Essen. Viele Menschen bewerben sich in der Corona-Zeit auf einen Bundesfreiwilligendienst. Für diese fordern Träger aus NRW Hilfe von der Politik.

Aktiv werden, anpacken und etwas in der Gesellschaft bewegen: Das wünschen sich immer mehr junge Menschen nach dem letzten Corona-Schuljahr und entscheiden sich deshalb für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der jetzt sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Die Bewerberzahlen „explodieren“ in Pandemiezeiten regelrecht. Die Arbeitgeber fordern aber von der Politik „mehr Wertschätzung“ für die Freiwilligen.

Matthias Schmitten, verantwortlich für die Freiwilligendienste der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, meint, jeder junge Mensch sollte das Recht auf einen Freiwilligendienst und auf eine ordentliche Bezahlung dafür haben. „Viele Freiwillige fallen hinten über, weil sie sich zum Beispiel kein Bahnticket für den Weg zu ihrer Einsatzstelle leisten können“, sagt Schmitten dieser Redaktion.

AWO in NRW sieht bei politischer Wertschätzung „Luft nach oben“

Was die Wertschätzung des Bundesfreiwilligendienstes angeht, sieht auch Dominique Adler, Sprecherin für die Freiwilligendienste der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in NRW, bei der Politik noch „Luft nach oben“. Sie findet, der Bund hätte sich nicht nur auf einen neuen freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz („Dein Jahr für Deutschland“) konzentrieren sollen, sondern „Rahmenbedingungen schaffen müssen, die den Dienst für junge Menschen noch attraktiver machen“.

Dazu gehört laut Adler ein kostenloses Nahverkehrsticket, der Taschengeld-Höchstsatz von 426 Euro im Monat für alle Freiwilligen und ein besserer Zugang zu Wohngeld. Viele FSJ’ler und Bufdis bekommen derzeit nur rund 300 Euro im Monat und müssen das teure Azubi-Ticket kaufen. Adler wünscht sich auch mehr Werbung für den Freiwilligendienst: „Junge Leute erfahren oft nur zufällig von der Möglichkeit eines BFD. Das muss noch viel bekannter werden.“

Bewerberzahlen steigen während der Pandemie deutlich an

Während der Pandemie steigt die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber in NRW bei vielen Trägern deutlich an. „In Corona-Zeiten bekommen junge Menschen bei einem BFD vermehrt das Gefühl: Hier werde ich gebraucht“, sagt Matthias Schmitten von der Diakonie RWL.

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Das Deutsche Rote Kreuz im Regierungsbezirk Düsseldorf registriert großes Interesse. Im vergangenen Jahr gab es dort fast 4000 Bewerber für 1200 Plätze bei FSJ und BFD. Zum Vergleich: 2018 waren es 2800.

In Deutschland engagieren sich jährlich etwa 40.000 „Bufdis“ und 100.000 FSJ’ler. Das Potenzial ist viel größer: Laut einer Studie des Deutschen Kinder- und Jugendinstitutes aus dem Jahr 2019 können sich 56,3 Prozent der 15- bis 27-Jährigen vorstellen, einen Freiwilligendienst zu aufzunehmen.

Wie der Bundesfreiwilligendienst den Horizont erweitern kann

Zu den Freiwilligen gehört Djona Matuszak. Wenn die 20-Jährige heute in einen Raum mit vielen Menschen kommt, sagt sie einfach „Hallo zusammen“. Das sind vermeintlich einfache Worte. In der Schulzeiten sind sie für Matuszak jedoch nicht möglich gewesen. Doch nach einer Woche im Bundesfreiwilligendienst (BFD) im Ev. Altenzentrum am Emscherpark in Essen, klappte das plötzlich.

„Hier bekomme ich das Gefühl, dass die Menschen froh sind, dass ich da bin“, so Matuszak, die sich selbst als introvertiert beschreibt. „In der Schule brauchte ich immer lange, um mit Menschen warm zu werden und fand es schwierig, Gespräche anzufangen.“ Bereits nach wenigen Tagen im BFD habe sie sich aber schon wohler und auch selbstbewusster gefühlt, als je zuvor.

