Essen. Sie begann mit dem Kampf gegen den Euro - doch ihre grandiosen Wahlerfolge der letzten Wochen verdankt die AfD der Pflege von Ressentiments gegen alle möglichen bewährten Feindbilder. Muss man deshalb gleich Angst vor ihr haben? Man muss nicht, aber man kann. Ein Kommentar
Angst, Angst, Angst: Man fragt sich, wo sie im Augenblick größer ist: Hat der Rest der Welt jetzt mehr Angst vor der AfD, oder ist das am Ende noch gar nichts im Vergleich zur Angst der AfD vor der Welt?
Denn die AfD - sie ist die Angstpartei für Deutschland. Sie wurde gegründet aus Angst um unser Geld, und inzwischen gewinnt sie Wahlen mit der Angst vor Benachteiligung, Überalterung, Angst um die Identität der Deutschen. Die AfD hat diese Ängste erkannt und weiter geschürt, sie beantwortet sie mit wohlfeilen Ressentiments gegen bewährte Feindbilder: die EU, Quotenfrauen, schwule Pärchen, Ausländer, Minarette. Vor Leuten, die Angst haben, muss man sich hüten, heißt es. Das gilt auch für die AfD, und hier ist die Begründung.
Die einzig gute Nachricht: Die AfD wird den Euro nicht abschaffen
Die AfD wurde als Anti-Euro-Partei auf dem Höhepunkt der Euro-Krise gegründet. Nach wie vor steht bei dieser Partei die Währungspolitik am Anfang ihrer politischen Leitlinien, und Forderung Nr. 1 ist die Auflösung des Euro-Raumes. Zugleich ist es auf längere Sicht aber ausgeschlossen, dass die Partei zur Erlangung dieses Zieles aus eigener Kraft irgendetwas beitragen kann. Zum einen hat die Euro-Krise inzwischen einiges an Brisanz verloren. Zum anderen wird jede Entscheidung über den Bestand des Euroraumes wenn überhaupt – dann im Europäischen Rat, in der Eurogruppe und in den Gremien der EZB angebahnt und durch die nationalen Parlamente, darunter der Bundestag, beschlossen. Um mit über den Euro entscheiden zu können, bräuchte die AfD also Sitze im Bundestag, am besten viele, und noch besser einen Teil vom Kabinettstisch. In den Bundestag könnte sie bei regulärem Wahl-Rhythmus 2017 gelangen, an der Regierung wäre sie damit aber noch lange nicht: Denn alle anderen Parteien im Bundestag verweigern die Zusammenarbeit äußerst energisch.
In der AfD ist nationalkonservatives Denken auf dem Vormarsch
Da sie in der Euro-Politik kaum Erfolge wird feiern können, hat die Partei ihre anfängliche Fokussierung darauf aufgegeben. Längst sind auch andere Themen wichtig - darunter Einwanderung, Familie, Gleichberechtigung. So fordert die Partei offen die Abkehr von der bedingungslosen Gleichberechtigungspolitik, wie sie von Linken, Grünen, SPD und den maßgeblichen Kräften der CDU heute vertreten wird. Die AfD ist gegen eine Frauenquote in der Wirtschaft, hält nur die Ehe zwischen Mann und Frau für „familienpolitisch wünschenswert“. Die sächsische Spitzenkandidatin Frauke Petry plauderte im Wahlkampf über Volksabstimmungen für das Verbot von Abtreibungen, der thüringische Spitzenkandidat Björn Höcke verneint die Gleichstellung homosexueller Paare. Gender Mainstreaming, immerhin eine Leitlinie des Bundesfamilien- und Frauenministeriums, bezeichnet er als "Geisteskrankheit".
