Düsseldorf. In der Coronakrise gerät NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) unter Druck. Sie hält aber an ihrem Kurs der Schulöffnung fest.
Gut zweieinhalb Jahre lang spürte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nur sporadisch Gegenwind. Eine Zeit lang konnte sie sich auf den Meriten ausruhen, den alten Streit um das acht- oder neunjährige Gymnasium beendet zu haben. Aber seit der Coronakrise steht sie im Sturm. Die Art, wie NRW die Schulen öffnet, wie das Land Jugendliche und Lehrer in Prüfungen schickt und Anweisungen per Mail verschickt, bringt Pädagogen, Gewerkschafter, Schüler, Rektoren und Eltern auf die Palme.
Yvonne Gebauer spricht oft von der „vorsichtigen Rückkehr zur Normalität“. Wie weit Wirklichkeit und Normalität noch auseinander liegen, sah die 53-Jährige am Dienstag beim Besuch der Realschule Benzenberg in Düsseldorf. Wenig ist hier normal. Die Schulgemeinschaft trägt Maske. Flatterband und Stopp-Schilder lenken die Schritte, je eine Klasse wird auf drei Räume verteilt. Ein Flyer beantwortet die wichtigsten Fragen: „Wo habe ich Unterricht und welchen Eingang muss ich benutzen?“
Das „rollierende System“ rolliert in Zeitlupe
„Zwei Tage“, sagt Konrektor Rolf Klinkhammer auf die Frage, wie viel Zeit der Schule für ein Hygienekonzept blieb. Er ist stolz, dass das geklappt hat. Viele Probleme aber bleiben. Wenn ein Raum genutzt wurde, muss er desinfiziert werden. Dafür fehlt aber Personal, also ist der Raumbedarf riesig. 90 Schüler der 10. Klassen sind am Dienstagmorgen hier. Wenn sie um 11 Uhr raus sind, rücken 5. Klassen nach. Und zwar langsam. „Es dauert eine Stunde, bis alle Kinder eines Jahrgangs im Gebäude sind“, erklärt Schulleiter Guido Martin der Ministerin. Das „rollierende System“, das NRW verordnet hat, um möglichst viele Kinder zurück in die Klassen zu bringen, rolliert in Zeitlupe.
Yvonne Gebauer findet es dennoch richtig, dass Schüler geprüft werden und zumindest stundenweise in den Unterricht zurückkehren. Die Liberale gehört mit dieser Haltung im Kreise der Bildungsminister zu den Antreibern, im Grunde aber geht NRW die Wege der anderen Bundesländer. Dass die Reaktionen auf Gebauers Schulpolitik heftiger ausfallen als anderswo, hat andere Gründe.
Eine Schulmail jagt die nächste
Seit Wochen ächzen Städte und Pädagogen unter den inzwischen mehr als 20 „Schulmails zum Umgang mit dem Coronavirus“ des Ministeriums. Für die Vorbereitung der Schulöffnungen gestand ihnen das Land nur wenige Tage zu, obwohl die Betroffenen um mehr Zeit regelrecht flehten. Manche Mails erreichten ihre Adressaten am Wochenende, so dass diese kaum reagieren konnten. Die Mail vom 30. April enthielt das Datum für einen Unterrichtsbeginn, den Bund und Länder noch gar nicht beschlossen hatten. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) pfiff seine Ministerin wieder zurück.
Zuletzt verabschiedete sich Gebauer von ihrer Linie, ältere und vorerkrankte Lehrer nicht arbeiten zu lassen. Sie werden nun doch in mündliche Prüfungen und womöglich bald wieder in den Unterricht geschickt. Denn ohne dieses Personal dürfte der Fahrplan für Schulöffnungen scheitern.
Die Zahl der Gegner nimmt zu
Zwischen der Schulministerin und der Schullandschaft tun sich nach diesen Reibereien Gräben auf. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) monierte „chaotische Kommunikation“. Die Gewerkschaft GEW sprach von „inakzeptabel schlechtem Regierungshandeln“, die Schulleitungsvereinigung NRW empörte sich, die Landeseltern der integrierten Schulen raten zu Protest gegen die Prüfungen, und die Landesschülervertretung demonstriert. Aus Schulleiterkreisen wird kolportiert, im Ministerium habe eigentlich Staatssekretär Mathias Richter das Sagen.
Manche reiben sich daran, dass die karnevalsaffine Kölnerin und frühere Immobilienkauffrau nie in einer Schule gearbeitet hat. Das muss aber nichts heißen. Ihre Vorgängerinnen – Sylvia Löhrmann (Grüne) und Barbara Sommer (CDU) – hatten zwar Schulerfahrung, aber nicht weniger Stress im Ministeramt. Das Schulministerium gehört – neben dem Innenministerium – zu den schwierigsten Ressorts in einer Landesregierung. Schulpolitik betrifft Millionen Kinder und Familien. Mächtige Verbände wollen den Kurs mitbestimmen. Die Opposition bietet ihre beredten Bildungsexperten gegen die Ministerin auf. Und schließlich kann ja beim Thema Schule praktisch jeder mitreden, weil jeder selbst mal Schüler war.
Gymnasial-Direktoren loben die Ministerin
Gebauer hat auch Fürsprecher. Mehrere Direktorenvereinigungen der Gymnasien und Gesamtschulen sowie die Landeseltern der Gymnasien begrüßen ausdrücklich den Einsatz von „Risikolehrern“ bei Prüfungen. Ein führender Gewerkschafter sagte, Gebauer sei im persönlichen Gespräch angenehm. Sie müsse aber lernen, mit und nicht gegen die Verbände zu arbeiten.
In der Realschule Benzenberg warnt die zweite Konrektorin, Ulrike Mayer, das Lernen auf Distanz benachteilige viele Kinder: „Ein Drittel der Schüler arbeitet daheim nur mit dem Smartphone.“ Vom Tablet-PC könnten sie bisher nur träumen. Gebauer versichert, dass nun mehr Geld für „digitale Endgeräte“ zur Verfügung stehe. „Überwiegend reibungslos“ habe die Öffnung der Schulen bisher funktioniert, findet die Ministerin. „Ich wünsche Euch noch eine schöne Präsenzzeit in der Schule“, sagt sie den Kindern. Bald hätten sie wohl noch mehr davon. Wenn sich die Coronakrise nicht wieder verschärft.
Seit 1982 in der FDP
Yvonne Gebauer (53), verheiratet und Mutter eines Kindes, ist die Tochter eines früheren Kölner Schuldezernenten. Sie war Rechtsanwaltsfachangestellte und selbstständige Immobilienkauffrau. Gebauer gehörte dem Kölner Rat und seit 2012 dem Landtag an. Bereits seit 1982 ist sie Mitglied der FDP.