Essen. . Eine Welle von 'Kuttenverboten' verstärkt derzeit den Druck auf Rockerbanden, auch in NRW. Grundlage ist ein Urteil des OLG Hamburg. Das ist jedoch umstritten. Zumal ein bayerisches Gericht in gleicher Sache anders entschieden hat. Dass es überhaupt zu den Verboten kommt, hat einen kuriosen Grund.

Als der Hamburger "Hells Angels"-Rocker Tommy K. im März 2011 ein Foto von sich aufnehmen ließ, wollte er die Polizei provozieren. K. ließ sich in Rockerkluft fotografieren, mit den Insignien der "Hells Angels". Deren Hamburger Vereinigung ist seit 1983 bundesweit verboten. Aber der Rocker glaubte, durch einen Zusatz am Totenkopf-Logo hätte er das Trageverbot ausgehebelt, denn er schickte das Foto der Hamburger Polizei. Mehr als drei Jahre später zeigt sich jetzt, welche Wogen K. tatsächlich ausgelöst hat.

So ging der Fall des "Hells Angels" Tommy K. durch die Gerichts-Instanzen und landete zuletzt vor dem Oberlandesgericht Hamburg (OLG). Das urteilte jüngst, dass K. auch das um den erfundenen Orts-Zusatz "Harbor City" verfremdete Wappen nicht hatte tragen dürfen. Wohl auch, weil es sich nicht genug vom Abzeichen des verbotenen Rockervereins "Hells Angels MC Hamburg" unterscheide.

OLG Hamburg gibt Behörden Muniton im Kampf gegen Rocker

Das nahmen die Innenminister und Polizeibehörden in NRW, Berlin, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern zum Anlass, das öffentliche Zeigen bestimmter Rocker-Symbole zu verbiete. In Berichten - wie auch hier - wird das gerne als "Kuttenverbot" verkürzt. Die Verbote gehen aber über das Tragen der Rockerkluft hinaus.

Warum ist das nun aus Sicht mancher Länder-Behörden möglich?

"Das OLG hat die Rocker-Abzeichen erstmals in ihren Teilen betrachtet", erläutert ein Sprecher des NRW-Innenministeriums auf Anfrage. In der Regel bestehen die Abzeichen aus den Elementen "Top-Rocker" (Gruppenname), "Center-Crest" (Symbol, wie z.B. Totenkopf oder Sombrero-Figur) und "Bottom-Rocker" (Herkunftsort oder -Land). Bis dato bezogen sich Verbote auf die Abzeichen als Ganzes. Laut OLG Hamburg aber reiche es, wenn im Logo einzelne verbotene Teile verwendet würden, um ein gesamtes Kuttenverbot zu verfügen, meint man im NRW-Innenministerium.

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So gelten die Kuttenverbote in NRW für alle Rockergruppen, bei denen örtliche Vereinigungen in der Vergangenheit richterlich verboten wurden; hierzulande wurden 2012 die Hells Angels Cologne und die Bandidos in Aachen gerichtlich verboten und aufgelöst. Die Logik dahinter: Mit jedem Verbot wird auch das Rocker-Abzeichen der übrigen Vereinigungen rechtswidrig.

Das ist eine zweifelhafte Rechtssicht, meint der Passauer Jurist und Rocker-Experte Florian Albrecht.

Rocker-Abzeichen verbieten? Bayerisches Gericht mit gegenteiliger Sicht 

Für Albrecht hat das OLG nur über einen Einzelfall entschieden. "Das Urteil in Hamburg legitimiert nicht dazu, auch in anderen Bundesländern bestimmte Rocker-Symbole zu verbieten, sofern diese eine Distanzierung von den verbotenen Vereinen erkennen lassen", meint Albrecht. Er verweist zudem auf ein Urteil des - damaligen - Bayerischen Obersten Landesgerichts. Das hatte im März 2005 entschieden, dass das Tragen des Hells-Angels-Abzeichens mit dem Ortszusatz "Bohemia" (Böhmen) gestattet sei.