„Beim BFD merke ich, dass meine Hilfe wirklich benötigt wird“

„Im letzten Corona-Schuljahr lag ich teilweise nur im Bett, war zu Hause und hatte Homeschooling. Und nach der Schule war ich immer schlecht drauf und wollte in Ruhe gelassen werden“, erinnert sich Matuszak. „Beim BFD merke ich, dass meine Hilfe wirklich benötigt wird, das tut meiner Psyche und meinem Körper nach dem Corona-Jahr gut.“

Wenn die BFD’lerin jetzt von der Arbeit nach Hause kommt, ist sie fröhlicher und erzählt ihrer Familie von ihren Erlebnissen am Tag. Denn dieser ist in ihrer Einsatzstelle alles andere als langweilig: Matuszak spielt mit den Bewohnern, hilft am Empfang oder in der Wohnküche mit. Bald kommen gemeinsame Arztbesuche und Einkäufe hinzu. Am spannendsten sind für Djona Matuszak jedoch die Geschichten, die die alten Menschen erzählen. „Ich finde es interessant zu hören, wie sich nach Jahren die Perspektive auf die Welt ändern kann.“

Bufdi mit fast 60 Jahren: „Als Corona kam, wurde jede Hand gebraucht“

Nach aktuellen Zahlen leisten eher jüngere Menschen in NRW einen Bundesfreiwilligendienst. Laut Antje Mäder vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) sind 90 Prozent der Bundesfreiwilligen unter 27 Jahre alt. Dennoch gibt es auch ältere – das ist im Gegensatz zum Freiwilligen Sozialen Jahr eine Besonderheit.

Mit fast 60 Jahren ein „Bufdi“: Waldemar Glettner arbeitet in Duisburg. Foto : Kai Kitschenberg/FUNKE Foto Services
Mit fast 60 Jahren ein „Bufdi“: Waldemar Glettner arbeitet in Duisburg. Foto : Kai Kitschenberg/FUNKE Foto Services © FFS | kk

Waldemar Glettner hat mit fast 60 Jahren sein BFD bei der Theodor Fliedner Stiftung Altenwohnanlage in Duisburg-Großenbaum, zu Beginn der Corona-Pandemie angefangen. Denn der gelernte Gärtner kann nach jahrelanger Arbeit seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. „Als man mir das sagte, bin ich erstmal in ein tiefes Loch gefallen“, blickt der 59-Jährige zurück. Er wird arbeitslos, bezieht Hartz IV und geht schließlich in eine Tagesklinik.

Ab da geht es für Glettner Bergauf: Er beginnt einen Zwei-Euro-Job in der Altenwohnanlage und bewirbt sich dort zu Beginn der Pandemie auf einen BFD.

Als Corona kam wurde jede Hand gebraucht. Weil die Bewohner kaum Besuch bekommen konnten, sind wir gemeinsam ins Kino gegangen, haben gewürfelt oder ich habe die alten Menschen einfach nur getröstet“, sagt Glettner.

Mehr über sich selbst erfahren

Nach seinem BFD will er seine Arbeit unbedingt ehrenamtlich weitermachen. „Rentnern, die noch etwas bewegen möchten, kann ich ein BFD mit anschließendem Ehrenamt sehr empfehlen.“

Djona Matuszak überlegt, nach ihrem BFD auf Lehramt zu studieren. „Ich möchte auf jeden Fall irgendetwas Soziales machen. Und wer weiß, vielleicht macht mir das BFD so viel Spaß, das ich doch in die Altenbegleitung gehe.“ Generell findet sie aber: „Selbst wenn man nach dem Freiwilligendienst, in eine ganz andere Richtung geht, ist das Jahr sinnvoll, weil man etwas über sich selbst erfährt und seinen Horizont erweitern kann.“

>>> Das sind die Unterschiede zwischen BFD und FSJ

  • Der Unterschied zwischen dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) liegt hauptsächlich in der Organisation und internen Abläufen. Während ein BFD mehrmals geleistet werden kann (immer im Abstand von fünf Jahren), ist ein FSJ nur einmal möglich.
  • Zudem hat der BFD keine Altersbegrenzung, dadurch können Menschen jeden Alters einen BFD absolvieren. Ab 27 heißt der Dienst dann BFD 27+ und ist in Vollzeit und Teilzeit möglich. Das FSJ können nur Freiwillige bis 26 Jahre absolvieren.
  • Im Bundesfreiwilligendienst erfolgt zudem durch den Bund eine Erstattung der Kosten für Taschengeld und Sozialversicherung. Das gilt nicht für das FSJ, denn dort ist die Förderung Ländersache.