Essen. . Ob Bahnbrücken, Stadtbahnen oder Straßen: Das Verkehrsnetz in NRW steckt im Sanierungsstau. Da wirkt es marginal, wenn von den Autobahnen nun unerwartete Schäden gemeldet werden. Betonschutzwände sind, obwohl noch nicht alt, sanierungsbedürftig. Wie man sie repariert, weiß noch niemand.

Sie sollen Autos auf der Straße halten und selbst dem Aufprall eines Lastzugs standhalten: Betonschutzwände sind an hiesigen Autobahnen noch relativ jung. Sie ersetzen an gut 900 Streckenkilometern an den NRW-Fern- und Schnellstraßen Stahlleitplanken – weil sie stabiler sind und weniger zu warten. Doch das scheint das Problem zu sein. Denn einige der Betonschutzwände an den Autobahnen in NRW sind bereits marode – obwohl sie kaum älter als acht Jahre sind.

Der Landesbetrieb Straßen.NRW setzt nun auf Nummer sicher: An mehreren Stellen an Autobahnen – vor allem an der A3, A4, A43 und mehrfach an der A45 - sind zusätzliche Tempolimits ausgeschildert und damit weitere potentielle Stau-Quellen. Für Lastwagen gilt Tempo 60, für andere Autos 100 Stundenkilometer, damit bei einem Aufprall die Betonwände nicht bersten. Der Grund sind Risse – in Betonschutzwänden am Straßenrand. Wie man sie repariert, „das wird erst noch untersucht“, teilt das Bundesamt für Straßenwesen (BASt) mit. Dazu wurde erst jetzt "ein Forschungsauftrag vergeben“. Die Tempolimits sind also erstmal von Dauer.

Aufträge sind bis auf Weiteres auf Eis gelegt

Hinter den Kulissen herrscht Aufregung. Es geht um frei stehende Betonschutzwände, die im „Ortbeton“-Verfahren, also an Ort und Stelle, gegossen wurden. Der Landesbetrieb Straßen.NRW hat Bauaufträge bis auf Weiteres auf Eis gelegt. „Eigentlich sollten die Betonschutzwände 25 Jahre und mehr halten“, sagt Sprecher Bernd Löchter. Nun aber hat man feststellen müssen: Durch undichte Fugen dringt Feuchtigkeit in den Beton und lässt die Stahlarmierung rosten. Alle 900 Kilometer Wände alleine in NRW sind nun zu kontrollieren, zehn Prozent von ihnen gehören nach Bauart und –jahr zur ‚Risikogruppe’.

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Angesichts vom Ausmaß des Sanierungsstaus im Verkehrsnetz wirken die Betonschutzplanken wie eine Marginalie. Doch an ihnen zeigt sich die fatale Auswirkung von Haushaltsnot und Kostensparzwang. Selbst bei Straßen.NRW gesteht man ein, „wir hätten die Wände früher kontrollieren sollen“. Statt dessen glaubte man, mit den Betonschutzwände ließe im Vergleich zu Stahlleitplanken Arbeitsaufwand sparen.

Sanierungskosten kann noch niemand einschätzen

Spätestens fünf Jahre nach dem Bau hätten die Wände geprüft werden sollen. So bleiben die Kosten, deren Höhe noch niemand einschätzen kann, am Bauherrn hängen – also dem Bund oder den Bundesländern, sagt Karsten Rendchen. Er ist Geschäftsführer der „Gütegemeinschaft Betonschutzwände und Gleitformbau“ in Willich bei Düsseldorf, Zusammenschluss von Bau- und Betonunternehmen und Marketinginitiative gegen die Konkurrenz der Stahlleitplankenbranche.

Rendchen spricht von einem Imagegau und sagt, die Probleme seien für manche Unternehmen in diesem sehr speziellen Bausegment existenzbedrohend. Er macht sich deshalb stark dafür, dass Straßen.NRW seinen Baustopp für das Ortbeton-Verfahren bald aufhebt. Dafür hat die Gütegemeinschaft in den vergangenen Monaten Gutachten erarbeiten lassen und Anträge an die BASt gestellt, um von dort das Okay zu bekommen für Verbesserungen bei der Bauweise der Betonschutzwände; etwa indem für die Armierung Edelstahl verwendet wird.

