Köln/Luxemburg. .
Gut möglich, dass schon bald vor dem Europäischen Gerichtshof eine hohe Hürde bei der „Heiratsmigration“ in Deutschland fällt: Heute wird vom höchsten Gericht in der EU eine Entscheidung zum sogenannten Ehegattennachzug in Deutschland erwartet. Es klagt eine türkische Ehefrau, der deutsche Behörden seit Jahren untersagen, nach Deutschland zu ihrem Ehemann zu ziehen, der hier bereits seit 1998 lebt und mit dem sie vier Kinder hat: Sie müsse erst einen Sprachkurs absolvieren, sonst bekomme sie kein Visum. Das Problem: Die Frau ist Analphabetin.
In dem Fall geht es letztlich um die Frage, ob Deutschland die Erteilung eines Visums für den Ehegattennachzug bei Bürgern, die aus Drittstaaten kommen – zum Beispiel aus der Türkei – grundsätzlich an Bedingungen knüpfen darf.
Seit 2007 sind die Sprachtests verpflichtend. Auf mindestens „einfache Art“ sollen sich Zuziehende auf Deutsch verständigen können. Das soll „die Integration von Neuankömmlingen in Deutschland erleichtern“, konstatiert Paolo Mengozzi, Generalanwalt beim EU-Gericht. Und es soll „Zwangsehen bekämpfen“, stellt er fest.
„Diese Tests sind ein sehr großes Problem“, sagt Turan Özkücük, Sozialberater für Migranten in Köln. Zwar seien deutsche Sprachkenntnisse wichtig, doch in der Türkei gebe es gerade auf dem Land keine Angebote. Auch Internetzugang sei dort oft nicht möglich.
27 000 von 40 000 fielen durch
Zwei bis drei Monate dauere ein Sprachkurs, beschreibt Özkücük, um den geforderten Mindestabschluss, etwa das Goethe-Zertifikat „A1“ zu erreichen. Zudem erscheint ihm die Vorschrift wenig sinnvoll: „Zuwanderer werden nach ihrer Ankunft in Deutschland sowieso in einen Integrationskurs geschickt.“
Nach einer Statistik der Bundesregierung für 2012 haben durchschnittlich nur 20 Prozent in ihrem Heimatland Zugang zu einem Sprachkurs des Goethe-Instituts. In der Türkei sind es nur zehn Prozent. Und: Weltweit nahmen 2012 rund 40 000 Ehefrauen oder -Männer an den Sprachtests teil, 27 000 von ihnen fielen bei der Prüfung durch.
Es waren Richter am Berliner Verwaltungsgericht, die den Fall nach Luxemburg brachten. Dort hatte die türkische Ehefrau geklagt. Für Tayfun Keltek, Vorsitzender des NRW-Integrationsrats, ist es „sehr wichtig, dass jemand den Mut gehabt hat, in dieser Sache vor Gericht zu ziehen“. Er kritisiert die deutschen Vorschriften als „beliebig“ – weil sie nur für bestimmte Staaten gelten und etwa EU-Bürger oder US-Amerikaner ausgenommen sind.
So geht es in dem Fall vor allem um europarechtliche Fragen, ob die deutschen Visa-Vorschriften mit dem EU-Recht vereinbar sind, konkret: ob die deutsche Sprachtestpflicht gegen die „Stillhalteklausel“ zwischen EU und der Türkei von 1970 verstößt, weil sie eine nachträgliche zusätzlich Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist.
Recht auf Familienzusammenführung
Beobachter glauben, dass die Europa-Richter die deutsche Regelung zum Ehegattennachzug kippen könnten. Sollte das nicht der Fall sein, verweist Generalanwalt Paolo Mengozzi auf das Recht auf Familienzusammenführung, das seit 2003 in der EU besteht. Demnach müsse Deutschland betroffenen Ehegatten mindestens eine „Einzelfallprüfung“ gewähren, die bis dato nicht vorgesehen ist. Zu berücksichtigen seien dabei nicht nur, ob minderjährige Kinder zu versorgen sind, sondern auch, ob ein geforderter Sprachkurs überhaupt absolviert werden kann.