Düsseldorf/Hagen. . Dirk Schatz hat den Polizeidienst mit der Landespolitik getauscht. Für die Piraten sitzt er nun im Düsseldorfer Landtag. Die Tage sind lang, die Aufgaben reichlich. Oder, wie Schatz es formuliert: „Demokratie kostet Zeit“.

Stau, natürlich. 1 Stunde, 40 Minuten hat Polizei-Kommissar a.D. Dirk Schatz am Morgen von seiner Wohnung in Hagen bis in die Tiefgarage des Düsseldorfer Landtags gebraucht. Zeit, die ihm jetzt fehlt. Warum nutzt er auch nicht die kostenlose Bahn-Netzkarte, die allen Landtagsabgeordneten zusteht? „Langfristig werde ich das wohl tun“, sagt der 33-jährige Pirat. „Aber im Moment weiß ich nie, wie lange es abends dauert. Und dann fahren Bahn und Bus seltener.“

So ist das, wenn man neu ins Parlament einzieht. Besonders, wenn die ganze Partei neu ist. Und erst recht, wenn es sich um eine Partei handelt, die Transparenz und Basisbeteiligung hochhält: „Demokratie kostet Zeit“, sagt Schatz. Er sitzt vor Beginn der Plenarsitzung in seinem Büro. Seit Montag haben immerhin alle 20 Piraten ein eigenes.

Das hat gedauert, weil die Gesamtzahl der Abgeordneten gestiegen ist und die Linken weniger Büros freimachten, als die Piraten brauchten. Kein Grund also zur Beschwerde. Auf die Landtagsverwaltung lässt Schatz nichts kommen: „Die haben uns sehr gut aufgenommen und viel geholfen, sogar abends um 22 Uhr nach ihrer Arbeitszeit noch Tipps gegeben.“

Pirat Schatz kommt auf 70 bis 80 Arbeitsstunden in der Woche

Das war bitter nötig. Denn wie organisiert man eine Fraktion? Dass mussten die (bis dahin) Polit-Amateure nach der Wahl am 13. Mai erst herausfinden. Mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass sie erst zwei Wochen später offiziell Abgeordnete wurden. „Dadurch hatte ich keinen Anspruch auf Freistellung, und ich musste meist arbeiten.“

Im Streifendienst, weil der wie üblich schlecht besetzt war. Und trotzdem war der Kommissar jeden Tag in Düsseldorf. Vor allem, weil die Fraktion eine Geschäftsordnung brauchte. Da gab es zwar Vorbilder aus Berlin und dem Saarland. „Aber wir haben das Punkt für Punkt angepasst“, erinnert sich Dirk Schatz.

Auf 70 bis 80 Arbeitsstunden kommt er derzeit. Weil er noch allein im Büro ist. Die Fraktion hat Mitarbeiter eingestellt, die Abgeordneten suchen noch. Und in den bevorstehenden sitzungsfreien Wochen will Schatz ein Wahlkampfbüro in Hagen einrichten, Fraktionssitzungen in Düsseldorf finden trotzdem statt. Immerhin zehn Tage will der Familienvater mit seiner Frau und seinem Sohn, der im Herbst in die dritte Klasse kommt, in Urlaub fahren.

„Mir war klar, dass wir ins kalte Wasser geworfen werden“

Hat er sich das alles so vorgestellt? „Ja“, sagt er nüchtern. „Mir war klar, dass wir ins kalte Wasser geworfen werden.“ Keine Überraschungen? „Eigentlich nicht.“ Mit den anderen Parteien könne man reden, in den Ausschüssen werde vorwiegend seriös diskutiert, man spüre mehr Neugier als Ablehnung. „Und unsere Anwesenheit zeigt sich schon.“ Dass Worte wie Transparenz und Bürgerbeteiligung nun häufiger fielen, sei ja positiv: „Ob Taten folgen, wird sich zeigen.“

Ist denn neben der ganzen Organisation überhaupt Zeit fürs Inhaltliche? „Manches müssen wir uns noch erarbeiten“, sagt Schatz, „aber die Aufgabenverteilung war schon vorher ziemlich klar.“ Dass er in den Innenausschuss geht beispielsweise. Aber alle anderen Anträge und Gesetzesentwürfe bekommt er trotzdem auf den Tisch. Vom ersten Tag an. „Das kann ich nicht alles selbst lesen“, gibt er zu.

Über den Streit um die Vorratsdatenspeicherung kam er zu den Piraten

Dirk Schatz ist seit drei Jahren Pirat. Das Interesse kam eher zufällig. Bei der Europawahl war er Wahlhelfer und fand die sechs Kreuze für die Piraten in seinem Wahllokal interessant. „Was wollen die?“, fragte er sich. Dann kam die „Zensursula“-Affäre, der Streit um die Vorratsdatenspeicherung blieb, und der Polizist fand, dass es sich lohnte, dafür zu kämpfen.

Im Frühjahr 2012 wollte er im Urlaub eigentlich die Kollegen in Schleswig-Holstein im Wahlkampf unterstützen – dann platzte die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW. Und es wurde ernst. Denn sein Listenplatz 16 war nach den Umfragen ein aussichtsreicher.

Die Plenarsitzung beginnt. Schatz bindet eine Krawatte um und zieht das Sakko über. „Ins Büro gehe ich in Jeans und T-Shirt“, erklärt er, „aber so würde ich auch nicht bei einer Hochzeit auftauchen.“ Von der jüngsten Debatte um die Kleiderordnung fühlt er sich keinesfalls angesprochen. „Das war nicht auf uns gemünzt“, sagt er.

Piraten und CDU bringen gemeinsamen Antrag zur Inklusion an Schulen ein

Tatsächlich sind die Piraten nicht nur korrekt gekleidet, sondern auch äußerst zahlreich an ihren Plätzen links außen. „Anwesenheit ist Respekt gegenüber den Rednern“, meint Schatz. Dass die Bürger leere Ränge als Beleg für die Faulheit der Volksvertreter nehmen, ärgert ihn trotzdem: „Die Plenarsitzung ist nur die Frucht der Arbeit, die zuvor geleistet wurde. Hier zeigt sich, dass politische Bildung bei uns zu kurz kommt.“

Trotzdem bleibt das Parlament das Schaufenster. Hier wird der Entwurf der Piraten zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes begründet (mit der seltsamen Wahlwiederholung von Dortmund), hier bringen Piraten und CDU einen gemeinsamen Antrag zur Inklusion an Schulen ein, hier bekräftigt die neue Fraktion ihre Ablehnung der Verschärfung des Nichtraucherschutzgesetzes - wegen „volkserzieherischer Tendenzen“, wie Nichtraucher Schatz sagt.

Dann muss er wieder ins Büro. Die Post öffnen. Online-Bewerbungen sichten. Es wird wieder ein langer Tag. Immerhin: Je später der Abend, desto seltener der Stau.