Essen/Luxemburg. . Der Europäische Gerichtshof hat eine deutsche Hürde für die Familienzusammenführung bei türkischen Zuwanderern gekippt. Das Bundesinnenministerium will die Folgen der Entscheidung jetzt “sorgfältig prüfen“. Im NRW-Integrationsrat wittert man darin “Verzögerungstaktik“.
Müssen Migranten aus Ländern, die nicht zur EU gehören, bereits vor einem Zuzug nach Deutschland wenigstens etwas Deutsch sprechen? Schlecht wäre das nicht. Aber darf die Bundesrepublik den Nachweis von Deutschtests zur Bedingung für ein Einreise-Visum machen? Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat jetzt entschieden: Nein, das darf die Bundesrepublik nicht - jedenfalls nicht, wenn es sich um türkische Staatsangehörige handelt. "Eine gute Entscheidung", kommentieren Migrantenverbände. Doch ob und wie sie in die Praxis umgesetzt wird, ist völlig offen.
"Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung die Entscheidung des EuGH zeitnah und eins-zu-eins umsetzt" - und zwar für alle Zuwanderer aus sogenannten Drittstaaten, sagt Safter Cinar, einer der beiden Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Dachverband von bundesweit 260 türkischen Vereinigungen mit nach eigenen Angaben 40.000 Mitgliedern. Doch Cinar sagt auch: "Deutschland ist in der EU das meist verklagte Land, wenn es um Einschränkungen beim Zuzug von Zuwanderern geht".
Bund sieht Sprachtestpflicht nicht grundsätzlich gekippt
So stößt die EuGH-Entscheidung in Berlin auf Skepsis. Dass die zwei Generalkonsulate und die Botschaft in der Türkei nun die Anweisung erhalten: "Sprachkurse sind im Falle des Ehegattennachzugs nach Deutschland für türkische Staatsbürger nicht mehr zu verlangen"? Es ist wohl kaum zu erwarten, schon gar nicht "zeitnah".
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Denn Günter Krings, CDU-Politiker aus Mönchengladbach und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenministerium (BMI), das für das Asyl- und Ausländerrecht zuständig ist, erklärte am Donnerstag: "Eine erfolgreiche Integration setzt Sprachkenntnisse voraus. Dies halte ich auch nach wie vor für richtig".
So ist Krings froh, dass der EuGH die Sprachtestpflicht nur in Bezug auf türkische Staatsangehörige verhandelt hat; es ging um die Klage einer 27-jährigen Analphabetin in der Türkei, der deutsche Behörden seit mehreren Jahren verwehren zu ihrem Ehemann nach Deutschland zu ziehen, mit dem sie bereits vier Kinder hat - solange sie nicht "einfache Deutschkenntnisse" nachweist. "Grundsätzlich ist der Sprachnachweis für drittstaatsangehörige Ehegatten nach dem Urteil des EuGH weiterhin mit dem Recht der EU vereinbar", sagt Krings. Die Konsequenz: "Der Nachzug zu Personen, die bereits hier leben und nicht aus der Türkei stammen, ist von der Entscheidung nicht betroffen – in diesen Fällen gilt der Sprachnachweis weiterhin."
"Die wollen uns Türken in Deutschland nicht"
Im Fall der Türkei verstoßen die hiesigen Sprachanforderungen gegen mehr als 40 Jahre alte Vereinbarungen mit dem EU-Vorläufer Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, urteilten die Richter in Luxemburg (Rechtssache C-138/13). Damals vereinbarten beide Seiten, dass die Niederlassung nicht erschwert werden dürfe. Die Sprachtestpflicht war aber erst zum September 2007 eingeführt worden. Das werten die Richter als unvereinbar mit dem EU-Recht.
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In Bundesinnenministerium verspricht man, die Folgen der EuGH-Entscheidung "sorgfältig zu prüfen". Engin Sakal, Geschäftsführer beim NRW-Integrationsrat, sieht darin "Verzögerungstaktik". Migranten müssten ohnehin einen Integrationskurs absolvieren, wenn sie in Deutschland sind. Die Sprachkurspflicht für Ehepartner sei deshalb nicht notwendig und für viele eine hohe Hürde. Auch, weil es daheim oft an Angeboten mangele. Bis der EuGH-Entscheid in deutsches Recht fließe, "können drei bis vier Jahre vergehen", glaubt Sakal. Für ihn spricht daraus die Botschaft: "Die wollen uns Türken hier nicht".
Sprachtestpflicht zeigt laut Studie Wirkung
Laut einer Studie zur Heiratsmigration aus dem Jahr 2013 hatte die Sprachtestpflicht enorme Wirkung: Während 2007 nur 18,4 Prozent der Zuwanderer insgesamt nach eigener Einschätzung "einfache Deutschkenntnisse" hatten, waren es 2011 fast 81 Prozent. Vor der Sprachtestpflicht gestanden etwas mehr als 62 Prozent der insgesamt 2500 für die Studie Befragten ein, dass sie in punkto Deutsch lernen "nichts unternommen" hätten. Die Quote sank auf unter 14 Prozent. Aber 30 Prozent der befragten sagten auch, dass die Pflicht zum Sprachkurs im Herkunftsland eine starke oder sogar sehr starke Belastung sei.
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Für die Bundesregierung sollte die Sprachtestpflicht auch Zwangsheirat eindämmen. Doch daran gibt es Zweifel. Im Durchschnitt gaben 33 Prozent der Befragten insgesamt in der 2013 veröffentlichten Studie an, man habe den späteren Ehepartner im Verwandtenkreis kennengelernt. Unter den 819 Befragten mit türkischen Wurzeln waren es 52,1 Prozent. Dass der Ehepartner gar "von Verwandten vorgestellt" worden war, sei bei 15,1 Prozent der Fall gewesen.
Sprachkurse geben auch hilfreiche Lebenstipps
Im Goethe-Institut, das im Auftrag des Bundes weltweit Deutschkurse anbietet, will man unterdessen "gelassen abwarten, was auf uns zukommt". Derzeit bietet das Institut mit einem Partnernetzwerk aus Sprachlernzentren, Prüfungs- und Sprachkurskooperationspartnern Deutschkurse für nachziehende Eheleute in 108 Ländern und an 483 Kursorten an. "2013 nahmen gut 40.000 Menschen an den Prüfungen teil", sagt Sprecher Christoph Mücher. In der Türkei waren es 6699.
Testfragen Deutsch-Zertifikat "A1"
"Es könnte sein, dass die Kurse uns jetzt wegbrechen", erklärt Mücher. Es geht um die Einstiegskurse für das Deutsch-Zertifikat "A1". Das Angebot war nach Inkrafttreten der Sprachtestpflicht ausgeweitet und in vielen Ländern eigens didaktisch erarbeitet worden. Weil es, wie Mücher sagt, unter den Zuwanderern "viele lernungewohnte Menschen" gibt; neben der Türkei auch etwa in Thailand. Er meint damit zum Beispiel Analphabetismus oder fehlende Schulabschlüsse.
Mücher sieht jedoch "gute Gründe darin, solch einen Deutschkurs bereits im Herkunftsland zu machen". Es gehe darin nicht alleine um die Sprache. "Wir geben auch jede Menge Lebenstipps", zu Gesellschaft oder persönlichen Rechten. "Das Feedback der Kursteilnehmer", sagt Mücher, "sei vielfach sehr positiv".