Essen. . Staus im Verkehr sind Alltag, vor allem in der Hauptreisezeit. So manches, was man über Staus zu wissen glaubt, entpuppt sich als Irrtum.
Gehören Sie zu den Autofahrern, die im Stau auf der Autobahn möglichst auf die linke Spur wechseln, weil es da schneller vorangeht? Und bewerten Sie einen Stau anhand seiner Länge? Das entpuppt sich als Irrtum. Der Duisburger Stauforscher Prof. Michael Schreckenberg klärt über diese und weitere Fehlannahmen auf.
Beim Stau die Autobahn zu verlassen, lohnt sich? Irrtum!
Ein Drittel des motorisierten Verkehrs in Deutschland wird über die Autobahnen abgewickelt, obwohl nur ein Bruchteil der etwa 230.000 Kilometer Bundes- und Überlandstraßen bundesweit zur Kategorie „A“ für Autobahn zählen. Das hat seine Gründe: „Man ist immer schneller auf der Autobahn“, sagt Schreckenberg,.
Solange ein Stau nicht auf einer Vollsperrung beruht, kommt man auf einer Autobahn noch am besten voran. Weil der Verkehr zwar zäh, aber immerhin doch noch irgendwie fließt – „ungefähr mit zehn Stundenkilometern“, erklärt der Stauforscher.
Wenn nur ein Zehntel der Fahrzeuge einem Autobahnstau ausweichen, kann das den Verkehr der nachgeordneten Straßen zum Erliegen bringen – „sodass man am Ende keine Zeit gewinnt, sondern sogar verliert“, sagt Schreckenberg. Knackpunkt auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen sind dabei besonders die „Knotenpunkte“ – Kreuzungen und Ampeln. Sie sind auf eine plötzliche Verkehrsflut nicht eingestellt.
Übrigens: Studien zeigen, ungefähr 40 Prozent der Navi-Nutzer folgen den Ansagen ihrer Geräte und versuchen, einen Stau zu umfahren, wenn das Navi das empfielt. Wenn es einen im Stau von der Autobahn drängt, "sieht man sich in einer psychologischen Zwangssituation“, erklärt Schreckenberg: „Ein Stau zwingt uns, still zu stehen“. Die bessere Reaktion – falls die Straße vor einem nicht voll gesperrt ist – sei es jedoch meist, dem Druck standzuhalten und trotz Staus auf der Autobahn zu bleiben.
Spurwechsel bringen einen schneller durch den Stau? Im Gegenteil.
Das klare Urteil von Stauforscher Michael Schreckenberg: „Spurwechsel im Stau sind ein Fehler“. Weil man so eher noch den Stau verlängert. „Ständige Spurwechsel sind für den Verkehrsfluss hinderlich, weil Einzelpersonen dadurch die Stauwelle nach hinten noch verstärken“. Nur: wer solche Wellen mitverursacht, „bekommt das nicht mit“. Und: Schneller unterwegs ist man damit auch nicht, das zeigt der folgende Irrtum:
Die auf anderen Fahrspuren im Stau sind immer schneller als ich! Nein
„Das ist ein psychologischer Effekt“, erklärt Stauforscher Michael Schreckenberg. „Fahrzeuge, die im Stau an uns vorbeifahren, prägen sich uns stärker ein“. Verhalten im Straßenverkehr beruht eben mehr auf Konkurrenz, statt auf Kooperation – dazu unten mehr.
Das Phänomen könne man auch an Supermarktkassen beobachten, sagt Schreckenberg. So kam eine US-Studie zum Ergebnis, dass es in punkto Wahrnehmung ein 2:1-Verhältnis gibt: „Man hat das Gefühl, man wird von doppelt so vielen Personen überholt, wie man selbst überholt“. Tatsächlich aber zeige sich im Stau, dass sich je nach Staudauer das Tempo auf den Fahrspuren relativiert: „In der Regel hat man auch nach einer halben Stunde die gleichen Fahrzeuge um sich“.
Lücken im Stau sind dazu da, gefüllt zu werden! Sind sie nicht
„Jede Tempoveränderung ist für ein Gesamtsystem schädlich“. Je gleichförmiger die Geschwindigkeit, desto nachhaltiger fließt Verkehr. „Am besten wäre es, alle Fahrzeuge würden sich gleichmäßig bewegen“ – doch die Realität auf den Autobahnen zeigt: Es ist ein Bremsen und Gasgeben, auch im Stau. Der ist zudem kein statisches Gebilde, sondern besteht aus Stau-Wellen, beschreibt Schreckenberg.