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Nicht das einzige, was sich ändern muss.

Deutsche Baunormen waren über Jahre lückenhaft 

2200 Kilometer Autobahn alleine in NRW sind ein lukrativer Markt, zumal noch auf vielen Kilometern veraltete Stahlleitplanken stehen, die so heute nicht mehr neue gebaut werden dürften, sagen Experten. Zwischen 60 und 250 Euro kostet ein Meter Betonschutzwand – je nach Ausführung und Schutzklasse. Die schadhaften Wände an den NRW-Autobahnen sind zwischen 500 Meter und 3,7 Kilometer lang. Alleine im Bereich der Autobahnniederlassung Hamm sind insgesamt 25 Kilometer Betonwände schadhaft mit Bruch-Risiko. In der Regel werden sie an Brücken gebaut oder in Auf- und Abfahrten.

Obwohl Betonschutzwände schon vor 60 Jahren erstmals in den USA gebaut wurden, wenig später dann in Frankreich und in den Benelux-Ländern, „hat man in Deutschland die dortigen Erfahrungen nicht beachtet“, sagt Karsten Rendchen. Das hätte vielleicht die jetzigen Probleme verhindert. Zwar seien für jeden Typ Betonwand Crashtests vorgeschrieben. Hiesige Baunormen aber seien über viele Jahre mangelhaft gewesen, sagt Rendchen. Es sei zum Beispiel noch nicht lange Vorschrift, dass Fugen – die bei Betonbauwerken notwendig sind – abgedichtet werden müssen; kein Wunder also, wenn Wasser oder Streusalz in die Schutzwände eindringt. Zudem habe sich gezeigt, dass die Industrie bis dato keine geeigneten Füllstoffe angeboten hat, „die tatsächlich 25 Jahre lang dicht bleiben“. Aber auch hier gebe es Fortschritte, meint Rendchen. Auch Mängel bei der Bauausführung mag Rendchen nicht ausschließen. Aber auch da tut sich was.

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Beton-Instandhaltung fließt erst jetzt in Weiterbildung

Erstmals wurde jüngst eine Weiterbildung zur „Fachkraft für den Bau von Betonschutzwänden“ geschaffen; weil diese Fachkräfte seit April diesen Jahres beim Bau der Wände Vorschrift sind. Der Pilotlehrgang war im vergangenen Januar am Bildungszentrum des Baugewerbes in Krefeld. Der nächste Lehrgang ist für kommenden Januar geplant. Zuständig für das Angebot ist dort Peter Heil, Geschäftsführer der „Gütegemeinschaft der Planung der Instandhaltung von Betonbauwerken“.

Obwohl Beton seit Jahrzehnten viel verwendeter Baustoff ist: die Instandhaltung von Betonbauwerken war ebenso lange so gut wie kein Thema – auch nicht an Universitäten oder in der Weiterbildung. „Erst der Sanierungsstau hat deutlich gemacht, dass es Bedarf gibt“, sagt Heil. So gibt es in Krefeld zum Beispiel eine Fortbildung für Bauingenieure zur Gutacher-Qualifikation, bei der man „erweiterte betontechnologische Kenntnisse“ erwirbt.

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Risse wären schon nach einem Jahr sichtbar gewesen

Wie es mit den Reparaturen weitergeht, ist nicht absehbar. „Noch wissen wir nicht, wie man die Schäden saniert", sagt Bernd Löchter von Straßen.NRW. Je nachdem wie stark die Armierung verrostet ist, müssen Wandstücke herausgebrochen, Armierungen neu geschweißt und dann von Hand verschalt und neu gegossen werden. Arbeiten, für die dann Fahrstreifen gesperrt werden müssten – mindestens. Aus Sicht der Hersteller heißt der beste Schutz vor künftigen Schäden allerdings: mehr Kontrolle. Karsten Rendchen sagt dazu: „Solche Risse in Betonschutzwänden sind innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre sichtbar“.