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Ohnehin könne man bei den "Kuttenverboten", die etwa jüngst die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf für ihren Bereich - darunter auch Duisburg, Krefeld und Mönchengladbach - verhängt worden sind, rechtlich nicht von Verboten sprechen, meint Florian Albrecht: "Es handelt sich um die Androhung von Strafverfolgung. Die Polizei kündigt an, wer sich mit diesen Emblemen in der Öffentlichkeit zeigt, bekommt Ärger". Das wird im NRW-Innenministerium bestätigt. Und: Wer erwischt wird, sagt ein Sprecher, öffnet Ermittlern die Türen für weitere polizeiliche Maßnahmen - zum Beispiel für Hausdurchsuchungen bei Rockern.

Polizei will Rocker "mit großen und kleinen Nadelstichen" bekämpfen

So will NRW-Innenminister Ralf Jäger deutlich machen, dass die Behörden in NRW gegenüber Rockergruppen "keinen rechtsfreien Raum dulden". Das entspricht ganz den Vorgaben der "Bekämpfungsstrategie Rocker-Kriminalität". Sie wurde im Oktober 2010 durch eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz konzipiert.

Das 64-seitige Konzept ist "als Verschlusssache für den Dienstgebrauch" öffentlich nicht zugänglich und umfasst einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für die Polizei-Arbeit vom Vereins- und Steuerrecht bis zum Gewerbe-, Bau- und Waffenrecht. Der "Bund Deutscher Kriminalbeamter" beschreibt die Taktik als "Bekämpfungsstrategie der 'kleinen und großen Nadelstiche'. Die sei notwendig, weil "Rockerkriminalität eine ernstzunehmende Bedrohung für unser Land" ist.

"Auch wenn Mitglieder verbotener Rockergruppen nach ihrer Auflösung entweder in andere Chapter wechselten oder aber in einer Nachbarstadt einen neuen Chapter gründeten, verbleibt ein Sicherheitsgewinn", glaubt man beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Und in punkto Kuttenverbote glaubt NRW-Innenminister Jäger, dass sie Rocker "besonders hart" treffen. Weil sie sich "nicht mehr martialisch in der Öffentlichkeit präsentieren und für sich werben können".

Kritiker sieht Kuttenverbot als "Volksverdummung" 

Rocker-Forscher Florian Albrecht bezweifelt jedoch die Wirkung: "Es wird ein falsches Sicherheitsgefühl suggeriert", kritisiert er und wirft der Politik sogar Volksverdummung vor: "Dahinter steckt der Glaube, 'wenn man den Täter nicht erkennt, gibt es keinen Täter mehr'".

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Albrecht erwartet ohnehin kaum Wirkung durch Kuttenverbote: "Es gibt ja noch andere Symbole von Rockern, die nicht verboten sind". Bei den Hells Angels wäre das etwa die Zahl "81", sagt Albrecht. Bei den Bandidos die Buchstabenkombination "BFFB" die "Bandido for ever - for ever Bandido" bedeutet. Im NRW-Innenministerium gibt man zu, dass man diese Symbole rechtlich noch nicht bewertet habe. Zudem, sagt Albrecht, seien Rocker immer bestrebt sich als Szene-Angehörige in Szene zu setzen: "Man wird sie erkennen".

Hells Angel in Hamburg will sich gegen OLG-Urteil wehren

Der Hamburger Hells Angel Tommy K. übrigens will das OLG-Urteil nicht hinnehmen. Seine Verteidiger, heißt es in einem Zeitungsbericht, werden in Revision gehen. Die nächste Instanz wäre das Verfassungsgericht. Bis das entscheide, dürften zwei Jahre vergehen, glaubt man im NRW-Innenministerium: So lange, sagt der Sprecher, "hat die Polizei jetzt erstmal Rechtssicherheit", wenn sie Kuttenverbote durchsetzt.