Düsseldorf. Spät beginnt NRW mit der Digitalisierung der Schulen. Der Föderalismus hat das Zukunftsprojekt bisher gebremst. Jetzt soll alles schnell gehen.

Während in Dänemark und anderen skandinavischen Ländern Kinder im Unterricht selbstverständlich Laptops nutzen, am Computer Prüfungen ablegen und zunehmend sogar ihre Zeugnisse online erhalten, gleicht Schule in Deutschland und in NRW 20 Jahre nach der Jahrtausendwende noch immer einer digitalen Wüste.

2013/14, als das Smartphone längst Massenprodukt war, tobte in NRW ein bizarrer Streit über die Frage, ob Schüler für den Mathematikunterricht teure, grafikfähige Taschenrechner benötigen. Am Ende ruderte die damalige rot-grüne Landesregierung zurück und verzichtete auf eine allgemeine Kaufpflicht. Die Schulen sollten selbst darüber entscheiden. Einige verlangen nach wie vor von Eltern die Anschaffung eines Gerätes, das im Digitalzeitalter wie ein Relikt aus dem Altertum wirkt.

Viele Kinder haben daheim keinen Laptop oder Tablet-PC

Wie unterentwickelt die Digitalisierung an Schulen in NRW ist, wurde in der Coronakrise erst richtig deutlich. Plötzlich wurden Computer zum wichtigen Kommunikationsmittel beim Lernen auf Distanz. Besser gesagt: Sie hätten es sein sollen. „Ein Drittel der Schüler arbeitet daheim nur mit dem Smartphone“, erzählte die Konrektorin einer Düsseldorfer Realschule beim Besuch von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Mai. Im westfälischen Sassenberg rechnete eine Sekundarschul-Leiterin jüngst im Schulausschuss vor, dass 308 von 540 Schülern keinen Laptop oder Computer zu Hause hätten.

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Ein Jahr vor der Coronakrise veröffentlichte der Verband Bildung und Erziehung (VBE) eine Umfrage unter Lehrern zum Stand der Digitalisierung. Damals fehlten demnach an 90 Prozent der Schulen in NRW Dienst-Computer, an zwei Drittel der Schulen Klassensätze an Tablet-PC. 70 Prozent der Schulen klagten über Probleme beim WLAN.

Startprobleme beim „Digitalpakt“

Es fällt immer wieder auf, das gut gemeinte Angebote nur zögerlich angenommen werden oder Leuchtturmprojekte der Digitalisierung ins Stocken geraten. Der 2018 zwischen Bund und Ländern hart umkämpfte Digitalpakt Schule – in NRW mehr als eine Milliarde Euro schwer – stößt in der Praxis auf Probleme. Bis zum Sommer 2020 wurden in NRW erst rund 400.000 Euro abgerufen. Die schon vor fünf Jahren angestoßene neue Lernplattform „Logineo“ sollte 2017 an den Start gehen und wird jetzt erst vernünftig ausgebaut.

Warum tut sich die Schulpolitik so schwer mit dem Zukunftsprojekt Digitalisierung? Stefan Behlau, NRW-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, nennt gleich mehrere Gründe. „Die Verzögerungen haben viel mit der Schulfinanzierung zu tun. Bei der Verteilung von Geld aus dem Digitalpakt Schule sind mit Bund, Ländern und Schulträgern gleich drei Player involviert“, sagte Behlau dieser Redaktion. Man müsse dieses System nicht abschaffen, aber prüfen, ob es verbessert werden könne.

Reiche Städte digitalisieren die Schulen schnell, arme Städte zögern

In NRW komme hinzu, dass die Kluft zwischen reichen und armen Kommunen besonders tief sei. Reiche Städte könnten bei der Digitalisierung in Vorleistung gehen, Kommunen in der Haushaltssicherung aber nicht, sagt der VBE-Landeschef.

Begründung Nummer drei: „Es fehlt in Deutschland oft die langfristige Perspektive auf Bildung. Bildung ist stets Wahlkampfthema in den Ländern, bewegt sich also auf einer Zeitschiene von vier oder fünf Jahren“, so Behlau. Experten sind sich einig, dass in skandinavischen Ländern großzügiger und einheitlicher geplant werde. Fachleute weisen auch darauf hin, dass die Schulen in NRW viele zusätzliche Herausforderungen zu meistern haben, zum Beispiel die Integration von Flüchtlingen, die Inklusion und den Ganztag.

Städte haben Probleme bei der zügigen Beschaffung digitaler Endgeräte

Inzwischen nimmt die Digitalisierung auch an den Schulen in NRW tatsächlich Fahrt auf. Alle rund 200.000 Lehrer in NRW erhalten aus einem öffentlichen Förderprogramm ein „digitales Endgerät“. Außerdem werden rund 356.000 Schüler aus sozial benachteiligten Familien die Möglichkeit bekommen, einen Schul-Computer auszuleihen. Das Land plant dafür 178 Millionen Euro ein. „Die NRW-Landesregierung ist jetzt, unter dem Eindruck der Krise, bei der Digitalisierung in starke Vorleistung getreten. Das hätten andere Regierungen schon leisten sollen“, meint Stefan Behlau vom VBE.

Aber auch hier geht es nicht so schnell wie erhofft. Viele NRW-Städte haben Probleme bei der Beschaffung von Laptops und Tablet-PC für Schüler und Lehrer. Das ergab eine Umfrage dieser Zeitung in sieben Ruhrgebietsstädten, in Düsseldorf, beim Städtetag NRW sowie beim Städte- und Gemeindebund NRW.

Hauptkritikpunkte der Städte: Der Markt für die Geräte sei praktisch leer gefegt. Die erforderlichen Ausschreibungen dauerten Monate, außerdem fehle vielen Schulträgern das Personal für die Beschaffung, für die Hilfe bei Technik-Problemen (Support) sowie für die Wartung der neuen Schul-Computer. Die Frist bis zum Jahresende, die den Kommunen für den Abruf der Landesmittel gewährt wird, reiche nicht.