Lücken gehören deshalb zum Stau dazu, auch weil Menschen ein bis zwei Sekunden brauchen, um auf Veränderungen zu reagieren. Das Gebot wäre deshalb, im Stau zu versuchen ein gleichmäßiges Tempo zu fahren und bei Lücken nicht sofort schwunghaft aufzuschließen. Das aber wird sich wohl nur durch technische Mittel ermöglichen lassen, sagt Schreckenberg. Versuche, Fahrzeuge elektronisch zu koppeln, laufen bereits. Eine Lösung wäre aber auch, wenn Autofahrer ihr Verhalten ändern und man im Straßenverkehr auf Kooperation setzen würde und nicht auf Konkurrenzdenken. Die Verkehrspsychologie aber weiß: Das Auto verführt zu egoistischem Verhalten.
Nach dem Überholen rasch wieder einscheren, verhindert Staus! Nein
„50 bis 60 Prozent der Staus auf Autobahnen entstehen durch Überlastung auf der Straße“, erst dahinter folgen Baustellen und Unfälle als Grund, sagt Prof. Michael Schreckenberg. Um die 1500 Fahrzeuge in der Stunde kann eine Autobahn je Fahrspur verkraften, ohne dass der Verkehr ins Stocken geraten muss. Das aber tut er, wenn man sich am Steuer unachtsam verhält und andere zum Bremsen zwingt.
Zum Beispiel, indem der Sicherheitsabstand nicht eingehalten wird, „beim Wiedereinscheren nach dem Überholen“. Eigentlich heißt die Formel für den Sicherheitsabstand: „Halber Tacho“ – das wären bei 100 Stundenkilometern Fahrgeschwindigkeit also 50 Meter und damit etwa zwölf Pkw-Längen. Wer aber schon auf Kühlergrillhöhe einschwenkt, nötig den Überholten womöglich zum Bremsen - und das kann dann nach hinten für eine Brems-Welle sorgen: ein Stau entsteht.
Der Stau sind immer die Anderen! Das ist ein Irrtum
„Die meisten empfinden es so“, sagt Stauforscher Michael Schreckenberg. „Wir leben in der Vorstellung, dass wir jederzeit mobil sein können“. Bei alleine gut 45 Millionen zugelassenen Autos in Deutschland wird das auf der Straße rasch zum Trugschluss.
Wer im Stau steckt, hat leicht den Eindruck, dass es die Anderen sind, die einen aufhalten. Doch letztlich muss der Satz eher heißen: „Der Stau bin ich selber“, meint Schreckenberg. So entstehen Staus vor allem, weil Menschen am beim Fahren Fehler machen. Versuche mit im-Kreis-fahrenden Fahrzeugkolonnen zeigen: irgendwann sinkt die Aufmerksamkeit der Fahrer, die Kolonne reißt auseinander, das Tempo schwankt, Autos bremsen - bis hin zum Stillstand.
Zeit, die man laut Navi braucht, kann man aufholen! Keine Chance
Navigationsgeräte sind tückisch. So mancher hat sich schon per Navi in die Irre manövriert. Und auf die Fahrzeit-Angaben sollte man sich besser ebenfalls nicht verlassen, mahnt Stauforscher Schreckenberg: „Das ist trügerisch". Denn "viele Autofahrer hetzen ihrem Navi hinterher und setzen sich damit unter Druck“, wie bei einem Wettkampf.
Schon eine Pause auf der Strecke bringt den zum Start der Fahrt eingeprägten „Zeitplan“ zum Kippen. Doch die Praxis zeigt: Einmal verlorene Zeit lässt sich auf hiesigen dicht befahrenen Autobahnen nicht herausfahren. Beispiel: Wer auf einer längeren Tour zur Hälfte der Strecke nur mit 80 Stundenkilometern unterwegs war obwohl 120 Stundenkilometer eingeplant waren, müsste den Rest der Tour mit 240 Stundenkilometern jagen, um in der anfangs geplanten Zeit noch anzukommen. Schreckenberg vergleicht das gerne mit einer Schulklasse beim Wanderausflug: "Zuerst trödeln die Kinder hinten und werden auf einmal viel schneller, um die Lücke nach vorne zu schließen".