Doch noch wichtiger als Familien- und Geschlechterfragen sind für die Partei Einwanderung und nationale Identität geworden. Im sächsischen Wahlprogramm stand, dass es über Moscheebauten mit Minarett Volksabstimmungen geben müsse. Spitzenkandidat Höcke warnte in der ARD vor einem „zu großen Zustrom von Einwanderern“, der die Identität der Einheimischen gefährde. Das mag man bei einem Ausländeranteil von 1,8 Prozent in Thüringen für Phantomschmerz halten. Aber es wird die AfD nicht davon abhalten, dort (sowie in Sachsen, Thüringen und im Europaparlament) Einfluss auf die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik zu nehmen. Die Landtage sind dafür hervorragende Foren - denn der Bau neuer Aufnahmeeinrichtungen etwa oder die Verteilung von Asylbewerbern auf Städte und Landkreise sind Ländersache.
Gut, es gibt Unterschiede: So tritt die AfD in Nordrhein-Westfalen weit weniger ausländerfeindlich auf als die ostdeutschen Landesverbände. Doch auch auf Bundesebene herrscht Unbehagen über den strammen Rechtskurs der Partei. Es gibt ehemalige Mitglieder, die beklagen, dass die AfD, die als wirtschaftsliberale Professorenpartei startete, inzwischen von Nationalkonservativen übernommen worden sei.
Die Partei ist keine Eintagsfliege mehr
Manche Protestpartei, die es bundesweit versucht hat, war schneller wieder weg, als sie gekommen war: Die Schill-Partei, die Freien Wähler - auch die Piratenpartei ist wieder in der Versenkung verschwunden, mit parlamentarischen Überresten in Berlin und NRW. Alle, die der AfD einen ähnlich steilen Absturz vorausgesagt haben, sehen sich jetzt getäuscht. Zum einen erscheint die Partei im Innern viel geschlossener als zum Beispiel die Piraten. Zum anderen hat sie mit Zuwanderung und Euro zwei Themen, bei denen es in Deutschland immer genügend Skeptiker geben wird, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Beides sind gute Voraussetzungen dafür, dass diese Partei sich etablieren wird. Leider zeigt die Parteiengeschichte der Bundesrepublik, dass so etwas nicht ohne Folgen bleibt.
Die Grünen haben es vorgemacht, die Rechtsextremen auch
Die AfD hat in Brandenburg und Thüringen Zehntausende Wähler von der CDU zu sich herübergezogen. Das wäre nicht denkbar, wenn die CDU sich nicht unter der Führung von Angela Merkel zur "Partei der Mitte" erklärt und eine konservative Position nach der anderen geräumt hätte. Wird die CDU eines Tages, vielleicht unter einem neuen Vorsitzenden, ihre moderat fortschrittlichen Positionen in der Frauen- Und Familienpolitik überdenken? Werden auch die anderen Parteien in den nächsten Jahren euroskeptischer, restriktiver im Umgang mit Migranten? All das ist möglich. Man sehe sich nur an, wie gründlich der Erfolg der Grünen seit den 1980er-Jahren zur Ökologisierung der anderen Parteien beigetragen hat.
Und selbst wenn es den etablierten Parteien gelingen sollte, die AfD wieder klein zu kriegen: Um welchen Preis könnte das geschehen? Anfang der 90er-Jahre schafften es Republikaner und DVU in mehrere westdeutsche Landesparlamente. Zwar konnten Union, FDP und SPD verhindern, dass die rechten Parteien sich dauerhaft dort festsetzen – aber die Methode ist umstritten. Sie kamen den ausländerfeindlichen Wählern 1992 mit einem Asylkompromiss entgegen, der von Teilen der SPD heute noch als Aushöhlung des Asylrechts empfunden wird.
Warum also die AfD fürchten? Weil sie unübersehbar nach rechts abgedriftet ist. Weil sie als erste rechte Partei seit langem den anderen Parteien Angst macht. Weil ihr Denken auch von den anderen Parteien Besitz ergreifen könnte. Und weil dann die Angst und das Ressentiment wieder zu mächtigen Faktoren im politischen Leben der Republik werden könnten. Es hängt allerdings viel davon ab, ob sich die AfD auch in westdeutschen Landesparlamenten festsetzen wird. Im Februar wird in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt.