Die Zulassung als Apotheker war ihm von der Bezirksregierung entzogen worden, nachdem das Landgericht in Essen ihn im Sommer 2018 verurteilt hatte: Wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.537 Fällen und Betruges muss Stadtmann für zwölf Jahre in Gefängnis. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der inzwischen 50-Jährige über Jahre hinweg Krebsmedikamente unterdosiert, bei den Krankenkassen aber voll abgerechnet hatte. Verhängt wurde außerdem ein lebenslanges Berufsverbot.
Apotheker fühlt sich "in seinen Grundrechten verletzt"
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Anfang Juli dieses Jahres verwarf der Bundesgerichtshof den Revisionsantrag seiner Verteidiger. Die hatten schon im Essener Prozess auf Freispruch plädiert. Vor dem BGH beriefen sie sich auf verschiedene Verfahrensfehler. Die Bundesrichter wiesen das zurück, bezweifelten aber in ihrem Beschluss, dass Stadtmann sich einen Vermögensvorteil großen Ausmaßes verschafft habe. Das Landgericht Essen wollte dafür Vermögensgegenstände im Wert von 17 Millionen einziehen, der 4. Strafsenat reduzierte die Summe auf 13,6 Millionen Euro. Das Berufsverbot indes wurde bestätigt.
Nur einen Monat später wandte sich der Apotheker, wie erst jetzt bekannt wurde, am 3. August an das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter sollen klären, ob der Verurteilte „in seinen Grundrechten verletzt“ worden ist, bestätigte ein Gerichtssprecher auf Anfrage dieser Zeitung. Das Verfahren sei in Bearbeitung. Eine Verfassungsbeschwerde kann im Prinzip jeder Bürger einlegen, den Weg durch die Instanzen kann er damit nicht verlängern: Hier hat der BHG das letzte Wort. Wie die Deutsche Apotheker-Zeitung berichtet, wolle die Verteidigung erreichen, dass das gesamte Verfahren neu aufgerollt werde.
"Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs"
Zeitgleich verklagt Stadtmann die Bezirksregierung Münster auf Rückgabe seiner Approbations-Urkunde. Die Zulassung als Apotheker hatte die Behörde nach dem BGH-Beschluss eingezogen. Bereits nach dem Essener Urteil hatte sie erklärt, die Urteilsbegründung lasse auf „Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs“ schließen, das Fehlverhalten schade auch dem Berufszweig insgesamt. Man befürchte, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen und sich auch künftig nicht an Vorschriften halten werde.
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Überhaupt Straftaten begangen zu haben, hat Stadtmann indes immer bestritten. So erkläre sich auch, vermutet Martin Porwoll, die Verfassungsbeschwerde: „Wegen eines Verbrechens verurteilt zu werden“, sagt Porwoll, der 2016 als damaliger Geschäftsführer der Bottroper Apotheke die Ermittlungen ins Rollen brachte, „ist ja kein Verstoß gegen Grundrechte.“ Offenbar sei sein Ex-Chef, mit dem er sich noch immer im Rechtsstreit befindet, aber von der eigenen Unschuld nach wie vor überzeugt. Es bleibe zwar immer die Hoffnung, dass „die rechtskräftige Verurteilung einen Denkprozess ausgelöst hat“. Aber das sei wohl nicht der Fall.
Opfer in Bottrop reagieren fassungslos
Auch die Betroffenen in Bottrop macht die neuerliche Entwicklung „fassungslos“. Sie wolle mit dem Thema abschließen, sagt Heike Benedetti, die selbst ihre Medikamente aus Stadtmanns Apotheke bekam. Doch die immer wieder neuen Klagen und Anträge machten das unmöglich. „Irgendwann muss man so ein Urteil doch akzeptieren.“ Zumal: Der Apotheker befindet sich im Insolvenzverfahren, „wer bezahlt das eigentlich alles“?
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Stadtmanns Klage vor dem Verwaltungsgericht ist bislang noch nicht begründet worden. Der Kläger habe zunächst Akteneinsicht beantragt, erklärt eine Sprecherin des Gerichts, danach habe er vier weitere Wochen Zeit für eine Begründung. Die Richter aus Gelsenkirchen hatten schon Ende 2019 die Münsteraner Entscheidung bestätigt, die Approbation zunächst ruhen zu lassen.
Eine Entschuldigung blieb bis heute aus
„Vielleicht“, sagt der Whistleblower Martin Porwoll, „wäre es sinnvoller gewesen, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen.“ Vier Jahre ist es inzwischen her, dass Stadtmann aufflog, vier Jahre, in denen sich Erkrankte und Hinterbliebene fragen, ob und mit welchen Folgen sie oder ihre Angehörigen gepanschte Krebsmedikamente bekommen haben. Zivilprozesse laufen, die juristische Aufarbeitung geht nun auch in Karlsruhe in Gelsenkirchen weiter. „Es ist“, sagt Martin Porwoll, „nie richtig vorbei.“