Mariupol. . Der Krieg hat es sich bequem gemacht im Donbass. Für ihn heißt Waffenruhe nur Waffenpause. Das gerade erst mühsam ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen missfällt sowohl den Separatisten als auch den ukrainischen Soldaten. Beide Parteien fürchten, bei einem Friedensschluss zu den Verlierern zu zählen.
Schon Samstagmitternacht riecht die Waffenruhe nach verbranntem Gummi und glühendem Eisen. Zwischen den Betonbarren des Blockpostens „Wostotschnoje“ in Mariupol suchen ukrainische Soldaten mit Taschenlampen nach Verwundeten. Die feindliche Artillerie hat den Blockposten gerade bombardiert. „Waffenruhe“, ein Nationalgardist des Freiwilligenbataillons „Dnjepr“ deutet auf einen ausgebrannten Armee-Laster. „Da haben wir die Waffenruhe!“ Auch bei Lugansk und Donezk werden Feuergefechte gemeldet.
Eigentlich hat die Waffenruhe gerade erst angefangen. Am Freitag handelten in Minsk ukrainische, russische und OSZE-Unterhändler mit den Chefs der separatistischen „Volkrepubliken“ Donezk und Lugansk ein entsprechendes Abkommen aus. Es sieht Einstellung der Kampfhandlungen vor, Gefangenaustausch und freies Geleit für humanitäre Hilfe. Außerdem unterzeichnete man ein 12-Punkte Protokoll für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Man einigte sich unter anderem auf einen gesetzlichen Sonderstatus für die Rebellengebiete, Straffreiheit für alle Beteiligten, vorgezogene Regionalwahlen und den Abzug aller illegalen Kämpfer von ukrainischem Boden.
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Waffenstillstand wie Friedensprogramm geben viele Rätsel auf. Ukrainische Nationalgardisten reden von Verrat, auch die Rebellen versichern, sie wollten bis zum Ende kämpfen. Und schon vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe verschickte die Pressestelle der Separatistenrepublik Donezk Einladungen für eine Pressekonferenz am Dienstag. Thema: „Warum wird die Waffenruhe, die der ukrainische Präsident Poroschenko befohlen hat, nicht eingehalten.“
Niemand mag das Abkommen wirklich. Ein Großteil der ukrainischen Öffentlichkeit ist empört, dass auch die Rebellen, die Morde an proukrainischen Aktivisten auf dem Gewissen haben, straffrei davon kommen sollen.
Alle Kämpfer murren, alle fühlen sich ausgebremst
Die Rebellenkämpfer, ihre ostukrainische Anhängerschaft, auch das nationalistische russische Publikum murren ebenfalls laut: Militärisch fühlen sie sich ausgebremst, der Waffenstillstand stoppte eine erfolgversprechende Offensive. Und politisch ignoriert das Abkommen ihre Hauptforderung: Staatliche Unabhängigkeit von der Ukraine.
Die einen wie die anderen rätseln, ob nun die administrativen Grenzen der Regionen Donezk und Lugansk oder die wild verknotete Frontlinie das künftige prorussische Autonomiegebiet markieren wird. Und welche Privilegien diese Autonomie erhalten soll. Schon fordert der Lugansker Rebellenführer Igor Plotnizki das Recht auf eine eigene, militärisch gerüstete Bürgerwehr. In vielen Köpfen scheint Waffenruhe nur Waffenpause zu.
Die Zivilisten erleiden den alltäglichen Kriegs-Wahnsinn
Vor einer Woche wurde auch das Dorf Nowokaterinowka zerschossen, die Artillerie riss Löcher in Hauswände. Autofahrer und selbst Radfahrer haben weiße Bänder gehisst. Waffenruhe? „Alles, wenn sie bloß nicht mehr schießen“, sagen die Leute. Am Rand eines Granattrichters vor dem Dorfsowjet zerrt ein kleiner dicker Mann an einem Asphaltstück. Er trägt nur eine Trainingshose und ein weißes Kopftuch. „Ich schaffe Ordnung“, murmelt er. „Jemand muss doch Ordnung schaffen.“ Eine Granate habe der Nachbarin Arm und Bein abgerissen. Ein anderes Geschoss sei durchs Fenster in seine Küche, er habe die Druckwelle im Keller überlebt, aber seitdem höre er schlecht.
Fünf Monate Krieg im Donbass haben Zehntausende Menschen getötet, Hunderttausende vertrieben, Ungezählte verstümmelt oder an den Rand des Wahnsinns gedrängt. Der Krieg hat es sich bequem gemacht im Donbass, für ihn heißt Waffenruhe nur Waffenpause.