Essen. . Beim Bau der U-Bahnen in den 60ern und 70ern flossen Fördergelder ohne Ende. Nun fehlt das Geld für die Modernisierung. Besonders betroffen: das Ruhrgebiet
Klick, klick, klick rattert es unermüdlich. Rechts, links, eben noch weit vorne, nun im schmalen Gang nebenan. 46 000 Relais, die sich wie ferngesteuert bewegen, Stromkreise schalten. Hier, in diesem unscheinbaren Raum auf Ebene minus 1 des Hauptbahnhofs, befindet sich das Stellwerk der Essener U- und Straßenbahnen. Ihr Herz also. Akribisch gewartet ist es, staubfrei. Vor allem aber ist es alt! So alt wie der Nahverkehr an Rhein und Ruhr insgesamt, und dem Kollaps erschreckend nahe.
Man könnte meinen, Mülheims Kämmerer Uwe Bonan habe nur provozieren wollen, als er vor einigen Tagen drohte, die Straßenbahnen der Stadt abzuschaffen und die Fahrgäste künftig per Bus transportieren zu lassen. „Nicht finanzierbar!“, argumentierte Bonan und erzielte trotz der Empörung, die sein Vorstoß allenthalben auslöste, einen Teilerfolg. Mülheims Rat beschloss, lediglich zehn der ursprünglich gewünschten 20 Niederflurbahnen zu bestellen. Aber selbst die werden die Stadt noch 28 Millionen Euro kosten.
Mülheim als Menetekel für den Nahverkehr in Deutschland
Tatsächlich geht es nicht nur um Mülheim und nicht nur um zweistellige Millionen-Beträge. „Mülheim ist ein Menetekel für ganz NRW mit seinen insgesamt elf Stadtbahn-Systemen, sogar für den Erhalt der Nahverkehrsinfrastruktur in Gesamtdeutschland“, sagt Dirk Biesenbach, der Chef der Düsseldorfer Rheinbahn. Und das Problem drückt mehr denn je. Allein in Nordrhein-Westfalen geht es um einen Sanierungsstau, der sich bis 2016 auf 1,1 Milliarden Euro beläuft.
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Wohin man sieht, bröckelt der Beton, verfallen U-Bahnhöfe und holpern Wagen über marode Gleise. Und um die völlig veraltete Technik zu warten, müssen die Verkehrsbetriebe immer häufiger ihre Ruheständler aktivieren. „Jüngere Leute kennen sich mit der Elektronik der 60er- und 70er-Jahre oft gar nicht mehr aus“, sagt Andreas Knebel, Elektromechaniker der Essener Verkehrsgesellschaft VIA.
Im Ruhrgebiet buddelten sie ganz besonders emsig
So kompliziert es im Detail ist, so simpel lässt sich die Ursache des Problems beschreiben. Um oben, auf den Straßen Platz für immer mehr Autos zu schaffen, wurden die Schienen in den 60er- und 70er-Jahren in den Untergrund verlegt. Die Bundesrepublik boomte, die U-Bahn war chic. 90 Prozent Fördergelder gab es dafür, lediglich zehn Prozent mussten die Städte selbst dazutun. Und so buddelten sie alle, im Ruhrgebiet ganz besonders emsig. Von Dortmund über Bochum, Gelsenkirchen, Essen, Mülheim bis nach Duisburg.
U-Bahn musste sein, Straßenbahn war von gestern. An die Folgekosten dachte damals kaum jemand, Rücklagen wurden nicht gebildet. Und die U-Bahn ist teuer, erheblich teurer als die Straßenbahn, die auch deshalb in den letzten Jahren europaweit eine Renaissance erlebt. „Jetzt muss alles saniert werden, und die Städte haben kein Geld mehr. Zumal es für die Sanierung keine Fördergelder mehr gibt, und gerade im Ruhrgebiet viele Städte hoch verschuldet sind“, sagt Lars Wagner, Sprecher des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen.
Für 2,2 Millionen Euro das Stellwerk repariert
Zurück auf Ebene minus 1 im Essener Hauptbahnhof. Wie Bücher in einer Bibliothek reihen sich dort die Relais in den Gängen. Bei der Essener Evag ist man stolz auf dieses „größte Nahverkehrsstellwerk in Deutschland“. Dabei ist es längst zum Fossil geworden, für das man nur noch schwer Ersatzteile kaufen kann. Dennoch entschied man sich vor einiger Zeit, das System, mit dem Signale und Weichen gestellt werden, von Grund auf zu sanieren.
Vier Techniker arbeiten seit über zwei Jahren daran. Heißt: Sie basteln und passen an. 2,2 Millionen Euro kostet das und verschafft der Evag noch einmal für vielleicht zehn Jahre Luft. Ein modernes Stellwerk hätte 32 Millionen Euro gekostet. Und Essen verfügt über insgesamt vier Stellwerke. Auf 307 Millionen Euro schätzen die in der VIA Verkehrsgesellschaft zusammengeschlossenen Verkehrsbetriebe aus Essen, Mülheim und Duisburg die Kosten für die Modernisierung ihrer Bahnen in den nächsten zehn bis 15 Jahren.
„Nirgendwo sind die Probleme so krass wie im Ruhrgebiet. Die Ursache dafür liegt in der Tunnelitis der 60er- und 70er-Jahre. Tunnel waren und sind teuer“, sagt der Verkehrsexperte Prof. Heiner Monheim. Wie groß der bundespolitische Handlungsbedarf ist, errechnete vor knapp einem Jahr die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte sogenannte Daehre-Kommission. 7,2 Milliarden Euro mehr seien jährlich erforderlich, den Sanierungsstau aufzulösen. Auf 15 Jahre mindestens.
Doch woher nehmen? In Düsseldorf erwägt der Vorstand der Rheinbahn, die auch quer durch Duisburg fahrende U 79 künftig an der Stadtgrenze abzubremsen, weil Duisburg das für die Renovierung nötige Geld nicht aufbringen kann. In den großen deutschen Städten weiß man, dass es keine Alternative zur Schiene gibt, dass man ohne sie im Stau ersticken würde.
Verband: Bund und Länder dürfen die Städte nicht allein lassen
Längst fordert der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Bund und Länder müssten sich an diesen Kosten beteiligen, dürften die Städte nicht allein lassen. Oder, um mit den Worten des im Juni aus dem Amt geschiedenen Essener Evag-Chefs Horst Zierold zu sprechen: „Wenn nicht bald etwas passiert, können wir in den U-Bahn-Tunneln Champignons züchten!“