Krefeld. Nach der historischen Wahlpleite bei der NRW-Landtagswahl kürt der CDU-Landesparteitag Armin Laschet mit gerade einmal 80 Prozent zum neuen Vorsitzenden und Nachfolger des gescheiterten Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Scherbengericht oder Selbstkritik fallen aus.

Unpassender hätte der Tagungsort eigentlich nicht sein können. Gut sechs Wochen nach der schlimmsten Wahlniederlage ihrer Geschichte, der Landtagswahl in NRW, traf sich die NRW-CDU am Samstag im „Königpalast“ in der „Samt- und Seidenstadt“ Krefeld zum Landesparteitag. Verlangten die desaströsen 26,3 Prozent bei der Landtagswahl am 13. Mai nicht eher nach ruppigen Auseinandersetzungen und Scherbengericht?

Nein, die offene Konfrontation ist nicht Sache der nordrhein-westfälischen Christdemokraten. Landsmannschaftliche Eifersüchteleien, Flügelstreitigkeiten und persönliche Animositäten werden traditionell hinter vorgehaltener Hand ausgetragen. Nach der jüngsten Wahlschlappe eint die immer noch mitgliederstärkste Partei in NRW zudem die ernste Sorge, an Rhein und Ruhr auf viele Jahre wieder von der SPD abgehängt zu sein. Der historische Wahlerfolg von 2005 mit fast 45 Prozent wirkt heute wie aus einer anderen Epoche. Krefelds CDU-Oberbürgermeister Gregor Kathstede dürfte als Gastgeber manchen Delegierten aus der Seele gesprochen haben, als er gleich bei der Begrüßung barmte: „Ich wünsche mir, dass unsere gemeinsame Wahldepresssion heute ein Ende findet."

Röttgen pries seine Erfolge in NRW

Der scheidende Landesvorsitzende Norbert Röttgen zumindest muss über magische Fähigkeiten zur Selbstmotivation und Realitätsverweigerung verfügen. Man hätte einen zerknirschten, tieftraurigen, deprimierten Mann erwartet, denn selten ist ein Spitzenpolitiker innerhalb kürzester Zeit so tief gestürzt. Bei der Landtagswahl wegen seines fehlenden NRW-Bekenntnisses auch ganz persönlich abgestraft, als Bundesminister von der Kanzlerin eiskalt rausgeschmissen, politisch so gut wie am Ende.

Doch Röttgen blendete diese Wahrheiten erfolgreich aus, pries seine Erfolge als zweijähriger Landeschef wie den „Schulkonsens“ wortreich an, fabulierte über Europas Schuldenkrise, dankte seinem für einen dramatisch verkorksten Wahlkampf verantwortlichen Generalsekretär Oliver Wittke für einen „tollen Job“. Der eigene Rücktritt? „Ein Gebot der politischen Verantwortung“, findet Röttgen, als müsste er einen Schicksalsschlag aus heiterem Himmel verarbeiten. Gewiss, er räumt auch „Fehler und Fehleinschätzungen“ ein. Trotzdem: Röttgen hat es „große Freude gemacht“. Applaus, Danksagungen, nette Worte – derartige kollektive Verdrängungskunst gibt es wohl nur bei der CDU.

Leutseliger, aber sprunghafter Laschet als neuer Vorsitzender

Der Wiederaufbau des größten Landesverbandes obliegt nun ausgerechnet dem Mann, der Röttgen vor zwei Jahren in einem Mitgliederentscheid klar unterlegen war: Armin Laschet. Der ehemalige NRW-Integrationsminister teilt sich die Verantwortung mit Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann, weil keinem von beiden die alleinige Oppositionsführerschaft zugetraut wurde. Ein kraftvoller Neuanfang sieht anders aus.

Der 51-jährige Aachener ist zwar wortgewandt, ein Ideenbündel, leutseliger als Röttgen, aber eben auch ein etwas sprunghafter Vertreter der liberalen Großstadt-CDU, der in konservativen Bastionen schwer vermittelbar erscheint. „Der Gegner liegt nicht im eigenen Bett“, mahnte Laschet deshalb parteiinterne Kritiker. Zugleich mühte er sich, mit einer etwas unsortierten Rede so etwas wie Aufbruchstimmung zu verbreiten. Er schwor die NRW-CDU auf die Bundestagswahl 2013 ein. Wenn der größte Landesverband nicht schnell wieder aufstehe, sei die CDU-geführte Bundesregierung als „letzter Stabilitätsanker Europas“ in der Eurokrise verloren.

Er ruft: „Die Geschichte gewährt keine Auszeit.“ Statt Selbstzerfleischung fordert er den Stolz der irischen Fußball-Fans, die bei der Europameisterschaft auch in sportlich aussichtsloser Lage die Konkurrenz in Grund und Boden gesungen hätten. Tradition, Selbstvergewisserung, geistiges Zentrum der Bundes-CDU – Armin Laschet arbeitete sich rhetorisch durch viele Facetten seiner Partei. Der nordrhein-westfälische Landesverband müsse „stehen wie eine westfälische Eiche“ und "nett" sein wie SPD-Ministerpräsidentin Kraft. Noch Fragen?

Weniger als 80 Prozent wählten Laschet

Laschet, zu dem es keine wirkliche personelle Alternative gab, war zuletzt durch fast alle 54 Kreisverbände getourt, um einen Vertrauensvorschuss zu erhalten. Der Bittgang an der Basis hat sich zumindest ausweislich der Parteitagsarithmetik kaum gelohnt: Er wurde mit nur 80 Prozent Zustimmung zum neuen Parteichef gekürt; rechnet man die Enthaltungen ein, waren es sogar nur 77,6 Prozent.

Am Ende fragt man sich, warum eine Partei, die sich derart selbstzufrieden geriert, in den vergangenen sieben Jahren fast 20 Prozentpunkte an Bürger-Zustimmung einbüßte. Man habe die Landtagswahl verloren, „aber nicht unsere Überzeugungen und unser Selbstbewusstsein“, hatte Norbert Röttgen dem Parteitag zugerufen. Letzteres gilt offenkundig nicht nur für den gescheiterten Landeschef.