An Rhein und Ruhr. . Die Reifeprüfung, die mein Sohn bestanden hat, hat ihren Namen verdient. Seine Schullaufbahn war alles andere als gradlinig. Ein sehr persöhnlicher Blick zurück, der auch Mut machen soll.

Abitur. AAAbiiituuur!! Das Zauberwort. Der Türöffner. Zum glücklichen Ausgang eines 13 Jahre währenden Dramas namens „Schulzeit“. Mit dem schulpflichtigen Kind in der Hauptrolle, bedrängt von Müttern, Vätern, Omas, Opas oder Patentanten: „Mach’ du erst mal dein Abitur, dann sehen wir weiter...“ - „Hauptsache, du schaffst dein Abi...“ - „Na, und wann ist es so weit?“...

Jetzt. Jetzt ist es so weit. Die Klausurnoten sind raus, mündliche Prüfungen bleiben ihm erspart: „Zack, Abi“ hat mein Sohn in der ihm eigenen Kürze auf Facebook gepostet. Als wenn’s so einfach gewesen wäre...

Die Schulzeit meines Sohnes – besser „unsere“ Schulzeit – war Auslöser für ein ständiges Auf und Ab aller zur Verfügung stehenden Gefühle. Nichts wurde ausgelassen, kein Einser und kein Sechser, kein Schulwechsel und kein Tadel. Es gab Nachhilfe und schlaflose Nächte vor Elternsprechtagen, zu denen wir hinzitiert wurden, während andere Eltern unschuldig dreinblickten: „Wir? Wir müssen nicht hin. Bei uns ist alles in Ordnung!“

Arbeit selbst einteilen

Mein Sohn wurde am 1. August 2000 eingeschult. Gefreut hat er sich wie Bolle. 14 Tage später hatte er den ersten (und einzigen) Tick in seinem Leben, eine ständig nervös auf und ab hüpfende Augenbraue. Warum, haben wir nie herausgefunden. Aber mit dem Stillsitzen inmitten von 33 anderen Kindern habe er so seine Probleme, bemerkte die Lehrerin. Frau W. war jung, hatte hervorragende Noten, ausgebildet in Montessori-Pädagogik. Sie forderte die Kinder auf, sich die Arbeit an Aufgaben – „Stationen“ genannt – selbst einzuteilen. Mein Sohn (und nicht nur er) teilte sie so ein, wie es ihm gefiel: An vier Tagen machte er nichts, und am fünften saß er vor einem Berg, der nicht zu schaffen war. Ich half. Natürlich.

Frau W. wurde schwanger und ersetzt durch andere, ebenfalls exzellent ausgebildete junge Lehrerinnen. Der Tick legte sich. Der Druck blieb, vor allem, wenn mal eine Arbeit „nur“ drei war statt zwei oder eins. Denn natürlich wollten auch wir zu den 80 Prozent der Klasse gehören, die in unserem bürgerlichen Viertel nach vier Jahren aufs Gymnasium wechseln.

Dass es nicht leicht werden würde, hatte uns die Grundschullehrerin prophezeit. Und doch war der Aufschlag wider Erwarten hart. Vokabeltests, Wettrechnen, Dauerläufe nach Stoppuhr, vielfarbige Hefter, ebenso viele Fächer, ebenso viele Lehrer, und alle gaben Hausaufgaben auf. Der Ton unter den Schülern war ruppig, es wurde gemobbt. Vorbei der Welpenschutz.

Der Wechsel wurde zum Desaster

Wir hatten uns gerade daran gewöhnt, eine „Drei“ als gut und eine „Vier“ als ok anzusehen, da wollte unser 13-jähriger und mäßig ehrgeiziger Sohn die Schule wechseln, weil einer seiner neuen Freunde sagte, dort sei „alles viel besser“.