In punkto Urlaubsfahrt rät Schreckenberg: „Bleiben Sie entspannt und kalkulieren Sie mehr Zeit, als das Navi angibt“.
Die Kilometerangabe hilft, einen Stau einzuschätzen! Nein
„Kilometer sagen bei Staus nichts aus“, sagt Stauforscher Michael Schreckenberg. Ob fünf Kilometer, zehn oder gar 20: „Beim Stau kommt es auf die interne Geschwindigkeit an“, erklärt Schreckenberg. Im Durchschnitt bewegen sich Staus mit zehn bis 15 Stundenkilometern.
Wie gut man durchkommt, hängt auch davon ab, wer im Stau steht und auf was für einer Autobahn man steckt. Staus auf Pendlerstrecken fließen meist besser ab, als auf Urlaubsreisestrecken. „Ortskundige oder Pendler verhalten sich effektiv“. sagt Schreckenberg. Urlauber wiederum sorgen oft dafür, Staus noch zu verstärken: „Ihr Verhalten ist nicht so optimal“. Auf den klassischen Urlauber-Autobahnen sind Staus in der Hauptreisezeit daher auch ein Ergebnis von Erschöpfung am Steuer: „Nach stundenlanger Fahrt ist man meist nicht mehr fit, die Reaktionen werden träger“.
Die längsten Staus sind Montagsmorgens! Stimmt nicht
Montage sind ganz schlimme Stautage? Das stimmt nur teilweise. „Montagmorgens sind die Verkehrsspitzen sehr hoch, aber auch sehr eng“, beschreibt Michael Schreckenberg. Die Haupt-Fahrzeit verteilt sich in NRW an Montagen auf etwa eineinhalb Stunden.
Freitagnachmittags ist der Verkehr extremer. Denn da sind die Autobahnen in NRW besonders stark belastet – und das für vier bis fünf Stunden. Besonders staureich ist es zwischen 12 und 17 Uhr.
„Das höchste Verkehrsaufkommen im Jahr wird nachmittags am Pfingstfreitag gemessen“, sagt Schreckenberg. Der bisheringe Rekord in NRW: Am Pfingstfreitag 2004 wurden am Abend gegen 18.30 Uhr insgesamt 435 Kilometer Stau auf den Autobahnen in NRW gemessen. Weil viele Pfingsten für einen Kurzurlaub nutzen und Freitag losfahren, "weil sich das sonst nicht lohne", sagt Stauforscher Schreckenberg. Fällt der Ferienbeginn auf einen Freitag, ist noch mal mehr los auf den Straßen, weil sich Berufs- und Urlaubsverkehr treffen.
Übrigens. Der Stauforscher rät dazu, Urlaubsreisen mit dem Auto in der Ferienzeit möglichst nicht an einem Wochenende zu beginnen, sondern besser unter der Woche: "Dann sind viele Profis unterwegs" - Schreckenberg meint damit: viele Pendler. Und die verhalten sich - siehe oben - im Stau meist "effektiv". Anders an Wochenenden: „Am Wochenende ist viel Freizeitverkehr“, erklärt Schreckenberg. So mancher traue sich erst am Wochenende mit dem Auto auf die Straße, weil die ja leerer sind – und verhält sich dann entsprechend unsicher.
In Staus passieren kaum Unfälle! Im Gegenteil
Besonders in Staus sollte man vorsichtig sein? Es klingt bizarr, aber die Erfahrung zeigt, dass Staus nur solange unfallarm sind, wenn sie sich langsam und homogen bewegen. Da Staus jedoch aus Wellen bestehen, kommt es immer wieder zu Lücken, in denen dann Gas gegeben wird.
Auch hier sagt Schreckenberg zum Verhalten von Autofahrern: „Das ist ein psychologischer Effekt“. Es gehe "um eine Art Befreiungserlebnis": Die Straße vor einem scheint frei, man gibt Gas - auch um verlorene Zeit aufzuholen. Wenn der Verkehr dann aber plötzlich wieder stockt, „ist man unkonzentriert“ – und schon kann es zum Unfall kommen. Die Folge: ein noch längerer Stau...