Düsseldorf. Ende 2011 schockte der internationale Vergleichstest Pisa mit extrem mageren Ergebnissen für deutsche Schüler. Reformen folgten. Vieles ist besser geworden, vieles bleibt noch zu tun. Sagt die Chefin der Kultusministerkonferenz Sylvia Löhrmann - und schaut auch auf den Bund.
In der Schulpolitik gibt es bundesweit viele Baustellen. Der Weg zu mehr Vergleichbarkeit beim Abitur in den Bundesländern muss geebnet werden. Inklusion - gemeinsamer Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern - stellt die Länder vor gewaltige Herausforderungen. Die Unzufriedenheit mit dem "Turbo-Abitur" und der auf acht Jahre verkürzten Gymnasialzeit wächst. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), äußert sich im Interview mit der dpa in Düsseldorf.
Die Sommerferien in den Bundesländern haben begonnen oder stehen kurz bevor, das Abitur ist geschafft. Wie sieht es aus mit der gewünschten Vergleichbarkeit unter den Ländern?
Sylvia Löhrmann: Man muss sich klar machen, dass Vergleichbarkeit Standards und Anforderungen meint. (...) Die KMK hat Standards festgelegt und die Länder sind gehalten, sich daran bei ihren Aufgaben zu orientieren. Ein gemeinsamer Aufgabenpool, auf den die Länder bei ihren Abiturprüfungen ab 2016/17 zurückgreifen können, wird derzeit vorbereitet - und zwar mit wissenschaftlicher Begleitung. Und damit wird auch die Sorge entkräftet, dass die Politik das Abitur leichter oder schwerer machen will.
Ein Zentralabitur soll es also weiterhin nicht werden?
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Löhrmann: Schon aufgrund der unterschiedlichen Ferienregelung und Prüfungszeitpunkte wäre das ja gar nicht möglich. Vor allem aber wollen wir keine Uniformität. Die Länder sollen natürlich weiter ihre Akzente setzen können. Warum sollte in Bayern nicht Textinterpretation anhand von dortigen Autoren geübt werden und in Nordrhein-Westfalen anhand von Schriftstellern, die in unserem Bundesland leben?
Scheuen nicht manche Länder den Vergleich - aus Sorge vor blamablem Abschneiden
Löhrmann: Vergleichsuntersuchungen gibt es doch ohnehin regelmäßig - etwa Pisa oder die Ländervergleichsstudien. Zu Recht wird von den Verbänden darauf hingewiesen, dass die Sau vom Wiegen allein nicht fetter wird. Es reicht doch nicht, immer nur festzustellen, wo wir stehen. Wir müssen herausfinden - und da ist sich die KMK einig - warum das eine oder andere in den einzelnen Ländern im Durchschnitt zu besseren oder schlechteren Ergebnissen führt. (...) Und wir brauchen eine Ermutigungskultur für die Schulen. Wir müssen Motivation auslösen, damit sich die Schulen weiter auf den Weg machen.
Die auf acht Jahre verkürzte Gymnasialzeit - G8 - mit dem Turbo-Abitur ist unbeliebt: Niedersachsen kehrt zurück zu G9. Was sagen Sie den Schülern im bevölkerungsreichsten Bundesland?
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Löhrmann: Es wird in dieser Frage in Nordrhein-Westfalen keine Hauruck-Entscheidung geben. Ich habe einen geordneten, transparenten und fairen Arbeitsprozess in Gang gesetzt. Dieser wird mit allen Auffassungen und Anregungen sorgfältig dokumentiert, dann muss das Parlament entscheiden: Bleibt es dabei, dass wir einen Optimierungsprozess für G8 gestalten, mit verbindlichen Entlastungseffekten für die Schüler? Oder ist die Unzufriedenheit so breit, dass es zurückgeht zu G9, wie eine Bürgerinitiative das fordert. Alle relevanten Verbände, die in NRW die Gymnasien verantworten und gestalten, warnen aber vor einem solchen Roll-back. Zugleich nehme ich die Sorgen von Schülern und Eltern ernst. Der Protest zeigt: Die Umsetzung klappt noch nicht überall.
Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung stellt alle Bundesländer vor große Aufgaben. Wo stehen wir bei der Inklusion in zehn Jahren?
Löhrmann: Ein größerer Teil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird in den allgemeinen Schulen lernen. Das wird einhergehen mit einer Veränderung der Lern- und Schulkultur, von der alle Schülerinnen und Schüler profitieren. Das individuelle Lernen bekommt mit der Inklusion einen größeren Stellenwert. Aber es wird auch weiter Förderschulen geben, mit abnehmender Tendenz. Ich freue mich darauf, dass es dann normaler sein wird, verschieden zu sein und dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen lernen und leben. Das ist eine positive Veränderung für unsere Gesellschaft.