Wir gaben nach. Und der Wechsel wurde zum Desaster. Neues Gymnasium, andere Sitten. Sein alter Lateinlehrer hatte mit Comics gelehrt, Frau Dr. B. zog Lehrbuch und Arbeitsbögen vor. Die Noten purzelten im freien Fall. Die Hausaufgabenhefte, nicht nur in Latein, füllten sich mit Anweisungen: „Seite 14-20 nacharbeiten“; „Du hast den Stoff aus Kapitel 12 nicht begriffen“; „Zeichnung ungenügend. Noch einmal neu!“ Wobei letztere von mir stammte.

Das Pensum war nicht mehr zu schaffen. Das Thema Schule vergiftete unseren Alltag. Wir keiften und flehten und bezahlten Unsummen für Nachhilfe. Umsonst. Mangels Erfolg, dafür höchst frustriert und ohne Lobby in der Lehrerschaft verwendete mein Sohn sein Talent darauf, Mitglied der coolsten Gang der Schule zu werden. Yo, man!

Zu den schlechten Noten gesellten sich Einträge ins Klassenbuch. Verlassen des Schulhofs, Handy im Unterricht, Mitführen einer Colaflasche auf der Toilette, was verboten war. Als ich mich vor einem Tribunal von drei Lehrerinnen samt der Toilettenfrau rechtfertigen musste, zogen wir die Notbremse und baten mit einem mit Fünfen gespickten Übergangszeugnis in der Gesamtschule um Aufnahme.

Nun waren wir Absteiger. Schulabsteiger. Mit den anderen Absteigern, Mütter und Väter mit erschöpftem Zug um den Mund, fielen wir beim ersten Elternabend in die Arme von Frau H., der neuen Klassenlehrerin. Herzlich, erfahren und robust: „Ich finde, das ist eine nette Klasse“, sagte sie. „Machen Sie sich mal keine Sorgen.“

Durchhänger und Glanzleistungen

Mein Sohn war nun kein Gymnasiast mehr. Zunächst war ihm das peinlich. Das Abi war kein Thema mehr, sondern nur, ob er versetzt wird. Vielleicht hat er in dieser Zeit am meisten gelernt. Zum Beispiel von den Aufsteigern in seiner Klasse. Einer machte Schule und Schreinerlehre zugleich. Oder Alex, der russische Aussiedler: „Der ist so arm, dass der nur bei Kik kaufen kann“, sagte mein Sohn. Alex wurde Jahrgangsbester, zusammen mit zwei türkischstämmigen Mädchen.

Frau H. hatte den Eltern schnell klargemacht, dass sie sich aus den schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder heraushalten sollen: „Sonst wird das nie was!“. Mein Sohn schrieb zunächst noch Fünfen, und wir bissen die Zähne zusammen. Dann kamen Vieren, Dreien. Er zog sich zurück und lernte. Mit jeder Verbesserung lernte er mehr.

Über das rundum solide Abschlusszeugnis der 10. Klasse haben wir uns zum ersten Mal wieder so richtig gefreut. Damit durfte er in die Oberstufe wechseln. Und das Wort „Abitur“, das wir zwei Jahre aus unserem Sprachschatz verbannt hatten, stand plötzlich wieder im Raum. Der Rest ging schnell. Durch die Klassen 12 und 13 ging’s im Sauseschritt, es gab Durchhänger und Glanzleistungen und Vorabi-Klausuren und eine fünf Tage andauernde Karnevalsparty namens „Mottowoche“, die uns deshalb befremdete, weil WIR erst gefeiert haben, als wir das Abi auch tatsächlich in der Tasche hatten.

13 Schuljahre sind eine lange Zeit
13 Schuljahre sind eine lange Zeit

Und dann waren sie da, die Klausurtermine, und ein letztes Mal entließen wir unsere großen Kinder mit Herzklopfen und feuchten Händen. Trotz allem. 13 Jahre mit Lehrern, Zeugnissen und Ferien, an denen man sich entlanghangeln konnte wie an einer Hängebrücke, sind eine lange Zeit.

„Zack, Abi“ hat mein Sohn gepostet: „Und was nun?“

Das ist die große Frage.