Bochum. Mitten in der Pandemie hat eine neue Augusta-Klasse in Bochum ihre Pflege-Ausbildung begonnen. Corona-Angst? Nein. Ein Wunsch ist viel stärker.

Die Lehre zum Zweiradmechaniker hat er abgebrochen. Als Piercer fand er ebenso wenig Erfüllung wie in diversen anderen Jobs. Erst als ehrenamtlicher Helfer in einem jesidischen Flüchtlingslager erkannte Tobias Kerkhoff: Menschen zu helfen, das ist sein Ding! Aus der Berufung wird jetzt ein Beruf. Seit April absolviert der 32-Jährige an der Augusta-Akademie in Bochum eine Ausbildung zum Pflegefachmann. Trotz Corona? Nein: Auch wegen Corona.

Die dritte Welle der Pandemie hat die Kliniken mit besonderer Wucht getroffen. Das Personal, weit vor Corona aus Kostengründen massiv ausgedünnt, arbeitet am Anschlag. So sehr ihr Beruf jetzt endlich die angemessene Anerkennung erfährt, so sehr eine längst überfällige Tariferhöhung und -bindung begrüßt wird: Die „Helden des Alltags“ sind müde, ausgelaugt, längst desillusioniert.

Corona in Bochum: Kliniken sind am Anschlag

Und das weit über die Intensivstationen hinaus. Laut einer Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) denkt jeder dritte Beschäftigte darüber nach, aus dem Job auszusteigen. Marion Schäfer von der Gewerkschaft Verdi bekräftigt: „Die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern sind am Ende ihrer Kräfte. Schon seit Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass an allen Ecken und Enden Personal fehlt. Doch bis auf viele Versprechungen kommt in den Kliniken nichts an.“

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Der Ausstieg: naheliegend. Der Einstieg: umso bemerkenswerter. „Natürlich muss noch mehr kommen, natürlich müssen unsere Arbeitsbedingungen noch weiter verbessert werden“, sagt Tobias Kerkhoff, lässt aber keinen Zweifel an seiner Berufswahl. „Corona hat krass verdeutlicht, dass unser Gesundheitssystem überlastet ist. Gerade deshalb ist es wichtig, jetzt diesen Beruf zu ergreifen. Das macht Sinn. Für mich und für die Gesellschaft.“

Tobias Kerkhoff absolviert seit April in der Augusta-Akademie eine Ausbildung zum Pflegefachmann – im theoretischen Teil pandemiebedingt im Homeoffice. „Ich will Menschen helfen“, sagt der 32-Jährige.
Tobias Kerkhoff absolviert seit April in der Augusta-Akademie eine Ausbildung zum Pflegefachmann – im theoretischen Teil pandemiebedingt im Homeoffice. „Ich will Menschen helfen“, sagt der 32-Jährige. © Augusta Stiftung

Bochumer Auszubildende sagt: „Ich will von Nutzen sein“

“Ich will von Nutzen sein“, sagt auch Julia Laube. Wie Tobias Kerkhoff zählt sie zur Anfänger-Klasse der Augusta-Akademie. Wie ihr Kollege hatte auch die 21-jährige zunächst ganz andere Pläne. An der Ruhr-Universität studierte sie Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte, merkte aber schnell: „Das ist gar nichts für mich.“

Julia Laube erinnerte sich an die Freude, die ihr nach dem Abitur 2018 die Arbeit im Bundesfreiwilligendienst beim DRK Wattenscheid bereitet hatte. Bald war klar: Sie will Pflegefachfrau werden, „für Menschen da sein“. Auch und gerade in der Corona-Krise, trotz virtuellen Unterrichts statt Präsenzkursen. Angst vor einer Ansteckung in der Klinik habe sie nicht. „Demnächst werden wir geimpft. Auf der Station befolge ich die strengen Verhaltens- und Hygienevorschriften.“ Da trügen manche Bekannte, die sich über die Corona-Regeln hinwegsetzten, ein höheres Risiko: „Das finde ich verantwortungslos.“

Augusta-Akademie verzeichnet wieder mehr Bewerber

„Jetzt erst recht“: Diese Einstellung spiegelt sich bei vielen angehenden Pflegefachfrauen und -männern wider, beobachtet der Leiter der Augusta-Akademie, Uwe Machleit. Nachdem die Umstellung der Ausbildung 2020 zu erheblicher Verunsicherung und einem Rückgang der Bewerberzahlen geführt hatte, zeige die Entwicklung 2021 nach oben: „Statt einer konnten wir im April wieder zwei Klassen mit bis zu 25 Teilnehmern bilden. Wir hätten sogar noch eine dritte Klasse starten können.“

Übergreifende Ausbildung seit 2020

Die Augusta-Akademie bietet verschiedene Ausbildungen für Pflege- und Gesundheitsberufe an: darunter die dreijährige Ausbildung zum Pflegefachmann/Pflegefachfrau in zwei Schulen in Linden und Hattingen. Die Klassen starten im April und September.

Die generalistische Ausbildung ersetzt seit 2020 die Ausbildungen zum Gesundheits- und Krankenpfleger, Altenpfleger und Kinderkrankenpfleger. Die angehenden examinierten Fachkräfte können sich im dritten Lehrjahr auf einen der Bereiche spezialisieren.

Aktuell werden bei Augusta 79 junge Erwachsene nach dem neuen Pflege-Berufsbild sowie 130 nach dem klassischen Modell ausgebildet.

Infos auf www.augusta-akademie.de.

Augenfällig sei, dass immer mehr Nachwuchskräfte bereits über eine Ausbildung verfügten: „vom Kfz-Schlosser über die Gastronomie bis zur Friseurin.“ Trotz der Personalnot („Die Pflege wurde 15 Jahre vernachlässigt“) und der besonderen Herausforderungen durch Corona sei in allen drei Ausbildungsjahrgängen bisher niemand abgesprungen. Und: Die Impfbereitschaft, die in der Pflege anfangs nicht sonderlich ausgeprägt war, habe sich deutlich erhöht.

Immer wieder protestieren Pflege-Mitarbeiter gegen Überlastung und für eine gerechte Bezahlung. Die Corona-Krise soll nun endlich zu nachhaltigen Verbesserungen führen.
Immer wieder protestieren Pflege-Mitarbeiter gegen Überlastung und für eine gerechte Bezahlung. Die Corona-Krise soll nun endlich zu nachhaltigen Verbesserungen führen. © WAZ FotoPool | MATTHIAS GRABEN

Sorge: Viele Fachkräfte werden ausscheiden

Sorgen plagen Uwe Machleit dennoch. Die alarmierenden Ergebnisse der DBfK-Umfrage seien ernst zu nehmen. „Wir werden erleben, dass sehr viele Kolleginnen und Kollegen nach Corona aus dem Pflegeberuf ausscheiden werden. Aus Frust, wegen Burnout.“ Alle Anstrengungen in der Ausbildung könnten die zunehmenden Lücken in den Kliniken nicht schließen. „Das kann nur durch eine Zuwanderung von Fachkräften gelingen.“

Tobias Kerkhoff und Julia Laube wollen durchhalten. In dieser Woche beginnt ihre Praxisphase im Augusta-Krankenhaus. „Wir haben“, sagen beide im Gespräch mit der WAZ, „die richtige Entscheidung getroffen.“